Die Oberstaatsanwaltschaft in Wan ermittelt gegen den kurdischen Journalisten Ferhat Çelik. Dem Chefredakteur der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) wird die „Benennung von Akteuren im Kampf gegen den Terror” vorgeworfen. Hintergrund ist ein Bericht über die Verhaftung von mehreren Medienschaffenden wegen unerwünschter Berichterstattung im Zusammenhang mit der sogenannten Hubschrauber-Folter.
Am 6. Oktober 2020 wurden die MA-Korrespondenten Adnan Bilen und Cemil Uğur, die JinNews-Korrespondentin Şehriban Abi und die Journalistin Nazan Sala in Wan festgenommen. Drei Tage später kamen sie in Untersuchungshaft. Der Vorwurf lautete „staatsfeindliche Berichterstattung“ und angebliche PKK-Mitgliedschaft. Grundlage für die Beschuldigungen waren Artikel über die beiden Dorfbewohner Servet Turgut und Osman Şiban, die am 11. September in der Nähe von Şax (tr. Çatak) vom türkischen Militär verschleppt wurden. Nach schwerer Folter wurden die Männer zunächst aus einem Militärhubschrauber gestoßen, bevor sie erneut misshandelt worden waren. Dabei erlitten sie schwere Verletzungen. Während Osman Şiban vermutlich für den Rest seines Lebens gezeichnet sein wird von der erlebten Gewalt, ist der 55-jährige Servet Turgut am 30. September 2020 nach 20 Tagen im Koma gestorben.
Adnan Bilen, Cemil Uğur, Şehriban Abi und Nazan Sala waren jene Journalist:innen, die das Kriegsverbrechen um die Hubschrauber-Folter aufgedeckt hatten. Uğur etwa hatte den Krankenhausbericht veröffentlicht, mit dem belegt wurde, dass Servet Turgut und Osman Şiban Verletzungen durch einen Sturz aus der Höhe erlitten. Die türkischen Behörden hatten daraufhin eine Nachrichtensperre zu dem Fall verhängt. Der nun angeklagte Chefredakteur Ferhat Çelik wies in einem Bericht vom 8. Oktober darauf hin, dass die Ermittlungen gegen seine Kolleg:innen von ein und demselben Staatsanwalt geführt werden, der zum damaligen Zeitpunkt auch zuständig war für das Verfahren gegen die Soldaten der Operationseinheit, die Şiban und Turgut verschleppt hatten: Oberstaatsanwalt Ismail Köker. Dieser hatte auch die Festnahme der beiden Bauern angeordnet.
Weil Çelik den Namen von Ismail Köker preisgab und damit gegen den Paragrafen 6/1 des türkischen Antiterrorgesetzes verstoßen hätte, will die Staatsanwaltschaft nun Anklage erheben. Der Artikel regelt das „Verbot der Enthüllung der Identität von Personen, die mit der Terrorbekämpfung befasst sind, oder anderer Personen, die so zur Zielscheibe von Gewalttaten werden könnten, ferner die Ankündigung, dass gegen bestimmte feststellbare Personen von Terroristen Gewalttaten begangen werden könnten“. Nicht erforderlich ist, dass es tatsächlich zu einem Anschlag gegen die genannten Personen kommt. Bei einem Verstoß steht darauf nach türkischem Recht eine Freiheitsstrafe zwischen einem und drei Jahren.
Ferhat Çelik sieht sich politisch motivierter Repression zur Verschleierung eines Kriegsverbrechens ausgesetzt. Er habe von seinem Recht auf Informationsbeschaffung Gebrauch gemacht und im Übrigen lediglich das getan, was neben Journalistinnen und Journalisten auch alle anderen Menschen nach dem Grundgesetz tun dürften: sich aus allgemein zugänglichen Quellen unterrichtet. Die Vorwürfe gegen ihn wies Çelik bei einer ersten Befragung in Istanbul bereits zurück. Für einen Prozess muss die Anklageschrift allerdings noch formell von einem Gericht angenommen werden.