„Zuerst wird die kurdische Presse angegriffen, dann die Medien im ganzen Land“

Die Gewerkschafterin Elif Akgül besucht Amed aus Solidarität mit den inhaftierten Journalist:innen. Sie wirft der türkischen Presse aufgrund ihres Schweigens Rassismus vor und warnt, der Faschismus werde sie alle treffen.

Am 15. Juni wurden 16 kurdische Journalist:innen auf Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft von Diyarbakır (ku. Amed) wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in einer Terrororganisation inhaftiert. Die Repression gegen den freien Journalismus hat zu Protesten von internationalen Journalistenverbänden geführt. Die türkische Presse schweigt allerdings in großen Teilen. Angesichts dieser Situation stattete Elif Akgül von der in der Gewerkschaftsföderation DISK organisierten Pressegewerkschaft Basın-IŞ den betroffenen Medien in Amed (tr. Diyarbakır) einen Solidaritätsbesuch ab. Akgül ist mit einer DISK-Delegation aus Ankara nach Amed gekommen und besuchte den Journalistenverein Dicle-Firat (DFG), Pel Produktion, Mezopotamya Ajansı und die Frauennachrichtenagentur JinNews.


Der Faschismus wird auch mich treffen“

Anlässlich ihres Besuches erklärt Akgül im ANF-Gespräch: „Angriffe auf den Journalismus beginnen zuerst mit der kurdischen Presse, vervielfachen sich anschließend und verbreiten sich im ganzen Land. Tatsächlich versuchen wir, uns hier selbst zu retten. Denn dieser Faschismus wird auch mich finden. Ich möchte nicht, dass diese Angriffe mich und meine Kolleg:innen treffen. Deshalb ist es notwendig, das Wesen des Berufs zu verteidigen, und das ist es, was wir hier tun.“ Akgül unterstreicht, der Grund für ihren Besuch sei auch das Schweigen zu den Angriffen auf die kurdischen Medien. Die Presse stehe insgesamt unter Druck und man habe sich in den vergangenen zehn Jahren solidarisch unterstützt.

Das Schweigen macht uns wütend“

Als Gewerkschaftsmitglied mache es sie traurig und wütend, wie Journalist:innen in Kurdistan allein gelassen werden, erklärt Elif Akgül: „Wir haben beschlossen, dass diese Solidarität notwendig ist. Wir waren wütend, weil niemand seinen Mund aufmachte. Es schmerzte uns, dass nur Tweets zum Thema absetzten. Tatsächlich ist dies zum Teil darauf zurückzuführen, dass die AKP-Regierung uns nicht auf die Straße gehen lässt. Aus all diesen Gründen starteten wir einen Aufruf und brachen auf. Wir dachten, es sei wichtig, physisch hier zu sein.“

Das Schweigen ist Ausdruck von Rassismus“

Elif Akgül kritisiert das Schweigen und die mangelnde Solidarität mit kurdischen Journalist:innen als „Ausdruck von Rassismus“. Medienschaffende und große Zeitungen, die sonst protestieren, schwiegen, weil es sich um kurdische Journalist:innen handele: „Das hängt vor allem – glaube ich – mit der kurdischen Frage zusammen. Die Journalist:innen stehen ohnehin unter dem Druck des Gesetzes zur Sicherung der Öffentlichen Ruhe1. Die Massaker, die bis heute stattgefunden haben, wurden aufgrund dieser Repression immer wieder verschleiert. Aber nun hat sich der Faschismus ‚demokratisiert‘ – das heißt, er trifft [nicht mehr nur Kurd:innen, sondern] jeden.“

Wir sind hierhergekommen, um den Journalismus zu verteidigen“

Akgüls Besuch wurde von den Journalist:innen in Amed begrüßt. Zum Zweck ihres Besuches sagt sie: „Wenn es uns gelungen ist, unseren kurdischen Kolleg:innen auch nur ein wenig Moral zu geben, ist das für uns erfreulich. Wir sind hierhergekommen, um den Journalismus zu verteidigen.“

Wer sind die Inhaftierten?

Bei den am 15. Juni wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in einer „terroristischen Organisation“ – gemeint ist die PKK – verhafteten Journalist:innen handelt es sich um die Direktorin der Frauennachrichtenagentur JinNews, Safiye Alagaş, den Ko-Vorsitzenden des Journalistenvereins Dicle-Firat (DFG), Serdar Altan, den Redakteur der Nachrichtenagentur MA, Aziz Oruç, den Redakteur der kurdischsprachigen Zeitung Xwebûn, Mehmet Ali Ertaş, sowie um Zeynel Abidin Bulut, Ömer Çelik, Mazlum Doğan Güler, Ibrahim Koyuncu, Neşe Toprak, Elif Üngür, Abdurrahman Öncü, Suat Doğuhan, Remziye Temel, Ramazan Geciken, Lezgin Akdeniz und Mehmet Şahin.

Die JinNews-Redakteurin Gülşen Koçuk sowie Esmer Tunç, Mehmet Yalçın, Kadir Bayram, Feynaz Koçuk und Ihsan Ergülen wurden unter Meldeauflagen entlassen. Im Zuge des „Ermittlungsverfahrens“ wurden sechs Medieneinrichtungen durchsucht, darunter zwei Nachrichtenagenturen (MA und JinNews) und eine kurdischsprachige Zeitung (Xwebûn). Auch drei Produktionsfirmen (Piya, Ari und Pel) wurden ins Visier genommen. Das Medienmaterial in diesen Einrichtungen wurde von der Polizei beschlagnahmt.

1 Takrir-i Sükûn Kanunu („Gesetz zur Sicherung der öffentlichen Ruhe“) wurde 1925 gegen den kurdischen Şêx-Said-Aufstand in Stellung gebracht. Damit wurden unter anderem Zeitungen zensiert. Obwohl das Gesetz 1929 offiziell abgeschafft wurde, prägt es die in großen Teilen von vorauseilendem Gehorsam erfüllte Medienlandschaft in der Türkei bis heute.