Gefallenengedenken in Kobanê

Anlässlich des Welt-Kobanê-Tages wird der Gefallenen der Rojava-Revolution gedacht. An den Gräbern der Kämpferinnen und Kämpfer, die in Kobanê auf dem Şehîd-Dîcle-Friedhof liegen, werden Kerzen entzündet.

Noch während dem Kampf um Kobanê wurde 2014 der 1. November zum Welt-Kobanê-Tag erklärt. In einer einzigartigen Solidaritätswelle gingen damals weltweit Millionen Menschen auf die Straßen, um die westkurdische Stadt in Nordsyrien gegen den IS zu verteidigen. Auch in diesem Jahr fanden in zahlreichen Ländern wieder verschiedene Aktivitäten statt, denn Kobanê und ganz Rojava sind weiterhin akut durch die Angriffsdrohungen des türkischen Staates gefährdet.

In Kobanê selbst wurde der heutige Tag auf dem Şehîd-Dîcle-Friedhof begangen. Die Ruhestätte, benannt nach einer im Widerstand um Kobanê gefallenen YPJ-Kämpferin, beherbergt die Gräber hunderter gefallener Kämpferinnen und Kämpfer der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten, die dem sogenannten IS in Kobanê die erste und vor allem entscheidende Niederlage beibrachten. Ihre Angehörigen kommen zu Feiertagen und Geburtstagen, am Tag der Gefallenen am 18. Mai und am Welt-Kobanê-Tag hierher, um Kerzen zu entzünden, zu trauern, Gebete zu sprechen und an sie zu erinnern. Traditionell verwandelt sich der Friedhof dann in ein Kerzenmeer.

Friedhof Şehîd Dîcle © Nazım Daştan | MA

Der Kampf um Kobanê

Im September 2014 erschütterte der Vormarsch der Miliz „Islamischer Staat“ (IS) nicht nur den Mittleren Osten – die unvorstellbare Brutalität der Terrorgruppe machte auch den Rest der Welt fassungslos. Die unter anderem mit erbeuteten US-Waffen aus irakischen Beständen und türkischer Unterstützung hochgerüstete Dschihadistenorganisation hatte nach der kampflosen Einnahme von Mosul ihr Augenmerk auf Nordsyrien und insbesondere auf Kobanê gerichtet. Nichts schien die Islamisten zu stoppen, nachdem Raqqa überrannt und die Hälfte Syriens für das selbsternannte „Kalifat“ beansprucht wurde.

In Raqqa hatte sich der IS zudem reichlich mit russischen Waffen ausgestattet und marschierte direkt weiter auf Kobanê. Mit der Übernahme der Region wollte sich der IS eine weitere Verbindung zu seinen Nachschubwegen in die Türkei öffnen und der demokratischen Selbstverwaltung einen empfindlichen Schlag versetzen. Da die Selbstverwaltung für die Türkei den Hauptfeind darstellte und auch von den übrigen NATO-Staaten abgelehnt wurde, wurde Kobanê abgeschrieben.

© Nazım Daştan | MA

Am 13. September 2014 wurde die Stadt schließlich vor den Augen der internationalen Gemeinschaft zunächst umzingelt, bevor sie mit türkischer Schützenhilfe barbarisch angegriffen wurde. Innerhalb weniger Tage wurden knapp 300 Dörfer vom IS eingenommen. Der Angriff löste eine riesige Fluchtwelle aus. Über 300.000 Menschen flüchteten über die türkische Grenze nach Pirsûs (Suruç). Hunderte in der Stadt verbliebene Menschen leisteten erbitterten Widerstand gegen die schwer bewaffneten Islamisten. In Kobanê war am 19. Juli 2012 die demokratische Autonomie ausgerufen worden. Durch eine friedliche Revolution konnte die Kontrolle über die Stadt gewonnen werden und die Revolution von Rojava breitete sich aus.

Während Erdoğan als Schutzpatron des IS bereits triumphierend den Fall Kobanês ankündigte, und US-Außenminister John Kerry erklärte, so bedauerlich es sei, werde man nicht eingreifen, denn Kobanê habe keine „strategische Bedeutung“, geschah etwas, das beide nicht vorausgesehen hatten: Das letzte Wort wurde von denen gesprochen, die Widerstand leisteten. Der hartnäckige Widerstand der YPG und YPJ, der Menschen in Kobanê und weltweiter Protest bildete den entscheidenden Wendepunkt und zwang die USA zur Unterstützung.

© Nazım Daştan | MA

Schließlich griff die internationale Anti-IS-Koalition ein und bombardierte strategische Punkte des IS. Die Kämpferinnen und Kämpfer der YPJ/YPG befreiten die Stadt am Boden: Haus für Haus, Straße für Straße, Viertel für Viertel. In Kobanê wurde 134 Tage Widerstand geleistet, bis die vollständige Befreiung am 26. Januar 2015 deklariert werden konnte. Dieser Sieg gilt heute als der Beginn der Niederlage des IS.

Heute droht Kobanê die Besatzung durch die Türkei. In der vom Erdogan-Regime aufgestellten „Syrischen Nationalarmee“ (SNA), die für die Besatzung von Serêkaniyê und Girê Spî im Oktober 2019 als Bodentruppen eingesetzt wurde, befinden sich zahlreiche ehemalige IS-Mitglieder.