Hubschrauber-Folter: Haftbefehle gegen Journalisten aufgehoben

Im Prozess um die Berichterstattung über die „Hubschrauber-Folter“ an zwei kurdischen Zivilisten hat das Gericht in Wan die Haftbefehle gegen vier angeklagte Journalisten aufgehoben. Das Verfahren wird im Juli fortgesetzt.

Die wegen „staatsfeindlicher Berichterstattung“ und angeblicher PKK-Mitgliedschaft in Wan angeklagten Journalistinnen und Journalisten werden aus der Untersuchungshaft entlassen. Beim Prozessauftakt an diesem Freitag hat die 5. Schwurgerichtskammer Wan den Haftbefehl gegen die MA-Korrespondenten Adnan Bilen und Cemil Uğur, die JinNews-Korrespondentin Şehriban Abi und die freie Journalistin Nazan Sala aufgehoben. Angeklagt in dem Verfahren ist auch die MA-Reporterin Zeynep Durgut. Allen fünf wird ihre für den türkischen Staat unliebsame Berichterstattung im Fall der zwei Dorfbewohner Osman Şiban (50) und Servet Turgut (55), die im September in der Nähe von Şax (Çatak) vom türkischen Militär verschleppt, gefoltert und aus einem Hubschrauber gestoßen worden waren, zur Last gelegt. Während Şiban von der erlebten Folter vermutlich für den Rest seines Lebens gezeichnet sein wird, ist Servet Turgut am 30. September 2020 nach 20 Tagen im Koma gestorben.

Die Vorwürfe an die Angeklagten sind hanebüchen. In dem Prozess geht es offenbar einzig darum, Druck auf die letzte Bastion der freien Presse auszuüben, weil die Beschuldigten die sogenannte Hubschrauber-Folter aufgedeckt haben. So behauptet die Staatsanwaltschaft, die Angeklagten seien in Wahrheit gar keine Journalisten, weil sie keine gelben Presseausweise hätten. Wer in der Türkei Journalist ist und wer nicht, bestimmt allein der Staatspräsident. Bis Juli 2018 erhielten Medienschaffende offizielle Ausweise noch vom Generaldirektorat für Presse und Information. Diese Behörde wurde allerdings im Zuge der Umstrukturierung des türkischen Regierungssystems aufgelöst, ihre Befugnisse dem Präsidium für Kommunikation beim Amt des Staatspräsidenten übertragen. Daraufhin waren tausende bereits ausgestellte Presseausweise für ungültig erklärt worden. Die Maßnahme betraf auch ausländische Journalisten. Für die ohnehin gebrandmarkten kurdischen Medien, die als „Terror-Presse“ stigmatisiert werden, ist es schier unmöglich, an Ausweise für ihre Mitglieder zu kommen.

Darüber hinaus macht die Staatsanwaltschaft die „Zugehörigkeit der vermeintlichen Journalisten zur Terrororganisation“ daran aus, dass die Beschuldigten nicht über „sportliche Ereignisse oder die Welt der Stars und Sternchen“ berichten würden, sondern ihre Artikel einzig zu gesellschaftlichen Themen verfassten. Außerdem würden sie für „Einrichtungen“ arbeiten, deren Beiträge von Zeit zu Zeit von den Gerichten gesperrt würden. „Die Anklagebehörde scheint wohl Dokumentationen über Pinguine zu erwarten. Es tut mir leid, aber in Wan gibt es keine Pinguine“, meinte Resul Tamur, der Verteidiger von Adnan Bilen. Der Jurist bezeichnete die Anklageschrift als „inhaltsloses Dokument“, verfasst im „Copy-Paste-Verfahren“.

Rechtsanwalt Veysel Ok, der zugleich Ko-Vorsitzender der „Media and Law Studies Association“ (MLSA) ist, hob hervor, dass das Wesentliche der Anklage gar nicht zur Sprache komme. „Diese Journalisten sitzen seit einem halben Jahr im Gefängnis, weil sie über einen gravierenden Fall von Folter berichtet haben. Aus dieser Motivation heraus ließ doch der Staatsanwalt ihre Arbeitsplätze durchsuchen, vermeintliche Beweise sammeln und sie einsperren. Warum wird die Folter in der Anklageschrift verschleiert?“ Die Anträge der Verteidigung zum Freispruch für die Angeklagten wurden abgelehnt. Der Prozess wird am 2. Juli fortgesetzt.

Titelfoto: Adnan Bilen trifft nach sechs Monaten Gefängnis auf seinen vierjährigen Sohn Zal