So fröhlich wie eine Saz / Und wir beginnen alle Tage traurig / Und so warm wie ein Volkslied / Wir wissen, dass die Morgendämmerung, die die Brust der Berge einhüllen / Und sie in Bewegung versetzen wird / Mit denen beginnt, die in der Finsternis die Würde / Mit der Sprache des Lichts verteidigen...
Diese Zeilen stammen von dem Dichter Adnan Yücel. Unser Freund und Journalistenkollege Seyit Evran, den wir am 22. September verloren haben, lernte den kurdischen Dichter Adnan Yücel aus Elazığ [ku. Xarpêt] an der Çukurova-Universität kennen. Er hatte mehrere Vorlesungen von Adnan Yücel besucht, als er dort Student war. Seyit mochte Adnan Yücel und seine Gedichte sehr und bezog sich ständig auf sie.
Seyit Evran lernte hier viele wertvolle Menschen kennen. Dazu gehörte natürlich auch die unsterbliche Revolutionärin Gurbetelli Ersöz. Als Seyit Evran an der Çukurova-Universität zu studieren begann, war Gurbetelli Ersöz, eine Absolventin des Fachbereichs Chemie, als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich „Umwelt und Energie" an derselben Universität tätig. Hier wurde Gurbetelli 1989 festgenommen und inhaftiert. Gurbetelli wurde 1993 aus dem Gefängnis entlassen und begann, als Chefredakteurin der Zeitung Özgür Gündem zu arbeiten. In der Zwischenzeit hatte Seyit Evran sein Studium abgeschlossen und kehrte als politischer junger Mensch in seine Heimatstadt zurück. Seyit begann ohne Unterbrechung als Journalist bei der gleichen Zeitung zu arbeiten. Dann wurde die ein Bombenanschlag auf die Zeitung verübt. Als sie aufgrund der staatlichen Angriffe nicht mehr als Journalistin arbeiten konnte, ging Gurbetelli 1995 in die Berge, von denen sie sagte: „Ich habe mein Herz in die Berge gestickt". Seyit Evran und viele andere taten dasselbe. Gurbetelli Ersöz wurde am 7. Oktober 1997 in einem Hinterhalt der PDK in Gare ermordet. Seyit Evran und seine Freunde hörten diese Nachricht an einem Herbsttag in den Bergen von Amed im Radio.
Seyits Reise ging weiter. Im Jahr 1999 kam er nach Südkurdistan und setzte er seine journalistische Tätigkeit mehrere Jahre lang aktiv fort. Zwischendurch verbrachte er auch einige Zeit in Russland und den ehemaligen Sowjetländern. Hier leistete er großartige Arbeit. Durch Seyits Berichterstattung haben wir viel über die Gegenwart und Vergangenheit der sowjetischen Kurdinnen und Kurden gelernt. Das letzte Mal, als ich mit ihm über diese Themen sprach, erwähnte er einen kurdischen Stamm, der aus dem Kaukasus nach China ausgewandert war. Davon hatte er zwanzig Jahre zuvor gehört, und er verfolgte dieses Thema immer noch. Er konnte sich nicht auf die Suche nach diesen Kurden machen, weil er weder die Zeit noch die Mittel hatte. Ich hoffe, dass jemand von uns diese Geschichte, die Seyit hinterlassen hat, vollenden wird.
Das erste Mal traf ich Seyit Evran im Jahr 2008 in der Region Bradost. Damals arbeiteten wir für Roj TV und waren nach Başûr Kurdistanê gefahren, um eine Reihe von Sendungen zu drehen. Wir blieben etwa einen Monat lang zusammen und reisten gemeinsam umher. Seyit hatte bereits eine sehr lange und anstrengende Reise hinter sich. Auf seinem Rücken trug er die Erinnerungen an viele Menschen, die im kurdischen Freiheitskampf ihr Leben verloren hatten. Er schrieb sie ständig auf, erzählte sie und tat sein Bestes, um sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Tatsächlich gehörte Seyit Evran zu einem Team, das die Erinnerungen und Notizbücher von Hunderten Angehörigen der Guerilla, die am Freiheitskampf teilgenommen hatten und dabei ums Leben gekommen waren, zu einem vierbändigen Buch zusammenstellte. Tage- und monatelang zogen sie Schritt für Schritt durch die Berge und Ebenen, hörten Tausenden von Menschen zu, teilten ihre Erinnerungen und verewigten sie. Seyit war das prominenteste Mitglied dieses Teams.
Als dann 2011 der Bürgerkrieg in Syrien ausbrach, richtete Seyit seine Aufmerksamkeit auf diese Region und ging nach Rojava. Er kam in die Gegend um Efrîn und Aleppo und versorgte die Freien Kurdischen Medien mit Informationen über das Geschehen in Syrien. Während andere den Krieg in Syrien mit allgemeinen Informationen interpretierten, war Seyit persönlich vor Ort und brachte Licht in unser Verständnis der Situation dort. So erläuterte Seyit beispielsweise ausführlich die Organisation der dschihadistischen Strukturen in Syrien, die lokalen und regionalen Beziehungen und wer mit wem zu welchem Zweck in Kontakt steht. Informationen, die er erfuhr und bestätigte, vergaß er nie. Bei der Analyse dieser Gruppen ging er manchmal erstaunlich ins Detail. Vor allem war er einer der ersten Journalisten, der die systematischen Beziehungen der Türkei zu diesen dschihadistischen Gruppen erkannte und öffentlich machte.
Seyit Evran berichtete nicht nur über politische und militärische Entwicklungen in der Region, sondern auch über soziale, gesellschaftliche und kulturelle Themen. Seinem Charakter entsprechend arbeitete er an gesellschaftsbezogenen Themen. Mit Hunderten von Nachrichten und Artikeln, die er in Efrîn, Aleppo und Şehba schrieb, trug er dazu bei, dass wir die Region besser kennenlernen konnten. Seyit Evran war auch der erste Journalist, der das Grab von Dr. Nuri Dersimi im Bezirk Şera in Efrîn fotografierte und ausführlich darüber berichtete.
Nach Efrîn arbeitete er in der Region Cizîrê in Rojava. Im Jahr 2016, als ich bei ANF arbeitete, verbrachten wir hier wieder viel Zeit zusammen. Im selben Jahr war es Seyit, der mich zum ersten Mal mit unserem Kollegen Doğan Çetin nach Şengal brachte. Er war schon viele Male dort gewesen, und als wir gemeinsam reisten, kannte er alle Straßen und Beziehungen. Şengal erlebte zu dieser Zeit schwierige Zeiten. Es fanden Operationen gegen den IS statt. In dieser Zeit arbeitete auch unsere Kollegin Nûjiyan Erhan in Şengal. Kurz nachdem wir zurückgekehrt waren, überbrachte uns Seyit Evran eine bittere Nachricht: Nûjiyan war bei einem Angriff der bewaffneten PDK-Kräfte ermordet worden.
Seyit kam nach einer Weile nach Başûr. Ich arbeitete in der ANF-Zentrale und Seyit Evran übernahm hier die Verantwortung für ANF. Wir arbeiteten monatelang in den ANF-Büros in Kerkûk und Silêmanî zusammen. Seyit setzte seine Arbeit hier bis 2021 fort. Unser Freund Karwan Horamî, der den persischen Dienst von ANF koordinierte, und Seyit Evran befanden sich im selben Arbeitsumfeld. Karwan hatte ebenfalls ein Herzproblem, und sie kritisierten sich ständig gegenseitig, nicht auf ihre Gesundheit zu achten. Die Kameradschaft zwischen Karwan Hewraman und Seyed Evran war wirklich beispielhaft. Leider verstarb auch Karwan vor fünf Monaten, und ich kann nicht in Worte fassen, wie traurig Seyit darüber war.
Die journalistische Arbeit von Seyit Evran in Rojava und Başûr war beispiellos. Es ist nicht einfach, Nachrichten zu jedem Thema und aus jedem Umfeld zusammenzustellen und dabei den eigenen ideologisch-politischen Kurs beizubehalten. Ein solcher Journalismus ist im Nahen Osten und insbesondere in Kurdistan schwierig. Seyit ist ein seltener Journalist, dem dies gelungen ist. Er wusste, welche Linie er bei seiner Arbeit vertrat, und diese Haltung rief bei allen Bewunderung hervor.
Seyit Evran hinterließ als revolutionärer, intellektueller Journalist Spuren. Er lebte das Leben in vollen Zügen. Er durchlebte Tausende von Entbehrungen. Er ging über Berge, Flüsse, verminte Grenzen und durchquerte brutale Armeen. Er setzte sich für Hunderte Journalist:innen ein, die für die Arbeit in den freien kurdischen Medien ausgebildet wurden, teilte seine Erfahrungen mit ihnen und war ihnen ein Vorbild. Er wurde Zeuge von großem Schmerz, großer Zerstörung und Verlust. Nichts davon hat ihn abgeschreckt. Er war ein Genosse derer, die Epen gegen die Barbarei schrieben und ihr Leben aufzeichneten. Seyit ist aus den kurdischen Medien nicht mehr wegzudenken. Aber die kurdischen Medien werden nicht ohne Seyit Evren sein. Genau wie Gurbetelli Ersöz, Halil Dağ, Mehmet Şenol, Nûjiyan Erhan, Deniz Fırat und viele andere wird Seyit Evren immer unter uns sein und uns führen.