Bilanz nach zwei Jahren Besatzung: Plünderungen, Folter, Mord

Am 20. Januar 2018 begann der türkische Staat 72 Jahre nach der Zerschlagung der kurdischen Republik Mahabad mit 72 Kampfflugzeugen eine Invasion auf Efrîn. Seitdem sind zwei Jahre vergangen. Die Bilanz: Plünderungen, Raub, Mord und Zerstörung.

Vor zwei Jahren - am 20. Januar 2018 - begann die türkische Invasion in Efrîn. War es der Region im gleichnamigen nordsyrischen Kanton mit der Revolution von Rojava am 19. Juli 2012 gelungen, sich im Machtvakuum des syrischen Bürgerkriegs größtenteils von der Herrschaft des Baath-Regimes zu befreien und inmitten eines türkisch-dschihadistischen Kessels eine basisdemokratische Gesellschaftsform nach dem Modell des flexiblen, multikulturellen, antimonopolistischen und konsensorientierten „Demokratischen Konföderalismus“ – die Etablierung einer freiheitlichen, ökologischen, geschlechterbefreiten Gesellschaft – aufzubauen und sich trotz Bedrohungen von außen ökonomisch, kulturell und politisch weiterzuentwickeln, brachte die „Operation Olivenzweig“, wie die türkische Regierung ihren völkerrechtswidrigen Angriff zynisch nennt, Leid, Tod und Zerstörung.

Mit 72 Kampfflugzeugen, Hunderten Schützenpanzern und Artilleriegeschossen, Tausenden Soldaten und 25.000 islamistischen Proxys bombardierte die Türkei Wohngebiete und tötete Hunderte Zivilisten, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche.

Nach 58 Tagen Widerstand gegen die zweitgrößte NATO-Armee und ihre dschihadistischen Verbündeten entschieden sich die Autonomieverwaltung und die YPG-Kommandantur von Efrîn zum Rückzug, um weitere Massaker zu verhindern. Am 18. März 2018 wurde Efrîn schließlich von den Invasionstruppen eingenommen. Die mehr als 250.000 Vertriebenen aus der einst sichersten Region Syriens leben noch immer in provisorischen Camps im wüstenähnlichen Niemandsland Şehba, das zwischen Aleppo und Efrîn liegt. Diese Menschen sind seit März 2018 von der Außenwelt abgeschnitten, ihre einstige Heimat ist heute ein Zentrum von Plünderungen, Folter und Massakern. Doch ihr Kampf gegen die Besatzung geht auch heute weiter.

Seit der Antike besiedelt

Die mehrheitlich kurdisch besiedelte Region Efrîn gehört zu den altbesiedelten Bergländern, die nie von Nomaden bedroht waren, sondern seit der Antike durchgehend besiedelt sind. Dies unterscheidet Efrîn von Kobanê oder der Cizîrê-Region, die erst zwischen den beiden Weltkriegen wieder systematisch unter den Pflug kamen. Der Kanton ist von zwei türkischen Provinzen umschlossen – im Norden von Kilis und im Westen von Hatay, umfasst die Region Çiyayê Kurmenc (oder Kurd Dagh/Dschabal al-Akrad: „Berg der Kurden“) und enthält die Städte Efrîn im Zentrum und darüber hinaus Şêrawa, Cindirês, Mabeta, Reco, Bilbilê, Şiyê und Şera. Der Name Efrîn bedeutet auf Kurdisch „gesegnete Schöpfung“.

545 Zivilisten innerhalb von zwei Jahren getötet

Innerhalb von zwei Jahren wurden in Efrîn, einst ein Ort für multireligiöses Zusammenleben, Solidarität und Mitgefühl, der für intelligente postpatriarchale Strukturen stand, an denen Minderheiten und Frauen beteiligt sind, mindestens 545 Zivilist*innen getötet, Tausende weitere verschleppt oder „verschwundengelassen”. Dutzende Häuser und Schulen wurden in Folterzentren verwandelt. Seit Beginn der Invasion ist die Region einem andauernden Angriffskrieg gegen Mensch, Natur, Kultur und Geschichte ausgesetzt.

6000 Entführungsfälle unter türkischer Besatzung

Nach Angaben der „Menschenrechtsorganisation Efrîn“ wurden in den letzten zwei Jahren mehr als 6.000 Fälle von Entführungen registriert. Bei etwa 3.300 der Fälle gibt es aktuell keine Informationen darüber, wo die Opfer festgehalten werden und wie ihr Zustand ist. Die Anzahl der seit dem 20. Januar 2018 getöteten Zivilisten bezifferte die Organisation mit insgesamt 545, darunter 486 Opfer von Bombardierungen und weitere 54 Opfer von Folter. Die Zahl der getöteten Frauen beläuft sich auf 50. Die Zahl der verletzten Zivilisten im selben Zeitraum auf 670, darunter 210 Frauen und mehr als 300 Minderjährige. Mindestens 60 Frauen wurden Opfer von Vergewaltigungen durch türkische Soldaten oder Dschihadisten. Außerdem wurden 700 Fälle von Folter dokumentiert.

Die von Ankara gesteuerten Besatzungstruppen nutzen zudem Entführungen zur Lösegelderpressung. Die Methode ist zu einer lukrative Einnahmequelle geworden. So wurden bisher mindestens 500 Fälle von Entführungen bekannt. Was schwankt, sind die Lösegeldforderungen. Pro-türkische Milizen verlangen je nach Zahlungskraft der Opferangehörigen zwischen 3000 und 100.000 Euro.

Plünderungen, Raub, Zerstörung

Am 18. März 2018 fielen die islamistischen Verbündeten der Türkei nach wochenlanger Belagerung über das Zentrum von Efrîn her. Systematisch wurden öffentliche Gebäude, Geschäfte und Wohnhäuser geplündert. Der AFP-Fotograf Bülent Kilic dokumentierte das Geschehen mit seiner Kamera und fing ein, wie die Dschihadisten mit gestohlenen Traktoren ganze Wagenladungen voller Beute fortfuhren. Stolz präsentieren sie ihre Beute, die „Ghanima”, die im Koran allen „Kämpfern des Islam” versprochen wird.

Die Türkei praktizierte neben der Politik der ethnischen Säuberungen auch eine klassische Kolonialpolitik gegenüber Efrîn. Von den insgesamt 270 Olivenpressen, die sich zu Beginn der Invasion in Efrîn befanden, wurden 140 von Dschihadisten geraubt und in Azaz oder direkt in der Türkei verkauft. Die Besitzer der übrigen Maschinen sahen sich gezwungen, Deals mit Milizfunktionären einzugehen, damit ihre Pressen nicht geraubt werden.

Die Arbeitsmaschinen von sieben Reis- und Seifenfabriken in Efrîn sowie die Lagerbestände wurden vollständig ausgeplündert. Die geraubten Waren verkaufte man auf Märkten in den türkischen Besatzungszonen Nordsyriens wie beispielsweise Azaz oder al-Bab. Das Ausmaß der Plünderungsmaschinerie sieht mittlerweile so aus, dass auch der Besitz einiger arabischer Familien, die sich der Besatzung nicht widersetzten, und der ENKS-Mitglieder, die als kurdische Vertreter der türkischen Besatzungsmacht dienten, gewaltsam entwendet wird.

Auch nahezu der gesamte Bestand von Nutztieren in Efrîn wurde geraubt. Von den etwa 100.000 Tieren sind der Stadt nur noch rund 20.000 geblieben, heißt es in einem Bericht der „Menschenrechtsorganisation Efrîn“.

Türkei bereichert sich an Efrîns Olivenproduktion und Landwirtschaft

Der Prozess der Plünderung wurde mit dem Diebstahl des Hauptprodukts von Efrîn, der Oliven vollendet. Nach Angaben des Landwirtschaftsrates schafften die Besatzungstruppen im Jahr 2018 zwischen 20 und 25 Tausend Tonnen Getreide in die Türkei. Neben türkischen Firmen sollen auch tunesische Konzerne an diesem Geschäft beteiligt sein. Acht Prozent der Einnahmen flossen an sie.

Seit dem Einmarsch der Besatzer wurden in Efrîn zudem Tausende Hektar landwirtschaftliche Fläche und Wald niedergebrannt. Schon in den Jahren vor der Besatzung hatte der türkische Staat die Grenze illegal verletzt und 4.500 Olivenbäume zerstört. Vom 18. März 2018 bis heute brannten die Aggressoren mehr als 10.000 Olivenbäume nieder und schafften Hunderttausende über die Grenze. Vor der Besatzung produzierten von den 18 Millionen Olivenbäumen in Efrîn rund 14 Millionen hochqualitative Früchte. Rund 220.000 Tonnen der Ernte raubte die Türkei allein im Jahr 2018. Für den Ausverkauf nach Spanien setzte Ankara sogar einen Handelsplan ins Werk. So wurde am 8. November 2018 bekanntgegeben, dass der „Grenzübergang Olivenzweig“ in Efrîn-Cindirês für den Handel geöffnet wird. Damit begann die Umsetzung des Plans zum Ausverkauf der Oliven. Der Türkei selbst befand sich schon damals in einer tiefen ökonomischen Krise, die sich vor allem durch die Milliardenverluste des Krieges im eigenen Land und allen vier Teilen Kurdistans aufgrund der Kurdenphobie der Regierung ständig vertiefte. Der Staat wollte durch die Ausplünderung der Oliven im besetzten Efrîn eine weitere Einkommensquelle für den schmutzigen Krieg schaffen.

Efrîns Oliven nach Spanien verkauft

ANF veröffentlichte damals ein Protokoll eines Treffens unter Aufsicht des türkischen Geheimdienstes MIT, zwischen den Besatzungsräten und den Kommandanten der sogenannten FSA-Milizen. In diesem Protokoll geht es um die Abfuhr der Oliven in die Türkei und die Verschleierung des Olivenraubs in Efrîn. Bezüglich der Nichtverbreitung dieses Abkommens wurde den Parteien Schweigegeld gezahlt. Über die „Räte“ flossen 22 Millionen Dollar an die Dschihadisten, damit diese ihnen die Olivenhaine der aus Efrîn geflohenen Bevölkerung überantworten. Dieser Raub wurde unter dem Motto „Die FSA übergibt den Lokalräten die Olivenhaine“ legitimiert.

Später musste die AKP-Regierung die Ausplünderung der Oliven Efrîns offen zugeben, nachdem die Demokratische Partei der Völker (HDP) dies immer wieder auf die Tagesordnung gebracht hatte. Der Land- und Forstwirtschaftsminister Bekir Pakdemirli äußerte am 16. November 2018 im Parlament: „Es ist klar, wir wollen nicht, dass die Gewinne an die PKK gehen. Wir wollen, dass die Gewinne aus diesem Gebiet unter unserer Kontrolle auf irgendeine Weise an uns gehen. Aus diesem Grund wurde der Landwirtschaftskreditkooperative ein Auftrag über 5.000 Tonnen erteilt und hierfür der Grenzübergang am 8. November geöffnet. Bisher sind 600 Tonnen geliefert worden.“ Zuvor hatte Nusrettin Maçin, ein Abgeordneter der HDP aus Riha (Urfa), berichtet, dass am 8. November 50.000 Tonnen Olivenöl über den „Olivenzweig“-Grenzübergang bei Cindirês in die Türkei gebracht worden sind. Bis zum Ende des Jahres kamen noch weitere 20.000 Tonnen hinzu. 2019 wurden wurden etwa 90.000 Tonnen Oliven in Efrîn geraubt. Von den 700.000 Granatapfelbäumen der Stadt sind heute ebenfalls kaum noch welche übrig. Etwa 450.000 Bäume, darunter 300.000 seltene heimische Baumarten und 15.000 alte Eichen, wurden zu Brennholz.

Angriffe auf das kulturelle Gedächtnis

Den „Grenzübergang Olivenzweig“, der offiziell am 8. März 2019 „ausschließlich” für die Lieferung von „humanitärer Hilfe” öffnete, nutzen die Besatzer auch für ihren Kunstdiebstahl. Das Kulturerbe, das nicht über die Grenze gebracht werden konnte, wurde kurzerhand pulverisiert. Einer der bekanntesten historischen Orte von Efrîn war der Ischtar-Tempel von Ain Dara. Die von den Hethitern und den Hurritern genutzte Anlage aus der aramäischen Ära zwischen 1300 und 700 vor Christus war 3.000 Jahre alt. Am 23. Januar 2018 wurde der Tempel von der türkischen Luftwaffe zu mehr als 60 Prozent zerstört. In der dritten Woche der Angriffe bombardierte die türkische Luftwaffe die 2300 Jahre alte seleukidische Anlage von Kyrrhos und den daneben befindlichen wichtigen christlichen Pilgerort Nêbî Hûri. Insgesamt wurden 42 historische Orte schwer beschädigt, geplündert oder zerstört. Rund 20.000 historische Objekte wurden in die Türkei verschleppt. Der Ko-Vorsitzende des Archäologiemuseums in Efrîn, Hamid Nasir, forderte internationale Einrichtungen auf, angesichts des Angriffs auf das Kulturerbe der Region eine Kommission einzurichten, die vor Ort und in türkischen Museen Untersuchungen durchführt. International herrschte jedoch eine bizarre Stille. Unterdessen wurde der Grenzübergang in Efrîn-Cindirês am 6. Januar 2020 für die Ein- und Ausfuhr ohne Einschränkungen freigegeben.

Angriff auf Ain Dara/Girê Darê: Am 27. Januar 2018 vernichtete das türkische Militär den in der Nähe des Dorfes Girê Dare befindlichen Ischtar-Altar aus dem 12. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung vollständig. Die Überreste der Siedlung und des Tempels waren zuvor von der UNESCO zu einem der wichtigsten historischen Orte Syriens erklärt worden.

Nebî Hûrî oder Cyrrhos: Die 2500 v.u.Z. errichtete von der UNESCO als schützensnotwendiger Ort anerkannte hurritische Stätte wird von den Kurd*innen Nebî Hûrî genannt. Die Griechen nannten diesen Ort Cyrrhos. Dort wurden die Kirchen des Heiligen Kozmas und Demianos errichtet. In der Kirche soll auch der Weise Seman El Xeyur begraben liegen. In der kleinen Stadt befand sich ein großer Platz mit einer Therme in der es immer warmes Wasser gab. Das Mausoleum des heiligen Nebî Hûri wurde im Südwesten der Siedlung entdeckt. Darüber war 1859 eine Moschee errichtet worden. Dieser historische Ort wurde dreimal aus der Luft bombardiert und erlitt schwere Schäden durch die Artilleriegeschosse der „FSA“-Milizen zerstört.

Römische Kirche beim Dorf Kalutê: Im Dorf Kalutê, etwa dreißig Kilometer südlich von Efrîn, befindet sich eine römische Kirche und andere historische Bauwerke. Das Dorf Kalutê wurde am zweiten und dritten Tag des Angriffs bombardiert. Im Ort befindet sich eine Kirche aus dem 2. Jahrhundert, im 4. Jahrhundert lebte dort Mar Maron, der Gründer der maronitischen Konfession. Als sich der Islam ausbreitete wurde dort eine Burg gebaut. Aufgrund der Bombardierungen wurde der südliche Teil des Ortes vollständig zerstört.

Das Dorf Elbiska: Elbiska liegt 40 Kilometer im Nordwesten von Efrîn. Zur Römerzeit befand sich hier eine Burg, eine Kirche und viele andere historische Bauten. Sie wurden durch Artilleriebombardement zerstört. Das türkische Militär und seine Milizen verweigern den Zugang zum Dorf.

Das Dorf Kolpe: Das Dorf Kolpe liegt 15 Kilometer im Südosten von Efrîn. Die dortigen Bauwerke aus der Mitanni Zeit wurden am 28. Januar von türkischen Bombern zerstört. Acht Dorfbewohner*innen starben, sieben weitere wurden verletzt.

Grab von Dr. Nurî Dersimi zerstört

Der Şêx-Zêd-Friedhof im Zêdiyê-Viertel von Efrîn wurde geplündert, die Gräber wurden zerstört. Der Şehîd-Seydo-Friedhof in Efrîn-Cindirês wurde ebenfalls vollständig eingerissen. Der Friedhof von Raco wurde mit Baumaschinen dem Erdboden gleichgemacht. Auch das Dorf von Dr. Nurî Dersimi an der Straße nach Meydankê wurde zerstört.

Zwölf ezidische Friedhöfe zerstört

In Efrîn und Umgebung wurden zwölf ezidische Friedhöfe verwüstet. Auf den zerstörten Friedhöfen wurden militärische Kontrollpunkte errichtet. Es handelt sich dabei um den Şêx-Berekat-Friedhof bei Basufan, den Şêx-Rikab-Friedhof bei Şadiriyê, den Şêx-Elî-Friedhof in Basufan, den Çelxane-Friedhof bei Qîbarê, den Şêx-Kursî-Friedhof bei Atme, den Şêx-Şemîs Adiya-Friedhof bei Qîbarê, den Barsê-Xatûn-Friedhof bei Qestel Cindo, den Şêx-Seyda-Friedhof bei Feqîra, den Bîr-Cefer-Friedhof bei Meşla, den Şêx-Xerbî-Friedhof bei Sînka und den Hogir-Friedhof bei Cirnê.

Auf dem Şêx-Berekat-Friedhof hat das türkische Militär eine Basis errichtet.

Inftrastruktur zerstört

Der türkische Staat griff religiöse Zentren, Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser und Gesundheitszentren gezielt an und bombardierte Straßen, auf denen medizinisches Material und lebensnotwendige Güter transportiert wurden, um die kämpfenden Einheiten in der Stadt unter Druck zu setzen. Mit der gleichen Intention wurden auch gezielt die Wasser und Stromversorgung und die Infrastruktur angegriffen. So wurde auch der Meydankê-Staudamm, der für einen Großteil der Wasserversorgung von Efrîn sorgte, bombardiert. Nach Angaben des Zentrums für strategische Untersuchungen von Rojava wurden zwischen dem 20. Januar 2018 und dem 13. März 2018 mindestens 31 Schulen aus der Luft und vom Boden aus angegriffen, bei diesen Angriffen wurden 13 Schülerinnen und Schüler getötet. Auch Bäckereien und am 16. März 2018 das Avrîn-Krankenhaus wurden zum Ziel der türkischen Luftwaffe. Insgesamt wurden 64 der 318 Schulen Efrîns vollständig zerstört. 52.000 Schüler*innen erhalten somit keine Bildung. Zwölf weitere Schulen wurden beschädigt.

Efrîn – ein riesiges Gefängnis

Nach der Besetzung Efrîns durch die Türkei und ihre dschihadistische Proxy-Armee wurde die Stadt in ein riesiges Gefängnis verwandelt. Etliche öffentliche Gebäude und Häuser dienen mittlerweile als Folterzentren und Haftanstalten, die nicht nur von islamistischen Milizen, sondern auch vom MIT betrieben werden. 700 Fälle von Folter wurden bisher dokumentiert, die Dunkelziffer dürfte weit höher ausfallen. Unter den Betroffenen sind zahlreiche Menschen, die zur Administration der Selbstverwaltungsstrukturen gehörten.

Nach Recherchen der „Menschenrechtsorganisation Efrîn” wird die Privatschule Ezher heute für die „Aufklärung von politischen Straftaten” genutzt. Das Untergeschoss wurde in ein Folterzentrum umfunktioniert. Die Karama-Schule in Zentral-Efrîn sowie einige Häuser im nahegelegenen Dorf Kurtek müssen als Gefängnis herhalten. Im ehemaligen Gefängnis Maratê werden Entführungsopfer festgehalten und gefoltert, bis Lösegeld für sie gezahlt wird. Die Kontrolle über das Gefängnis liegt bei der Dschihadistenmiliz Furqat al-Hamza.

Im Gefängnis al-Maasara werden rund 600 kurdische Zivilisten festgehalten. Es wird von der Dschabhat Fath asch-Scham (früher Al-Nusra-Front) kontrolliert, deren Mitglieder berüchtigt sind für besonders schwere Foltermethoden. Das Gefängnis von ar-Rai wird direkt vom MIT und den türkischen Streitkräften betrieben. Dorthin werden in der Regel in Gefangenschaft geratene Kämpferinnen und Kämpfer sowie Mitarbeiter*innen öffentlicher Einrichtungen und Angehörige der politischen Strukturen verlegt. Unter den Insassen befinden sich auch Frauen. Dutzende weitere Bildungseinrichtungen wurden in militärische Stützpunkte verwandelt.

Erdoğans „Kuvayi Milliye“

Die Angriffe auf Efrîn waren von einer Dschihadisten-Allianz begleitet, die Erdoğan als „Kuvayi Milliye“ (Nationale Kräfte) bezeichnete. Kuvayi Milliye waren die osmanischen Widerstandskräfte gegen die Aufteilung des Osmanischen Reichs nach dessen Niederlage im Ersten Weltkrieg. Die türkische Regierung brachte 25.000 Dschihadisten gegen Efrîn unter dem Namen „Nationales Heer“ zusammen. Allerdings zeigte Erdoğans „Kuvayi Milliye“ schnell ihr wahres Gesicht, als sie plündernd und mordend durch Efrîn zogen.

An der Besatzung beteiligte Gruppen

Bei den Gruppen, die sich an der Invasion von Efrîn beteiligten, handelt es sich um die Samarkand-Brigaden, Liwa al-Shamal, Liwa al-Muntazar-Billah, Jaish al-Ahfad, Ahrar al-Sharqiya, Fatih-Sultan-Mehmed-Brigaden, Sultan-Osman-Brigade, Kuvvet al-Makhawi, Furqat al-Safwa, Sultan-Murad-Brigade, Furqat al-Hamza, Thuwar al-Jazeera, Fewc al-Khames, Firka 23, Liwa al-Mutassim, Faylaq-2, Firka al-Shamaliya, Fewc al-Mistefa, Jaish al-Islam, Tecammah Festakim Kema Omert, Jabhat al-Shamia, Liwa 51, Suqour al-Sham, Ahrar al-Sham, Firqa 9, Jaish al-Nukhba, Faylaq al-Sham, Liwa al-Sultan-Sulaiman-Shah, Liwa Suqour al-Shamal, Harakat Nour al-din al-Zenki und Jabhat Tahrir-Suriye. Viele dieser Milizen beteiligen sich heute am Angriffskrieg gegen die restlichen selbstverwalteten Gebiete Nord- und Ostsyriens.