Tuncer Bakırhan, Ko-Vorsitzender der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), sprach auf der Fraktionssitzung seiner Partei insbesondere über die aktuellen Entwicklungen rund um die Beschlüsse des 12. Kongresses der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), nach dem diese ihre Auflösung und das Ende des bewaffneten Kampfes verkündete. Er begann seine Ausführungen mit einer Gratulation zum Tag der kurdischen Sprache am 15. Mai und hielt einen Teil seiner Rede auf Kurdisch: „Herzlichen Glückwunsch zum Tag der kurdischen Sprache. Unsere Sprache ist alles für uns. Jedes Volk sollte seine eigene Sprache lernen. Bildung in der eigenen Muttersprache ist ein Recht.“
Der Ko-Vorsitzende der DEM-Partei erinnerte auch an den Jahrestag des Massakers in der Soma-Mine, gedachte der Opfer und betonte, dass man sich weiterhin um Gerechtigkeit für sie bemühen werde.
Die Menschen in der Türkei sehnen sich nach Frieden
Bakırhan sagte, dass man sich inmitten eines sehr bedeutsamen Prozesses befinde und dass die Tür zu einer lang erwarteten Zeit, in der wirklich über Frieden und eine Lösung gesprochen werde, endlich geöffnet worden sei. Er fügte hinzu: „Die Herzen von 86 Millionen Menschen schlagen wirklich für den Frieden. Nach den jüngsten Erklärungen, während der Besuche, Treffen, Kundgebungen und Versammlungen, die wir abgehalten haben, haben wir alle gesehen, wie sehr sich die Menschen in der Türkei nach Frieden sehnen.“
Ein Prozess, auf den Millionen gewartet haben
Die aktuelle Situation sei durch das beharrliche Streben nach Frieden und einer demokratischen Gesellschaft erreicht worden. In den vergangenen Jahrzehnten sei die Hoffnung trotz immenser Unterdrückung nicht aufgegeben worden.
Bakırhan zitierte: „Wie der kurdische Dichter Pîremêrd schrieb: ‚Man sagt, ein Jahr hat zwölf Monate, aber fragt mich, ich habe Monate erlebt, die sich wie vierzehn Jahre anfühlten.‘ Wir Kurd:innen haben in den vergangenen vierzig Jahren des Schmerzes und der Unterdrückung so viele Tage erlebt, dass sich jeder von ihnen wie ein ganzes Jahr anfühlte. Ich hoffe aufrichtig, dass wir jetzt beginnen können, unsere Tage so zu leben, wie sie sind, frei von Schmerz, Krieg und Konflikt.
Jeder einzelne Tag, an dem wir auf Frieden und eine Lösung gewartet haben, fühlte sich wie ein Jahr an. Ich glaube, viele unserer Freund:innen hier haben solche Zeiten erlebt, in denen jeder Tag das Gewicht eines ganzen Jahres hatte. Möge niemand jemals wieder solches Leid durchleben müssen.“
Wir werden die Fahne der Freiheit an ihren rechtmäßigen Platz tragen
Mit Verweis auf den 12. Kongress der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), der vom 5. bis 7. Mai 2025 stattfand, und die am 12. Mai verkündeten Beschlüsse, betonte Bakırhan, dass der 12. Mai als der Tag in die Geschichte der Türkei eingehen wird, „der den Beginn der Befreiung von der schweren Last der Vergangenheit markiert“.
Er würdigte die großen Entbehrungen und Opfer, die sowohl die Gesellschaft wie auch die Militanten der kurdischen Freiheitsbewegung erbracht haben und gedachte der Gefallenen: „Wir gedenken mit Dankbarkeit und Respekt jeder Seele, die wir im Kampf für Frieden und Demokratie verloren haben. Wir verneigen uns in Ehrfurcht vor ihrem Andenken, und gemeinsam mit diesen reinen Herzen, die aufrichtig applaudieren, erneuern wir unser Versprechen: Wir werden ihre Fahne des Friedens, der Demokratie und der Freiheit an den ihr gebührenden Platz tragen.“
Der Beginn einer neuen Ära
Der kurze, aber bedeutsame Zeitraum vom 27. Februar bis zum 12. Mai habe das Ende einer vergangenen und den Beginn einer neuen Ära signalisiert. Bakırhan führte aus: „Der unter der Führung von Herrn Öcalan eingeleitete Wandel stellt einen der tiefgreifendsten Wendepunkte sowohl in der politischen Geschichte Kurdistans als auch in der Geschichte der Türkei dar.
Jetzt weicht der unter großen Opfern geführte Kampf der Lösung der Frage und dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft. Diese Entscheidung ist auch ein Aufruf, die kurdisch-türkischen Beziehungen auf eine demokratische Grundlage zu stellen, die Idee eines gemeinsamen Heimatlandes zu stärken und eine friedliche Lösung voranzutreiben. Es ist eine Botschaft, die sich nicht nur an das kurdische Volk, sondern auch an die türkische Gesellschaft und die internationale Gemeinschaft richtet.“
Die wahren Träger:innen des Prozesses
Bakırhan unterstrich, dass es die tiefgreifende Verantwortung der Politik sei, den Friedensprozess dauerhaft zu machen und die notwendigen rechtlichen und politischen Reformen in die Wege zu leiten. Die internationale Gemeinschaft habe die Pflicht, echte Unterstützung und Solidarität in dieser kritischen Phase zu leisten.
Gleichzeitig betonte er: „Das Parlament, die politischen Parteien, die Zivilgesellschaft, die demokratischen Massenorganisationen, die Intellektuellen, die Schriftsteller:innen und die Kunstschaffenden sind die wahren Träger:innen dieses Prozesses. Wir haben keinen Zweifel daran, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun werden, um den Erfolg dieses Prozesses zu gewährleisten.“
Humane, konkrete und vertrauensbildende Schritte sind unerlässlich
Die aktuellen Äußerungen von Politikern wie Devlet Bahçeli und Özgür Özel, begrüßte Bakırhan als sinnvoll und wichtig. Er stellte jedoch auch fest, dass entsprechende Schritte nicht weiter verschoben werden dürften: „Wir erwarten, dass das Exekutivorgan seine Verantwortung und Pflichten entsprechend wahrnimmt.“
Eine Entscheidung, die das Schicksal der Türkei verändern könnte
Der Ko-Vorsitzende der DEM-Partei erklärte anhand einer Metapher über den Streit um einen Brunnen, der lebenswichtiges Wasser spendet, den Verlauf des Konflikts, der nun an einen entscheidenden Wendepunkt gekommen sei. Er verdeutlichte die Notwendigkeit, dass alle Völker der Türkei gemeinsam an einer demokratischen Lösung arbeiten müssen: „Wir müssen eine Entscheidung treffen: Entweder der Brunnen versiegt vollständig, oder wir reichen uns die Hände, stehen Schulter an Schulter und arbeiten gemeinsam daran, das Wasser zurückzuholen, um die Welt um uns herum zu stärken und zu beleben. Dieses Wasser, dieser Brunnen, das ist unser gemeinsames Schicksal. Heute sind wir die Türkei und stehen gemeinsam am Rande dieses Brunnens.
Unsere Herzen sind vom Durst versengt, unsere Länder von der Dürre zerrissen, und wir finden uns heute am Rande dieses Brunnens versammelt und schauen uns gegenseitig in die Augen. Wir erleben historische Tage, Tage, in denen wir das ausgetrocknete Wasser wiederbeleben und neue Quellen des Lebens öffnen müssen.“
Eine gleichberechtigte und demokratische Zukunft
In der Erklärung von Bahçeli am 22. Oktober, dem historischen Aufruf von Öcalan am 27. Februar und dem Engagement von Erdoğan am 10. April sieht Bakırhan wichtige Wegweiser auf einem Weg zum Frieden. Die von der PKK am 12. Mai verkündeten Kongressbeschlüsse bezeichnete er als „Tür zu einer neuen Ära“, die nun „eine gleichberechtigte und demokratische Zukunft“ ankündigten.
Eine kleine, durch den Frieden gestörte Minderheit muss sich ihrem Gewissen stellen
Um diesen Prozess zu einem Erfolg werden zu lassen, sei insbesondere die Geschwisterlichkeit der Völker in der Türkei bedeutsam: „Es ist an der Zeit, das Leben dem Tod vorzuziehen, den Frieden dem Konflikt und der Gewalt. Diejenigen, die noch draußen bleiben, vertraue ich ihrem Gewissen an. Es ist schwer zu verstehen, warum sie sich nicht anschließen wollen.
Ein Krieg geht zu Ende, und doch sehen wir eine kleine Minderheit, die in ihren sicheren Häfen gestört wird, diejenigen, die sich von Blut ernähren, die sich von Waffen ernähren, die sich von dem Verlust unserer Jugend ernähren. Möge Gott ihnen Weisheit schenken. Und hoffentlich werden auch sie im Laufe dieses Prozesses zur Einsicht kommen, dass sie einen Fehler begangen haben.“
Die Last der Vergangenheit hinter sich lassen
Am Beispiel Mandelas verdeutlichte Bakırhan die Bedeutung einer aufrichtigen Herangehensweise, die die Wiederholung einer schmerzhaften Geschichte verhindern kann. Nelson Mandela war 27 Jahre inhaftiert und wurde brutal gefoltert, weil er sich gegen die Unterdrückung und Verleugnung seines Volkes und seiner Identität wehrte.
Nach seiner Freilassung habe er in einem Restaurant einen der Wärter erkannt, die ihn im Gefängnis gefoltert hatten. Als der Wachmann realisierte, dass Mandela ihn erkannt hatte, geriet er in Panik. Daraufhin sei Mandela zu seinem Tisch gegangen und habe gesagt: „Haben Sie keine Angst. Ich bin nicht an diesen Tisch gekommen, um die Last der Vergangenheit zu tragen. Ich habe sie hinter mir gelassen.“
Die Sprache der Rache wird nicht zur Lösung führen
Bakırhan schloss seine Ausführungen mit den Worten: „Heute sitzt unser Weggefährte, unser weiser Ältester Ahmet Türk, unter uns. Er erzählte einmal von den Folterungen, die er im Diyarbakır-Gefängnis ertragen musste. Glauben Sie mir, das Leid, das er durchgemacht hat, ist unvorstellbar. Dennoch haben wir über 30 Jahre lang gemeinsam in der Politik gearbeitet, und nicht ein einziges Mal hat er mit Hass oder Rachegefühlen in seinem Herzen gesprochen.
Er ließ den Schmerz, den er erlebt hatte, hinter sich und sprach weiterhin von Frieden, Demokratie und Lösung. Diese würdevolle, prinzipientreue Haltung muss unterstützt und aufrechterhalten werden.
Frieden gehört in dieses Land
Natürlich werden wir die Vergangenheit nie vergessen. Wir werden uns ihr stellen. Aber ohne uns von ihr gefangen nehmen zu lassen, müssen wir uns bemühen, eine demokratische, egalitäre und friedliche Türkei aufzubauen. Es kommt darauf an, dass wir mit Mut und Entschlossenheit handeln. Es kommt darauf an, dass wir unsere politischen Ambitionen oder die blutbefleckte, profitorientierte Denkweise nicht über die Sache des Friedens stellen.
Lassen Sie uns gemeinsam Frieden finden in der alawitischen Semah, einem spirituellen Kreistanz, der Einheit und Harmonie symbolisiert, in den sunnitischen Gebeten, in den türkischen Volksliedern, im traditionellen kurdischen Kilam, der Geschichten von Liebe, Widerstand und Trauer der kurdischen Dengbêjs vermittelt, in den armenischen Klagen, den tscherkessischen Tänzen und den lazischen Horons. In all diesen Dingen offenbart sich der Frieden auf so wunderbare Weise, wenn wir nur bereit sind, ihn mit unserem Herzen zu sehen.
Es gibt ein wichtiges kurdisches Sprichwort: ‚Wenn eine Gelegenheit vor deiner Tür steht, ist es verboten, sie zu vertrösten.‘ Und heute ist es verboten, den Frieden aufzuschieben. Der Frieden ist heilig, denn er ist das, was wirklich in dieses Land gehört.“