Efrîn war vor der türkisch-dschihadistischen Besatzung nicht nur ein Zentrum kurdischer Bildung, sondern ein Beispiel für die Entwicklung alternativer, herrschaftsfreier Methoden von Lehren und Lernen, Forschung und Bildung. Die schnellen Veränderungen in der Region hatten die Grundlage für die Befreiung der Individuen und der Gesellschaft von der Herrschaftsmentalität gelegt. Daher wurden die Bildungsmethoden in Efrîn auf dem Grundsatz der Schaffung eines freien und demokratischen Individuums aufgebaut. Darüber hinaus wurde auch der arabischen Bevölkerung die Möglichkeit gegeben, an der Bildung auf der Grundlage der Demokratischen Nation und der Geschwisterlichkeit der Völker teilzunehmen.
Die Bildungszentren in Efrîn waren das erste Angriffsziel der Besatzer
Die Entwicklung dieses alternativen Projekts wurde insbesondere von den Regionalmächten als Bedrohung empfunden. Am 20. Januar 2018 begann das türkische Militär mit Unterstützung dschihadistischer Milizen mit seinen Angriffen auf Efrîn und nahm als erstes Ziel die Schulen ins Visier. Hierbei ging es um die Absicht, die kulturellen und mentalen Entwicklungen in ihr Gegenteil zu verkehren.
38 Schulen wurden abgerissen
38 der vom Bildungsrat von Efrîn geleiteten 318 Schulen wurden eingerissen. Die Schulen waren für die Grund- und Mittelschulbildung von über 50.000 Schüler*innen zuständig. Nach Angaben des Bildungsrats arbeiteten hier 3.712 Lehrkräfte. Daneben besuchten Tausende Schülerinnen und Schüler Spezialschulen, Kindergärten, Musik-, Kunst-, und Computerschulen. Mit dem Beginn der Besatzung musste die erste Bildungseinheit für das Jahr 2018 aus Sicherheitsgründen gestoppt werden; mit der Fortsetzung des Bombardements konnten die Schulen nicht weiter betrieben werden.
Warum griffen die Besatzer die Schulen an?
Die Angriffe auf die Schulen verliefen direkt und geplant. In den ersten Tagen der Militärinvasion wurden drei Schulen getroffen. Insgesamt wurden 38 Schulen vor allem in Raco und Cindirês zerstört. Der Bildungsrat zeigte die Angriffe auf Schulen bei der UNESCO an, erhielt aber keinerlei Reaktion. Schließlich wurden Dutzende Kinder getötet, etwa hundert verletzt und Tausende in die Flucht getrieben.
Rassistische Maßnahmen gegen kurdische Schüler in Efrîn
Der Lehrplan und die Methodik wurden ebenfalls geändert. Die türkische Besatzungsmacht hat die Syrische Nationale Koalition (ETILAF) dazu gedrängt, an den Schulen Türkisch zu unterrichten. Diese Praxis wurde in Cerablus, Bab, Azaz und nun zuletzt in Efrîn umgesetzt. In Efrîn gibt es nach Angaben von Schülern im Moment vier Stunden Türkischunterricht. Die Situation an den Schulen in Efrîn hat sich verändert. Den kurdischen Schülern werden die in die Region umgesiedelten Schüler aus Ghouta, Homs und Idlib vorgezogen. Es gibt nur noch Bildung in Arabisch, Türkisch und Islamkunde. Die Mehrheit der Lehrkräfte kommt ebenfalls von außerhalb.
Die Schulen wurden in Militärbasen und Folterzentren umgewandelt
Viele der Schulen wurden von der Besatzungsmacht in Militärbasen umgewandelt. Eine dieser Schulen ist die vom türkischen Geheimdienst genutzte Schule Emîr Xubarî am Azadî-Platz. Die Elesdîqa-Schule wurde in eine Polizeistation und die Elkerema-Schule in ein Zentrum des türkischen Staates und seiner Milizen umgewandelt.
Von zwei Schulen in Şêra wurde eine in ein Gefängnis und eine in eine türkische Militärbasis umgewandelt. Die Schule im Dorf Şîtka in Şiyê ist nun ein Folterzentrum, in dem entführte Zivilisten festgehalten werden. An den Wänden der Schulen und Universitäten befinden sich rassistische Parolen wie „Efrîn ist und bleibt arabisch“.
Türkisierung, Chauvinismus und Gehirnwäsche
Mihemed Ebdê, ein Kurdischlehrer und Mitglied des Komitees für Demokratische Gesellschaftsbildung, sagt: „Es wurden vor allem die Wissensquellen ins Visier genommen. Das zeigt, dass die türkischen Besatzungstruppen immer noch mit osmanischer Mentalität vorgehen und alles, was gegen diese Mentalität steht, vernichten.“
Das Bildungssystem in Efrîn sei komplett umgestellt worden und es werde versucht, in der Region die türkische Kultur zu verbreiten: „Als in Efrîn die Schulen wieder eröffneten, wurden türkische Fahnen gehisst und allen Kindern wurden türkische Fahnen in die Hände gegeben. Sie wollen die Grundlage für eine Türkisierung der Gesellschaft legen. Wenn Efrîn nicht befreit wird, wird es türkisiert werden.“ Ebdê sagt, die Türkisierung sei eine der rassistischen Methoden des türkischen Staates, die in allen von der Türkei und ihren Milizen besetzten Gebieten angewandt wird und sich insbesondere immer schon gegen die Kurden und die Armenier gerichtet habe.
Es sind einige Aufnahmen bekannt geworden, welche die Türkisierungspolitik in der Region deutlich machen. Auf manchen Aufnahmen machen türkische Soldaten und Dorfkinder den faschistischen „Wolfsgruß“, auf anderen ist zu sehen, wie Lehrer Kinder aus Efrîn zu türkisch-nationalistischen Märschen zwingen.
Muttersprachlicher Unterricht für Kinder aus Efrîn im Exil in Şehba
Trotz der Exilsituation geht die Ausbildung der Kinder aus Efrîn in ihren Muttersprachen und in Werten der Geschwisterlichkeit der Völker weiter. Die Kinder entwickeln sich in dem Bewusstsein, dass sie die zerstörten Schulen in Efrîn nach ihrer Rückkehr wieder aufbauen werden. Das Bildungskomitee hat in Şehba Dutzende Schulen eröffnet. An den Grundschulen haben bereits Abschlussprüfungen stattgefunden. Damit die Schülerinnen und Schülter ihre Ausbildung an den Universitäten in Firat und Cizîrê fortsetzen können, werden auch Mittelschulprüfungen durchgeführt werden.
Mittel- und Hochschulbildung in Efrîn
Vor der Besetzung durch den türkischen Staat waren die erste Universität und das erste Institut, an denen auf Kurdisch und Arabisch unterrichtet wurde, in Efrîn eröffnet worden. Mit diesem ersten Schritt zielte man darauf ab, Fachlehrkräfte auszubilden. Das Viyan-Amara-Institut war 2014 im Stadtzentrum von Efrîn eingerichtet worden. Von ihm hingen elf Lehrkräftebildungsinstitute ab. Hier wurden von 82 Fachlehrkräften etwa 500 Studierende ausgebildet. Bei den Angriffen auf Efrîn durch den türkischen Staat wurden etliche Studierende in ihren Dörfern getötet. Nach der Besatzung wurde das Institut völlig geplündert und die Einrichtungen in den Dörfern und Gemeinden verwüstet.
Die Universität von Efrîn
Die Efrîn-Universität ist im Jahr 2015 in Zusammenarbeit einiger Lehrkräfte mit der Demokratisch-Autonomen Selbstverwaltung aufgebaut worden. An der Universität konnten Studierende, die ihre akademische Ausbildung in Syrien nicht hatten abschließen können, diese beenden.
An der Universität von Efrîn gab es eine medizinische, eine elektromechanische, eine journalistische, eine ökonomische, eine landwirtschaftliche und eine Kurdologie-Fakultät. Dort arbeiteten 51 Lehrkräfte und zwanzig Mitarbeiter*innen. Es gab 469 Studierende und eine Bibliothek mit 3.150 Büchern. Außerdem gab es Laboratorien, viele weitere Mittel zur Bildung und Dutzende Computer.
Mit dem Beginn der Invasion wurde der Unterricht gestoppt. Nach der Besatzung wurden alle Materialien der Universität gestohlen und geplündert. Das Gebäude der Universität wurde in einen Kerker und ein Folterzentrum umgewandelt.
Manche Lehrkräfte und Studierende wurden verschleppt, so auch der 67-jährige Direktor der Universität, Dr. Abdulmecid Şêxo.