Zerstörung von Kulturstätten durch Besatzungstruppen

Immer wieder tauchen Bilder aus dem besetzten Efrîn auf, die zeigen, wie türkische Soldaten und Milizionäre historische und heilige Orte in Efrîn zerstören und Raubgrabungen durchführen.

Der Kanton Efrîn ist für seine vielen historischen Orte bekannt. Ihre Wurzeln gehen bis weit in die Vergangenheit zurück, wie die Knochen eines zweijährigen Neandertalerkindes aus einer Höhle in Efrîn zeigen. In dem vom türkischen Staat besetzten Kanton finden sich außerdem die zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärten Stätten Nebî Hûrî, Ayn Dara und Berad, wie auch viele andere Orte von höchster historischer Bedeutung. Obwohl Efrîn sowohl kulturtouristisch als auch historisch über großes Potential verfügt, wurde diese Region durch die Politik des syrischen Staates systematisch vernachlässigt.

Die mit der Revolution von Rojava aufgebaute demokratisch-autonome Selbstverwaltung begann damit, die historischen Orte der Region zu schützen. Sie erließ neue Gesetze zum Schutz historischer Stätten und bemühte sich um ihre Dokumentation und Bewahrung. Die historischen Orte begannen so auch lokale und ausländische Touristen anzuziehen.

Historische Anlagen von Mitanni und den Hurritern vom türkischen Militär zerstört

Einer der bekanntesten historischen Orte von Efrîn ist der Iştar-Tempel von Ayn Dara. Nach bisherigem Forschungsstand wurde der Tempel von den Hethitern und den Hurritern genutzt und ist somit über 3.000 Jahre alt. Am 23. Januar 2018 wurde der Tempel von der türkischen Luftwaffe zu mehr als 60 Prozent zerstört.

In der dritten Woche der Angriffe bombardierte die türkische Luftwaffe die 2300 Jahre alte seleukidische Anlage von Kyrrhos und den daneben befindlichen Pilgerort Nêbî Hûri, der als wichtiges Pilgerziel galt.

Christliche Geschichte und heilige Orte angegriffen

Einer der historischen Orte, die vom türkische Staat ins Visier genommen wurden, war das Dorf Elbisk in Efrîn-Raco mit seinen hervorragenden Mosaiken. Auch in Cindirês wurde neben verschiedenen anderen historisch bedeutsamen Orten das als UNESCO-Weltkulturerbe gelistete Dorf Berad (Brad) am 22. März direkt bombardiert. Der türkische Staat griff darüber hinaus die Julianos-Kirche und das Grab des heiligen Maron an und beschädigte sie schwer. Neben der weltberühmten Kirche und dem Grab befanden sich dort Bäder, Gebetsräume, Häuser, Friedhöfe und viele andere historische Bauwerke. Nach der Untersuchung der Kirche durch französische Archäolog*innen im Jahr 2002, war die Anlage zum Besuchermagnet für Millionen Christen geworden.

40 historische Orte befinden sich in Nordsyrien in akuter Gefahr

Der Leiter einer Delegation syrischer Archäologen, Dr. Mamun Abdulkerim, erklärte, dass der in Syrien andauernde Krieg gleichzeitig auch die kulturell bedeutsamen Orte vernichte und acht Weltkulturerbestätten zum Ziel „barbarischer Attacken“ geworden seien. Abdulkerim sagte, es gebe in Nordsyrien 40 historische Orte, die kurz vor ihrer Auslöschung stünden.

Aber nicht nur die Bombardierungen sind ein Problem für die historischen Orte. Es finden Raubgrabungen mit aus der Türkei herangeschafften Baggern statt.

Milizen stehlen historische Objekte

Die Milizen des türkischen Staates begannen parallel zur Besatzung von Efrîn auch mit der Plünderung der historischen Stätten. Um die Plünderungen zu kaschieren, wurden Militärbasen über den historischen Orten errichtet. Auf Bildern aus Nebî Hûrî ist zu sehen, wie die Milizen direkt neben dem Tempel ein Lager aufgebaut haben und dort mit Geräten zur Schatzsuche tätig sind. Weiterhin wurde direkt neben dem Tempel ein Bau unbekannten Inhalts errichtet.

Die türkische Armee und ihre Milizen gruben auch im Dorf Berad, in der Julianos-Kirche und dem Grab von Mar Maron. Weitere Raubgrabungen fanden auf den historischen Anhöhen bei Cindirês, den Dörfern Kefer Nebo und Kobalê, dem Dorf Kitix in Mabeta und verschiedenen weiteren Orten statt.

Nach einem Bericht von Archäolog*innen in Efrîn haben die Milizen und die türkische Armee durch ihre Grabungsaktivitäten den Einsturz etlicher Gebäude verursacht.

Weitere Grabungen finden in Qerequlaq und Kefer Romê statt. Dort hat die türkische Armee Basen errichtet. Anwohner*innen sagen, sie hätten mit eigenen Augen gesehen, wie viele Objekte von den Soldaten aus dem Boden geholt worden seien.

Die UNESCO schweigt

Der Archäologe Selah Sîno sagt, dass die Schatzsuche und der Schmuggel von historischen Objekten für die Milizen eine wichtige Geldquelle darstellen. Die Milizen und die türkische Armee begannen deswegen mit der Plünderung und mit Raubgrabungen an den historischen Orten, die sie unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Sîno weist darauf hin, dass neben dem Schmuggel von historischen Objekten auch die Vernichtung kurdischer Geschichte eine Rolle spiele: „Deshalb haben sie die historischen Orte in Efrîn mit Kampfflugzeugen angegriffen.“

Archäolog*innen aus Efrîn erklärten, dass die UNESCO der Türkei zuvor die Koordinaten der historischen Orte von Efrîn gegeben habe, damit diese nicht beschädigt würden. Entgegen internationalen Rechts habe der türkische Staat diese Gebiete jedoch unmittelbar bombardiert.

Heilige Orte angegriffen

Der türkische Staat nahm neben den historischen Orten der Region auch die heiligen Plätze verschiedener Religionen ins Visier. Viele Gräber und heilige Orte wurden durch Raubgrabungen der türkischen Armee und ihrer Milizen massiv beschädigt.

Der Anwalt Mihemed Cemîl erklärt dazu: „Die Türkei will die Kultur und Geschichte Syriens vernichten. Insbesondere in Efrîn zielt der türkische Staat darauf ab, vor allem die kurdische Geschichte und Kultur zu auszulöschen. Deshalb zerstört er historische Stätten.“

Der Archäologe Selahatin Sîno sagt, dass die Verwüstung von Palmyra durch den IS vom türkischen Staat direkt fortgesetzt wird. Er rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, ihrer Verantwortung zum Schutz der historischen Stätten gerecht zu werden.