Deutsche IS-Frauen und Kinder aus Rojava zurückgeholt

Die Bundesregierung hat eine Gruppe deutscher Staatsangehöriger aus Internierungslagern im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien zurückgeholt. Dazu war das Auswärtige Amt von mehreren Gerichten verpflichtet worden.

Die Bundesregierung hat eine Gruppe deutscher Staatsangehöriger aus Internierungslagern im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien zurückgeholt. Dazu war das Auswärtige Amt von mehreren Gerichten verpflichtet worden. Es handelt sich um drei IS-Anhängerinnen im Alter zwischen 21 und 38 Jahren, die im Verlauf der Einnahme der letzten Bastion der islamistischen Terrororganisation in Ostsyrien im letzten Jahr von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) aufgegriffen wurden, und zwölf Kinder, darunter sieben Waisen. Eine der Frauen wurde am Sonntag laut Bundesanwaltschaft bei ihrer Einreise am Flughafen Frankfurt am Main festgenommen. Grundlage sei ein Haftbefehl wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland sowie wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Nach ANF-Informationen soll sie eine Ezidin und ihre zwei Kinder als Sklavinnen in ihrem IS-Haushalt gehalten haben. Gegen die zwei weiteren zurückgeholten IS-Frauen laufen in Deutschland ebenfalls Ermittlungsverfahren wegen Terrorverdachts. Sie bleiben vorerst auf freiem Fuß.

Dritte Rückführungsaktion nach Deutschland

Die Frauen und Kinder aus den Lagern Roj und al-Hol waren kürzlich einer deutsch-finnischen Delegation übergeben und über den Flughafen Hewlêr (Erbil) in Südkurdistan ausgeflogen worden. Es handelt sich um die dritte Rückführungsaktion von deutschen Staatsangehörigen aus Rojava ins Bundesgebiet. Erstmals hatte das Auswärtige Amt im August 2019 drei Waisen und ein krankes Baby von deutschen Anhängern der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) nach Deutschland zurückgeholt. Im darauffolgenden November unterzeichnete der deutsche Vizekonsul in Hewlêr, Sven Krauspe, ein Protokoll zur Rückführung für drei weitere IS-Kinder. Am Sonntag konnten auch mehrere Personen mit finnischer Staatsbürgerschaft in ihr Heimatland zurück.

Vertreter*innen der deutschen und nordostsyrischen Behörden

Laut Dr. Abdulkarim Omar, dem Ko-Außenbeauftragten der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, sind bei der Zusammenkunft mit Vertretern Deutschlands und Finnlands verschiedene grundlegende Fragen erörtert worden. In erster Linie ging es demnach um humanitäre Unterstützung und Hilfe im Kampf gegen die Corona-Pandemie. „Weitere Themen, die ausgiebig diskutiert worden sind, waren einerseits die anhaltenden Angriffe und Kriegsverbrechen des türkischen Staates im Autonomiegebiet. An dieser Stelle wurde insbesondere die erneute Unterbrechung der Wasserversorgung im Großraum Hesekê angesprochen. Andererseits haben wir uns zum Umgang mit ausländischen IS-Mitgliedern beraten, die in unseren Regionen inhaftiert bzw. interniert sind. In diesem Rahmen haben wir erneut die Notwendigkeit eines IS-Tribunals in Nordostsyrien hervorgehoben”, sagte Abdulkarim Omar. Ein Vertreter des Auswärtigen Amtes bestätigte dies gegenüber der Agentur ANHA.

Forderungen von Autonomieverwaltung verhallen

Die Selbstverwaltung ruft die Bundesregierung seit Jahren dazu auf, ihre gefangengenommenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zurückzunehmen und vor deutsche Gerichte zu stellen. Deutschland versucht sich aus Rücksicht auf den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und mit dem vorgeschobenen Argument, es gäbe keine diplomatische Vertretung in Syrien, der Verantwortung für deutsche IS-Mitglieder zu entziehen. Auch die schon länger von Nordostsyrien gestellte Forderung nach einem internationalen Sondergericht für IS-Terroristen und Angehörige europäischer Herkunft, das die Verdächtigen in der Kriegsregion zur Verantwortung ziehen soll, verhallt in Deutschland. Doch ohne internationale Unterstützung und mit Blick auf die Invasion der Türkei und von ihr befehligter Dschihadistenmilizen in Rojava ist die Etablierung eines solchen Gerichts wohl kaum möglich.

Aktuell mehr als 100 Deutsche in Rojava inhaftiert

Nach offiziellen Angaben sind aus Deutschland 1050 Personen dem IS beigetreten, ein Großteil von ihnen ist ums Leben gekommen, ein Teil nach Deutschland zurückgekehrt und ein weiterer Teil wurde von den Demokratischen Kräften Syriens oder dem irakischen Militär festgenommen. Aktuell befinden sich mehr als 100 deutsche Frauen und Männer in Lagern oder Gefängnissen im Autonomiegebiet, darunter auch etwa 40 an schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligte IS-Mitglieder.

Deutsche Medien bezeichnen Übergabe als „Rettungsaktion“

Die Bundesregierung begründet die jüngste Rückführung von deutschen Staatsangehörigen mit humanitären Gesichtspunkten. Es handele sich um Fälle, in denen die Ausreise besonders dringend erforderlich gewesen sei, erklärte Außenminister Heiko Maas (SPD) am Sonntag. „Diese frohe Nachricht kurz vor Weihnachten stimmt zuversichtlich, dass wir auch in weiteren Fällen eine Rückkehr ermöglichen können. Dafür werden wir uns in den kommenden Wochen und Monaten einsetzen”, so Maas weiter. In deutschen Medien wird die Übergabe der IS-Frauen zynisch als „Rettungsaktion“ dargestellt. Als der türkische Geheimdienst MIT im Juli dieses Jahres eine moldauische Dschihadistin und ihre Kinder aus dem Camp Hol herauslotste und an Moldawien übergab, war der Piratenakt ebenfalls als Rettungsaktion dargestellt worden.