Wendländisches Segelboot verstärkt Nothilfe im Mittelmeer

Ein Segelboot des CompassCollective aus dem Wendland unterstützt die zivile Seenotrettung im Mittelmeer. Das Zielgebiet der Einsatzcrew ist die Fluchtroute zwischen Tunesien und Lampedusa.

Am Freitagnachmittag ist ein neues Schiff von Sizilien aus aufgebrochen, um die zivile Seenotrettung von Flüchtenden im Mittelmeer zu unterstützen. Das Segelboot des wendländischen CompassCollective wird mit sechs Crewmitgliedern das Mittelmeer zwischen Lampedusa und Tunesien nach Seenotfällen absuchen und bei einer Sichtung, die in Seenot geratenen Menschen und Boote stabilisieren, sowie die italienische Küstenwache alarmieren, um dem Sterben auf dem Mittelmeer entgegenzuwirken.

Seit Monaten arbeitet das CompassCollective auf diesen Tag hin. Die Trotamar III, ein 13 Meter langes, wendiges Segelboot ist in den letzten Wochen für die maritime Nothilfe ausgerüstet worden:  An Bord liegen 230 Rettungswesten schnell erreichbar in der vorderen Kajüte; zwei  lange Rettungsschläuche (Centifloats) sind am Bug seitlich befestigt, um jederzeit schnell ins Wasser gelassen werden zu können; fünf Rettungsinseln warten auf ihren Einsatz. Auch dabei sind 300 Liter Trinkwasser in handlichen Halbliterflaschen sowie Müsliriegel, als Notfallverpflegung für Flüchtende auf dem Wasser.

Die erste Einsatzcrew im Alter von 28 bis 67 Jahren besteht aus zwei Mitgliedern mit Rettungserfahrung auf Schiffen von den Seenotrettungsorganisationen Sea Eye und Sea Watch, die anderen verfügen über viel Segelerfahrung und bringen ihr Know- How als Techniker, Rettungsbootfahrer:innen, Koch oder in der Awareness-Arbeit ein. Zusätzlich ist eine Italienerin an Bord, um die Kommunikation mit der italienischen Küstenwache zu erleichtern. Head of Deployment ist Matthias Wiedenlübbert, einer der Initiator:innen des CompassCollective.

Das Zielgebiet der Crew ist die Fluchtroute zwischen Tunesien und Lampedusa.  Auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung, Folter, Hunger, Elend oder Vergewaltigung brechen täglich Menschen aus ihrer Heimat auf. Sie fliehen aus Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Sie fliehen, weil ihr Leben bedroht ist. Sie verlassen Familie, Freund:innen, liebgewonnene Regionen ihrer Heimat und machen sich auf den Weg.

Dabei verschärft sich die Not durch die strukturelle und personelle Gewalt, die Flüchtende auf ihrem Weg erleben. Ganz Nordafrika, besonders das Bürgerkriegsland Libyen und seit der neuen Migrationspolitik auch Tunesien, ist dabei für Hunderttausende eine Zwischenstation, die zunehmend lebensbedrohlich ist. Es existieren keine legalen Wege, über die sich bedrohte Menschen in Sicherheit bringen können.

Katja Tempel, vom CompassCollective kritisiert die staatliche Abschottungspolitik: „Wir halten die EU-Binnen- und Außengrenzen für institutionalisierten Rassismus. Das Mittelmeer wird zum europäischen Massengrab. Das können wir nicht zulassen. Europa tritt die Würde der Menschen und damit auch unsere eigene mit Füßen. Aus diesem Grund nehmen wir es nicht hin, dass Menschen wegen unserer wirtschaftlichen Interessen, unserer Ignoranz und unserer Intoleranz in ihrer Not auf der Flucht allein gelassen werden und dabei im Meer ertrinken müssen. Deswegen schicken wir ein Schiff.“

Die Verstärkung der Civil Fleet im Mittelmeer stammt aus dem Wendland, der Region in Niedersachsen, die 40 Jahre lang von der Auseinandersetzung um die Atomenergie geprägt wurde. Zivilgesellschaftlicher Protest konnte am Ende ein Atommüll-Endlager in Gorleben verhindern und bringt jetzt den Rückenwind, um solidarisch gegen Abschottung und das Sterben auf dem Mittelmeer anzusegeln.

Foto: CompassCollective / boatspotting.org