Gezielter Anschlag auf QSD-Kommandanten Ferhad Dêrik

Der türkische Drohnenangriff vom Freitag in Rojava richtete sich gezielt gegen den QSD-Kommandanten Ferhad Dêrik. Der 28-jährige Kurde war Koordinator des multiethnischen Bündnisses für die Zusammenarbeit mit der internationalen Anti-IS-Koalition.

Ferhad Dêrik, Kommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), ist bei einem gezielten Anschlag des türkischen Staates in Rojava ermordet worden. Das Attentat in Form eines Drohnenangriffs hatte sich am Freitagvormittag in der nordostsyrischen Kleinstadt Dêrik (Al-Malikiya) ereignet, aus der der Kommandant gebürtig stammte (ANF berichtete). Bombardiert wurde das Haus Ferhad Dêriks in der Nähe des Azadî-Platzes unweit des Stadtzentrums. Eine 39-jährige Frau und ein elf Jahre alter Junge wurden bei dem Angriff verletzt. Die QSD haben Vergeltung angekündigt.

                            

Codename: Ferhad Dêrik

Vor- und Nachname: Şiblî Şiblî

Namen der Eltern: Xanim – Mihemed

Geburtsort und -jahr: Dêrik, 1995

Todestag und -ort: 27. Oktober 2023, Dêrik

 

Bruder ebenfalls bei gezieltem Drohnenangriff ermordet

Ferhad Dêrik war ranghohes Mitglied der QSD. Er koordinierte die Zusammenarbeit des multiethnischen Bündnisses mit der internationalen Koalition gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) und leitete das Militärbüro für auswärtige Angelegenheiten in der ostsyrischen Region Deir ez-Zor. Er gehörte der in Dêrik ansässigen bekannten Familie Şiblî an, die seit jeher tief verbunden ist mit der kurdischen Befreiungsbewegung sowie der Revolution von Rojava und zahlreiche Gefallene opferte. Sein älterer Bruder Ferhad Şiblî, der stellvertretender Vorsitzender des Exekutivrats der Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES) war und 2022 bei einem gezielten Luftangriff der Türkei in Südkurdistan getötet wurde, ist nur einer von ihnen. Sein Cousin Îsam Şiblî starb 2014 bei der Verteidigung der Ezidinnen und Eziden in Şengal, sein Zwillingsbruder verlor im selben Jahr im Kampf gegen den IS in Rojava sein Leben.

2022 Anschlag überlebt

Es handelte sich nicht um den ersten gezielten Anschlag des türkischen Staates gegen Ferhad Dêrik. Im Oktober vergangenen Jahres überlebte er einen Drohnenangriff gegen seine Person schwer verletzt. Er befand auf dem Rückweg von einer Gedenkfeier für Hevrîn Xelef, als sein Fahrzeug in der Nähe des Flüchtlingslagers Newroz in Dêrik von einer Killermaschine des NATO-Staates Türkei bombardiert wurde. Ibrahim Bassam Mikhail von der Kommandantur der christlichen Sicherheitsbehörde Sutoro starb bei dem Angriff.

In der Verteidigung von Rojava aktiv war Ferhad Dêrik seit mehr als einem Jahrzehnt. Er hatte sich zunächst den Selbstschutzeinheiten „Yekinêyên Xweparastina Gel“ (YXG) angeschlossen, ein gemischtgeschlechtlicher Kampfverband, der im Jahr 2011 kurz nach dem Aufkommen des „Arabischen Frühlings“ in Syrien konspirativ gegründet worden war. Er wirkte maßgeblich daran mit, als damals erste Selbstverteidigungseinheiten in Vierteln und Dörfern sowie Patrouillen in Straßen aufgebaut wurden, die sich gegen Dschihadistenmilizen wie Al-Nusra zur Wehr setzten und die Zivilbevölkerung schützten. Als die YXG 2012 zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) umstrukturiert wurden, nahm er seinen Platz in deren Reihen ein.

„Ferhad Dêrik war für seine Bescheidenheit, Ehrlichkeit und harte Arbeit bekannt. Er war ein großer Geist und großer Revolutionär; Freundschaft, Genossenschaftlichkeit, Verbundenheit, Vertrauen und Gemeinschaft waren die Basis seiner Beziehungen zu Mitmenschen und seines Handelns. Ferhad Dêrik war wie eine Fackel, deren Feuer nie erlosch, er arbeitete unermüdlich Tag und Nacht. Er folgte dem Pfad der Revolution und tat dies für die Freiheit seines Volkes”, beschreiben die QSD ihren ermordeten Kommandanten.

Ferhad Dêrik © Mohammad Hasan

Fluchtkorridor für Ezid:innen in Şengal freigekämpft

Im Kampf gegen den IS spielte Ferhad Dêrik ebenfalls eine maßgebliche Rolle. Er beteiligte sich an nahezu allen Großoffensiven der QSD gegen die Terrorgruppe, die 2014 halb Syrien und weite Teile des Iraks überrannt hatte, um ein „Kalifat“ zu errichten. Er verteidigte Rojava damals in Til Koçer und Til Hemîs und gehörte später zu jenen Einheiten der YPG und YPJ (Frauenverteidigungseinheiten), die zusammen mit der PKK-Guerilla im ezidischen Siedlungsgebiet Şengal einen Fluchtkorridor freikämpften, über den Hunderttausende Menschen vor dem IS-Genozid im August 2014 gerettet wurden.

Widerstand gegen Angriffskrieg auf Serêkaniyê und Girê Spî

Auch kämpfte Ferhad Dêrik in Til Birak, Hesekê und Til Temir gegen den IS, war an der Befreiung von Raqqa beteiligt und leistete Widerstand gegen den türkischen Angriffskrieg vom Oktober 2019, an dessen Ende die Städte Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) von der Türkei und ihren Islamistensöldnern besetzt wurden. „Viele Male wurde Hevalê Ferhad an der Front verwundet, aber selbst noch so schwere Verletzungen konnten seinen Willen nicht brechen. Er hat seinen Kampf in den Reihen des Widerstands gegen die Terroristen und Besatzer immer fortgesetzt, da er seinem Versprechen, sein Volk zu schützen, verpflichtet war“, betonen die QSD. Den Angehörigen des Kommandanten und der Bevölkerung Nord- und Ostsyriens spricht das Bündnis sein Mitgefühl aus.

Ignorierter Drohnenkrieg

In der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien sterben immer wieder Menschen durch völkerrechtswidrige Drohnenangriffe, die von der Türkei verübt werden. Die Angriffe richten sich gezielt gegen Vertreterinnen und Vertreter der Selbstverwaltungsstrukturen, Mitglieder von Kampfverbänden sowie die Zivilbevölkerung und werden von Killermaschinen ausgeführt, die unbehelligt im von den USA und Russland kontrollierten Luftraum von Syrien unterwegs sind. Die internationale Gemeinschaft ignoriert diesen antikurdisch motivierten Drohnenkrieg der Türkei, der im Juni 2020 mit der Ermordung von drei Vertreterinnen des Frauendachverbands Kongra Star in Kobanê begonnen hatte. Seitdem fanden weit mehr als 200 weitere Drohnenschläge statt. Einer dieser gezielten Angriffe tötete letzten Sonntag in Qamişlo die Frauenaktivistin Remziye Altuğ. Killerdrohnen setzte der türkische Staat auch während einer Luftoffensive zwischen dem 4. und 10. Oktober ein, die zur Vernichtung von achtzig Prozent der Infrastruktur Nord- und Ostsyriens führte. Bei den Angriffen wurden zudem knapp fünfzig Menschen getötet, Dutzende weitere erlitten teils schwere Verletzungen. In Südkurdistan fordert der türkische Drohnenterror ebenfalls immer wieder Todesopfer.