Die Journalistin Nurcan Yalçın befindet sich nach drei Tagen in Gewahrsam auf der Antiterrorzentrale der Polizei Diyarbakır (ku. Amed) wieder auf freiem Fuß. Ein Gericht in der nordkurdischen Metropole wies am Montag einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls gegen die Kurdin zurück und ordnete ihre Freilassung an – verhängte jedoch Meldeauflagen.
Nurcan Yalçın war am Freitag von polizeilichen Spezialeinheiten festgenommen und zur Antiterrorzentrale in Amed gebracht worden. Eine Bekanntgabe der Grundlage der Festnahme erfolgte nicht, darüber hinaus wurde ein 24-stündiges Anwaltsverbot erteilt. Einen Tag lang war ihr dadurch der Zugang zu einem Rechtsbeistand verwehrt worden. Am zweiten Tag in Polizeihaft wurde die Ermittlungsakte im Fall der Journalistin auf Betreiben der Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakir mit einer Geheimhaltungsverfügung belegt.
Mittlerweile sind die Vorwürfe gegen Yalçın bekannt: „Propaganda für eine Terrororganisation“. Die Beschuldigungen würden hauptsächlich ihre Arbeit betreffen, erklärte die Journalistin nach ihrer Entlassung aus der Polizeihaft. Konkret ginge es um Interviews und Artikel, die 2015 im Altstadtbezirk Sûr im Vorfeld der Ausgangssperren zustande kamen. Sûr war bis vor einigen Jahren noch ein historisches Zentrum unterschiedlicher Kulturen. Nach der Zerstörung durch türkische Sicherheitskräfte im Zuge der Militärbelagerung im Winter 2015/2016 wurden Wohnviertel verstaatlicht, die Bevölkerung wurde vertrieben.
Nurcan Yalçın (2. v. l.) nach ihrer Freilassung | Foto: DFG
Ob und wann es zu einer Anklage gegen Yalçın kommt, ist derzeit noch unklar. Bis eine gegenteilige Entscheidung vorliegt, muss sich die Journalistin wöchentlich bei der Polizei melden und darf das Land nicht verlassen. Grundlage der als „Präventivmaßnahme“ bezeichneten Meldeauflage ist das 2013 in Kraft getretene Gesetz zur „Freilassung unter Kontrolle“. Der Mechanismus gilt als Alternative zur Haft und wird von der türkischen Justiz exzessiv ausgeschöpft, um unliebsame Personen unter Kontrolle zu halten. Besonders betroffen sind Menschen aus dem Umfeld der HDP und der kurdischen Zivilgesellschaft.
Seit Jahren im Visier der Behörden
Nurcan Yalçın ist nicht das erste Mal im Visier der türkischen Repressionsbehörden. Im November wurde sie in einem international scharf kritisierten Prozess unter Terrorvorwürfen zu fast vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Hintergrund war ein Verfahren gegen den in Amed ansässigen Frauenverein Rosa, einer Hilfsorganisation für von Gewalt betroffener Frauen. Verurteilt wurde Yalçın wegen „wissentlicher und willentlicher Unterstützung einer Terrororganisation“ und „Verbreitung von Terrorpropaganda“. Die Ladung zum Haftantritt lag bisher nicht vor, da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.
Verfahren wegen Berichterstattung bei Protesten gegen Zwangsverwaltung
Ein weiteres Verfahren gegen Yalçın ist im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Absetzung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in kurdischen Kommunen im Jahr 2019 weiter anhängig. In diesem Fall wird ihr zur Last gelegt, an „verbotenen Versammlungen“ teilgenommen und Auflösungsanordnungen der Polizei missachtet zu haben. Mit ihr sind auch ihre beiden Kolleginnen Rojda Aydın und Halime Parlak angeklagt, die wie Yalçın die Proteste journalistisch begleitet hatten.