Aus Sorge um die Sicherheit und Gesundheit von Abdullah Öcalan sind in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien (AANES) tausende Menschen auf die Straße gegangen, und Klarheit über die Situation auf Imrali einzufordern. Seit über zwei Jahren wird der kurdische Vordenker auf der Gefängnisinsel im Marmarameer, dem türkischen Gegenstück zu Robben Island, von seiner Außenwelt isoliert. Trotz regelmäßiger Besuchsanträge seines Anwaltsteams und Familienangehörigen und entgegen mehrmaligen Aufforderungen des UN-Menschenrechtsausschusses an die Regierung in Ankara, die Isolation aufzuheben, wird jeglicher Kontakt zu Öcalan von den türkischen Behörden rechtswidrig und systematisch verhindert. Das sorgt nicht nur bei der kurdischen Öffentlichkeit für Unruhe.
In insgesamt neun Städten forderten Demonstrationen am Sonntag die umgehende Aufhebung der Isolationshaft Öcalans und unverzüglichen Kontakt des 74-Jährigen mit seinem Verteidigungsteam ein. Seit 2019 hat Öcalan seine Rechtsanwält:innen nicht treffen können, seine drei Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş haben seit ihrer Verlegung auf Imrali im Jahr 2015 gar keinen Kontakt mehr zu ihren Rechtsbeiständen gehabt. Der letzte physische Kontakt mit ihnen fand im Rahmen eines Familienbesuchs im März 2020 statt. Rund ein Jahr später erlaubten die türkischen Behörden noch ein Telefonat. Seitdem sind 26 Monate vergangen und die Imrali-Gefangenen werden weiterhin in absoluter Isolationshaft gehalten – laut dem Istanbuler Rechtsbüro Asrin, das Öcalan und seine Mithäftlinge vertritt, ist das ein Zustand, der gegen universelle Rechtsstandards und nationale Gesetze verstößt und Folter und Misshandlung darstellt.
Den Zustand der Beunruhigung und Ungewissheit bei der Öffentlichkeit angesichts der Abwesenheit von Informationen aus Imrali verschärft hat ein Hinweis von Sabri Ok, Mitglied des Exekutivrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans), wonach Abdullah Öcalan diverse Drohbriefe erhalten habe. Darauf verwies Mistefa Ehmed, Ko-Vorsitzender des Verbands der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) in der Cizîrê-Region, bei einer Demonstration in Qamişlo. In diesen Briefen seien konkrete Gewaltandrohungen und Todesdrohungen gegen den Begründer der PKK enthalten, hatte Ok kürzlich im kurdischen Fernsehsender Stêrk TV geäußert. In der Sendung rief Ok zudem die Bevölkerung Kurdistans dazu auf, den Kampf gegen die Imrali-Isolation als eine gesamtgesellschaftliche Mission zu betrachten und angemessene Reflexe zu zeigen.
„Dass wir hier heute zusammengekommen sind mit allen Farben, die das Mosaik Syriens repräsentieren, und vereint ‚Bê Serok Jiyan Nabe‘ rufen, ist unsere gemeinsame Antwort auf die Isolation, mit der in der Person Abdullah Öcalans die kurdische Gesellschaft und die Öffentlichkeit Nord- und Ostsyriens als Ganzes unterworfen werden soll“, sagte Ehmed. Öcalan stehe für Menschlichkeit und Demokratie, nach seinen Ideen hätten die Völker Nord- und Ostsyriens – Kurd:innen, Araber:innen, Tscherkess:innen, Turkmen:innen, Armenier:innen, Assyrer:innen – eine radikaldemokratische, feministische und ökologische Alternative aufgebaut, um zu einer demokratischen Nation zu werden. „Öcalan wurde damit zu einem Symbol der Hoffnung auf Frieden und Demokratie in einer krisengeschüttelten Region. Das beispiellose Haftregime, das auf seine körperliche und psychische Vernichtung abzielt, verfolgt gleichermaßen das Ziel, unseren Willen zu brechen.“
Doch der „revolutionäre Kampf gegen die Politik der Türkei, die ein „Besatzerstaat“ sei, werde weitergehen, betonte Ehmed. „Die Philosophie von Abdullah Öcalan ist der einzige Weg, der uns zur Freiheit führt. Deshalb mahnen wir internationale Gremien und Organisationen wie die Vereinten Nationen und den Europarat zum Eingreifen. Sie müssen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und den türkischen Staat zwingen, die Menschenrechte von Abdullah Öcalan zu respektieren“, forderte der PYD-Politiker. Ehmed grüßte zudem die Menschen, die zeitgleich in Hesekê, Dêrik, Til Birak, Til Temir, Dirbêsiyê, Girkê Legê, Şedadê und Til Hemîs auf der Straße waren.
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