Aziz Oruç ist einer von 16 Journalist:innen, die am 8. Juni in Amed (tr. Diyarbakir) festgenommen und aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit eine Woche später verhaftet wurden. Sechs weitere Betroffene wurden gegen Meldeauflagen vorläufig freigelassen. Oruç ist Redakteur der Nachrichtenagentur Mezopotamya Ajansı (MA) und als kurdischer Journalist nicht das erste Mal im Gefängnis. Seine Frau Hülya Oruç hat ihn am Dienstag in der Haftanstalt in Amed besucht. Das Gespräch wurde nach zwanzig Minuten vom Vollzugspersonal beendet – willkürlich, meint Hülya, die normale Besuchszeit sei eine Stunde.
Im Hochsicherheitsgefängnis Diyarbakır seien die Bedingungen noch schlechter als anderswo, berichtet Hülya Oruç. Statt der normalen Trennscheibe zwischen den Häftlingen und ihren Besucher:innen gebe es zwischen zwei Scheiben zusätzlich ein Eisengitter, sie habe nicht einmal das Gesicht ihres Mannes sehen können. Aziz sei seit Jahren derartigen Schikanen ausgesetzt und gerade erst aus einjähriger Untersuchungshaft entlassen worden.
In Unterwäsche im türkischen Grenzgebiet ausgesetzt
Aziz Oruç ist bereits im Dezember 2019 in Bazîd (Doğubayazıt) verhaftet worden. Davor arbeitete er ungefähr drei Jahre lang in der südkurdischen Stadt Silêmanî für die Agentur RojNews. Vor seiner Inhaftierung hatte er versucht, vom Iran aus über Armenien nach Europa zu gelangen, um politisches Asyl zu beantragen. An der armenisch-iranischen Grenze wurde er festgenommen und gefoltert. Ein daraufhin aus der Not heraus gestelltes Asylgesuch wurde erst gar nicht an die zuständigen Behörden weitergeleitet. Stattdessen wurde Oruç an iranische Sicherheitskräfte übergeben. Nach einer weiteren Festnahme auf iranischer Seite der Grenze, erneuter Folter und einer Geldstrafe wurde Oruç schließlich in der Nacht zum 11. Dezember 2019 barfuß und nur in Unterwäsche gekleidet im türkischen Grenzgebiet ausgesetzt. Dort konnte er selbst telefonisch Hilfe herbeirufen und wurde von zwei Lokalpolitikern der HDP vor dem Erfrierungstod gerettet. In der Türkei wurde er verhaftet und blieb ein Jahr in Untersuchungshaft.
Wegen journalistischer Tätigkeit verhaftet
Hülya sagt, dass auch bei seiner vorherigen Verhaftung Hetze gegen ihren Mann betrieben wurde. Die türkischen Medien berichteten von einem „Terroristen, der beim Grenzübertritt von Iran in die Türkei gefasst wurde“. In dem damaligen Verfahren wurde Aziz freigesprochen. „Er hat dann weiter in seinem Beruf gearbeitet und ist jetzt mit einem ähnlichen Szenario erneut verhaftet worden. Unsere Adresse ist bekannt, trotzdem ist unsere Wohnung nachts um vier Uhr von der Polizei gestürmt worden. Der Durchsuchungsbefehl wurde auf provokative Weise vorgelesen, einer klopfte Aziz dabei auf die Schulter. Unsere Wohnung wurde verwüstet, selbst der Mülleimer im Bad wurde durchsucht. Aziz und die anderen sind eine Woche in Einzelzellen in Polizeihaft festgehalten worden, danach wurden sie wegen ihrer journalistischen Arbeit verhaftet“, erzählt Hülya.
„Ist die PKK Ihrer Meinung nach eine Terrororganisation?“
Aziz werde von der türkischen Justiz unter anderem eine Straßenreportage vorgeworfen, in der sich ein Bauarbeiter gegen den Krieg in Kurdistan aussprach. Der Staatsanwalt sei zum Verhör mit einer Halskette mit türkischer Fahne, weißem Hemd und roten Jackett gekommen und habe die typische Frage gestellt: „Ist die PKK Ihrer Meinung nach eine Terrororganisation?“ Aziz wurde drei Stunden lang verhört, auch zu anderen Verfahren, in denen er bereits freigesprochen wurde.
Für Hülya steht fest, dass ihr Mann und seine Kolleginnen und Kollegen verhaftet wurden, um eine kritische Berichterstattung über den Krieg in Kurdistan zu verhindern. Mit den Verhaftungen werde außerdem die Einschüchterung anderer Journalist:innen bezweckt, alle kritischen Stimmen sollen zum Schweigen gebracht werden.
„Kommt mein Vater nicht wieder?“
Am schwierigsten sei es für die Kinder, erzählt Hülya: „Als Aziz das letzte Mal verhaftet wurde, war unser Sohn 15 Monate alt und ich war schwanger. Die Kinder haben ihren Vater kaum gesehen. Vor allem für unseren Jungen ist es traumatisch. Er hatte Albträume und wenn er aufwachte, fragte er, wo sein Vater ist und ob er nicht wiederkommt. Dieses Mal musste ich ihm erzählen, was passiert ist. Wenn wir Besuch bekommen, fragt er seitdem nach, welchen Beruf sie haben. Lautet die Antwort ,Journalist', schweigt er. Neulich hat er unseren Nachbarn gefragt, er ist Arzt. Dann fragte er meinen Bruder, der als Finanzbuchhalter arbeitet. Daraufhin meinte mein Sohn, wenn sein Vater zurückkomme, solle er lieber als Arzt oder Finanzbuchhalter arbeiten. In seiner Vorstellungswelt werden Journalisten verhaftet und er denkt, wenn sein Vater eine andere Arbeit macht, würde er nicht wieder weggehen.“
Ihr Mann und seine Kollegen werden im Gefängnis in Drei-Personen-Zellen isoliert, teilt Hülya mit. Vor allem Journalistenverbände müssten sich für ihre Freilassung einsetzen, schließlich sei es der Journalistenberuf, der hier kriminalisiert werde. „Wenn dazu geschwiegen wird, wird sich das Unrecht überall ausbreiten“, so Hülya Oruç.