„Paragraf 129b überlässt der Exekutive die Entscheidung“

Über §129b läuft die Verfolgung angeblicher Unterstützer „terroristischer Vereinigungen im Ausland“. Häufig betroffen sind Kurden, die für außenpolitische Interessen der BRD kriminalisiert werden, kritisiert die Verteidigung im Frankfurter PKK-Prozess.

Der 58-jährige kurdische Aktivist Abdullah Öcalan – nicht zu verwechseln mit seinem bekannteren Namensvetter, dem Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans PKK – sitzt seit Mai 2021 in U-Haft in der JVA Frankfurt-Preungesheim. Im Kontext der seit einem Jahrzehnt andauernden Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung in der BRD als „ausländische Terrororganisation“ mit dem §129b StGB wird ihm vorgeworfen, sich als Kader der PKK betätigt zu haben. Seine Anwält:innen Antonia von der Behrens und Stephan Kuhn berichten im folgenden Interview über den Stand, die Besonderheiten und Hintergründe des Prozesses. Das Interview führten Serhildan Qamişlo und Viyan Brûsk vom Kurdischen Gesellschaftszentrum Frankfurt.

Können Sie uns nochmal die Grundlagen erläutern: Warum wurde der Prozess gegen Ihren Mandanten eröffnet, was sind die Vorwürfe und auf welchem Stand befindet er sich gerade?

Es ist eine Art Verfahren, das in dieser Form in Deutschland seit 2013 geführt wird. Das sind Vorwürfe gegenüber Menschen, die sich innerhalb der Bundesrepublik Deutschland politisch oder organisatorisch für die PKK betätigt haben sollen. Ihnen wird vorgeworfen, sich „mitgliedschaftlich in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ betätigt zu haben. Es gab eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Jahr 2010, die besagt hat, dass die PKK keine „inländische kriminelle Vereinigung“ wäre, sondern – und das hat sich dann in der Rechtsprechung etabliert – eine „ausländische terroristische Vereinigung“. Das heißt, was den Menschen vorgeworfen wird ist, dass sie von der Bundesrepublik Deutschland aus den bewaffneten Kampf der Kurd:innen in der Türkei und im Nordirak organisatorisch und finanziell unterstützen würden. Im Fall von Herrn Öcalan wird ihm vorgeworfen, zwei Jahre als Gebiets- und Regionsverantwortlicher, später nur noch als Gebietsverantwortlicher in unterschiedlichen Bereichen Südwest-Deutschlands sich in der PKK betätigt zu haben.

Der kurdische Aktivist und Politiker Abdullah Öcalan


Was wichtig ist, ist, dass es das erste Verfahren nach §129b am Oberlandesgericht Frankfurt ist, was auf Basis dieser neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geführt wird. Viele Jahre gab es in Frankfurt keine solchen Verfahren, beziehungsweise wenn es Verfahren gab, wurden die zum Teil einfach nur nach dem Vereinsgesetz verhandelt. Insofern hat das Urteil grundlegende Bedeutung dafür, wie das Oberlandesgericht Frankfurt den gesamten kurdischen Konflikt einschätzt und wie es vor allem auch die Frage des angeblich terroristischen Charakters der PKK bewertet.

Wie geht Ihr Mandant, Herr Öcalan, mit der Situation um?

Herr Öcalan tritt dem Vorwurf, sich terroristisch betätigt zu haben, strikt entgegen. Er sieht sich durch dieses Verfahren vielmehr in seiner kurdischen Identität angegriffen und er begegnet diesem Angriff kämpferisch. Natürlich ist es nichtsdestotrotz so, dass ihm die Haftbedingungen in Corona-Zeiten und das ganze Verfahren zusetzten. Außerdem erkrankte er einmal schwer in der Haft und musste notoperiert werden. Haft ist nun mal eine Übelszufügung, aber er lässt sich nicht unterkriegen und begegnet dem Ganzen kämpferisch.

Ist es ungewöhnlich, dass dieses Verfahren so lange dauert?

Die absolute Anzahl der Verhandlungstage – wir sind momentan beim 37. Verhandlungstag – ist nicht ungewöhnlich, denn es ist kompliziert. Das Gericht sitzt darüber zu Gericht, ob die PKK nach deutschem Strafrecht eine terroristische Vereinigung ist oder nicht und das kann man nicht so schnell entscheiden. Das Problem ist aber bei diesem Verfahren, dass es sehr schleppend läuft. Es sind große Pausen zwischen den Verhandlungstagen, es wird kurz verhandelt und das ist natürlich für unseren Mandanten einfach sehr anstrengend.

Führen Sie und der Angeklagte den Prozess politisch und wenn ja, wie reagiert das Gericht darauf?

Aufgrund des Vorwurfs nach § 129b StGB ist das ein politischer Prozess und entsprechend muss man in einem politischen Prozess auch politisch agieren. § 129b StGB sieht vor, dass Verfahren nur geführt werden können, wenn das Bundesministerium der Justiz eine sogenannte Verfolgungsermächtigung erteilt hat. Diese Ermächtigung ist für alle Personen, die Kader der PKK sein sollen, erteilt worden. Implizit ist mit dieser Ermächtigung gesagt worden, die deutsche Regierung stuft die PKK als terroristische Vereinigung ein, die Türkei ist hier schützenswert als Staat und der Kampf der PKK verwerflich. Nur aufgrund dieser Ermächtigung kann das Verfahren gegen Herrn Öcalan, dem vorgeworfen wird, hier Kader gewesen zu sein, geführt werden.

Das ist eine politische Entscheidung, weil das Bundesministerium der Justiz sich dabei maßgeblich nach den außenpolitischen Interessen Deutschlands richtet. Das wird ganz offen so von der Bundesregierung kommuniziert, dass bei dieser Entscheidung außenpolitische Interessen berücksichtigt werden. Das heißt, dieses Verfahren gäbe es überhaupt nicht, wenn es nicht im deutschen außenpolitischen Interesse läge und entsprechend müssen wir darauf natürlich auch politisch reagieren.

Das heißt aber nicht, dass wir uns außerhalb der Strafprozessordnung bewegen, sondern dass wir auf der Grundlage der Strafprozessordnung versuchen, alles ins Verfahren einzubringen, was auf der einen Seite zeigen kann, dass die PKK nach unserer Auffassung keine terroristische Organisation ist, sondern eine Beteiligte an einem völkerrechtlichen Konflikt und entsprechend nach humanitärem Völkerrecht zu behandeln ist.

Demonstration im November 2022 in Berlin: PKK-Verbot aufheben, den Weg für Frieden ebnen


Auf der anderen Seite versuchen wir darzustellen, dass die Türkei eben gerade kein Staat ist, der schützenswert ist, sondern ein Staat, der Menschenrechte und die Menschenwürde nicht achtet, der nicht davor zurückschreckt, im Inland und im Ausland Kurd:innen zu ermorden und völkerrechtswidrige Angriffskriege und Invasionen zu starten. Das sind Themen, die wir immer wieder in das Verfahren einbringen. Das Gericht reagiert sachlich auf die Anträge und geht ihnen zum Teil nach. Ein schöner Moment war, als wir aufgrund eines Antrags eine Videoaufnahme vom Newroz-Fest 2013 in Diyarbakir (ku. Amed) gesehen haben und zwar den Moment, als der Brief von Abdullah Öcalan (Repräsentant der Kurd:innen und Gründer der PKK, seit 24 Jahren in türkischer Isolationshaft, Anm. d. Autor:innen) verlesen wurde. Das ist in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden. Die Dolmetscher:innen haben die Verlesung des Briefes übersetzt. Das war ein Moment, den man politisch nennen kann, aber auch höchst juristisch, weil damit für den Senat klar geworden sein sollte, dass es eine Volksbewegung ist und da Millionen Menschen stehen, die Frieden wollen. Das ist für die Beurteilung der PKK natürlich relevant.

Sie wollten im Verlauf der Verhandlungen unter anderem den Generalbundesanwalt Peter Frank vernehmen. Können Sie uns den Kontext davon erklären und wie hat das Gericht darauf reagiert?

Wir hatten beantragt, dass Peter Frank, der Generalbundesanwalt, als Zeuge geladen wird vor dem Hintergrund, dass es einen Besuch im Juli 2022 von Frank in Ankara gab. Das ist jetzt für sich genommen noch nicht so ungewöhnlich, allerdings hat er sich dort nicht nur mit seinem Amtskollegen und dem türkischen Justizminister getroffen, was noch plausibel ist, sondern er hat sich auch mit Recep Tayyip Erdogan getroffen. Es gibt Bilder in der türkischen Presse, wie sie zusammensitzen, die Hand schütteln und wo man das Gefühl hat, dass das quasi Propagandabilder sind, bei denen der deutsche Generalbundesanwalt ein autokratisches Regime, das kein Rechtsstaat mehr ist, durch seine Anwesenheit legitimiert und eben auch den Präsidenten, mit dem er vom Ressort her nichts zu tun hat. Es gab auch eine entsprechende schriftliche Frage im Deutschen Bundestag dazu und in der Antwort hieß es dann nur, über Einzelfälle sei nicht geredet worden, aber im Übrigen sei das alles so geheim, dass man nicht öffentlich sagen könne, was da gesprochen worden sei.

Von links nach rechts: Peter Frank, Recep Tayyip Erdoğan, Bekir Şahin


Unsere Vermutung ist – da es auch in dem zeitlichen Kontext war, als die Türkei auf Schweden und Finnland im Zuge der NATO-Beitrittsverhandlungen so erheblich Druck ausgeübt hat – , dass Erdogan von dem Generalbundesanwalt gefordert hat, härter gegen „Terroristen“ vorzugehen und dass damit insbesondere Gülen-Anhänger, aber eben auch PKK-Anhänger gemeint waren. Es ist zu befürchten, dass Frank entsprechendes zugesagt hat, wenn man sich die aktuellen Zahlen von verhaften kurdischen Aktivist:innen und Durchsuchungen anschaut. Erdogan hat schon oft öffentlich gesagt, es könne nicht sein, dass angebliche PKK-Anhänger in Deutschland ruhig leben könnten. Aber dies bildet die Realität überhaupt nicht ab, weil es ja eben diese ganzen Strafverfahren gibt, aber da gibt es halt eine ganz offene Einflussnahme. Wir wollten Frank hören um herauszufinden, was genau die Forderungen von Erdogan bei dem Treffen waren. Das Gericht hat den Antrag abgelehnt mit der Begründung, das sei für das Verfahren nicht relevant.

Das ist das Kernproblem dieser Verfahren, weswegen man sich eigentlich auf einer gewissermaßen unpolitischen Ebene darüber so aufregen kann. Denn hier werden im Bereich des Strafrechts eigentlich politische Entscheidungen im Endeffekt vorgegeben, nämlich ob so ein Strafverfahren geführt wird oder nicht. Und wenn so ein Strafverfahren geführt wird, wird in der Regel auch verurteilt, aber diese politischen Entscheidungen können gar nicht als Gegenstand des Strafverfahrens hinterfragt werden, was rechtsstaatlich einfach problematisch ist, ungeachtet dessen, wie man das politisch betrachtet. Aber das zeigt, dass der §129b gelinde gesagt ein Fremdkörper, zugespitzt gesagt ein Schandfleck im deutschen Strafgesetzbuch ist.

Wie beurteilen Sie und ordnen Sie das Verfahren ein mit ihrer Erfahrung von Strafprozessen mit ähnlicher Ausrichtung, die Sie selbst bearbeitet oder beobachtet haben?

Also insgesamt reiht sich das Verfahren ein in die mittlerweile leider schon zehnjährige Geschichte der Verfahren und Urteile, die einseitig zulasten der kurdischen politischen Bewegung, der kurdischen Bevölkerung gehen und die Einseitigkeit der politischen Entscheidungen, der Entscheidungsträger und der gesetzlichen Vorgaben widerspiegeln. Der Senat macht das so wie alle anderen Senate. Er betreibt nicht ernsthaft Sachaufklärung dazu, was genau der Charakter der PKK ist, sondern die Beweisführung, dass es sich bei der PKK um eine terroristische Vereinigung handeln soll, beinhaltet schlicht, dass der Ermittlungsführer des BKA vernommen wird, also ein Beamter, der sein Wissen nur aus Akten hat. Da werden Zeitungsartikel von der Internetseite der „Hêzên Parastina Gel“ (Volksverteidigungskräfte, Anm. d. Autor:innen), aber auch aus türkischen Medien genommen und verlesen, aber das ist natürlich keine Sachaufklärung. Damit weiß ich immer noch nicht, was tatsächlich in der Türkei und im Nordirak passiert. Und da hat der Senat, obwohl er vorher kein einziges §129b-Verfahren geführt hat, keine Probleme, so schablonenhaft vorzugehen wie alle anderen auch.