Kurdische Bevölkerung leidet unter HTS

Die Türkei unterstützt die „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS) und versucht, die Kurd:innen durch bewaffnete Gruppen zu vernichten. Ist HTS besser als die Kurd:innen? Ist sie repräsentativer für die Völker der Türkei?

Auf wessen Seite steht sie?

Der türkische Außenminister Hakan Fidan bedroht wieder einmal Rojava und das kurdische Volk. Die Rechtfertigung ist wie immer die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), denn niemand auf der Welt betrachtet die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) oder die Volksverteidigungseinheiten (YPG) als terroristische Organisationen. Die Türkei hat jahrelang versucht, sie auf internationale Terrorlisten zu setzen, ist damit aber gescheitert. Seit 2014 kämpfen die YPG und QSD an der Seite der internationalen Koalition gegen den selbsternannten Islamischen Staat (IS). Sie waren zu keinem Zeitpunkt in terroristische Handlungen verwickelt. Nord- und Ostsyrien bleibt offen für die Welt, wird von lokalen Versammlungen regiert und man kann sagen, dass sie die demokratischste und am meisten an Freiheit orientierte Verwaltung im Nahen Osten beherbergt.

Die türkische Regierung sagt nun, sie wolle Abdullah Öcalan im Imrali-Gefängnis besuchen und dort erklären: „Lasst uns Frieden schließen, lasst uns ein kurdisch-türkisches Bündnis aufbauen.“ Gleichzeitig bedroht sie aber weiter Nord- und Ostsyrien. Die angebliche Dauer-Ausrede – es gehe dort um die PKK – ist notwendig, denn würde die Türkei ihre Feindschaft gegen die Kurd:innen, deren Existenz oder politischen Status offen erklären, würde sie von der internationalen Gemeinschaft verurteilt werden. Statt auf Anerkennung setzt die türkische Regierung also auf die Fortsetzung ihrer Aggression und untermauert damit ihre antikurdische Haltung. Dass die PKK bereits auf sogenannten Terroristenlisten steht, nutzt die Türkei als Blankoscheck, um ihr härtestes Vorgehen gegen Kurd:innen überall zu legitimieren.

Rückkehr nach Efrîn nicht möglich

Was sich in Efrîn abgespielt hat, war ein Akt der ethnischen Säuberung gegen die kurdische Bevölkerung. Befindet sich die PKK derzeit in Efrîn (Afrin)? Wenn nicht, warum können die Menschen aus Efrîn noch immer nicht in ihr Land zurückkehren?

Das Baath-Regime ist zusammengebrochen, und HTS hat sich faktisch als die herrschende Autorität in Damaskus positioniert. Bewaffnete Gruppen, die der Türkei gegenüber loyal sind, haben öffentlich erklärt, dass sie sich der syrischen Armee angeschlossen haben. Ahmed al-Scharaa alias Abu Muhammad al-Dschaulani sagte, die Menschen in Efrîn würden in ihre Häuser zurückkehren. Er hat Efrîn sogar selbst besucht. Doch eine Rückkehr der Vertriebenen konnte bis heute nicht stattfinden. Al-Scharaa selbst musste zugegeben, dass seine Kräfte das Gebiet noch nicht unter Kontrolle haben und dass es ihnen nicht gelungen ist, die Sicherheit herzustellen.

Wer bedroht diese Sicherheit? Natürlich die Türkei und die von ihr befehligten bewaffneten Gruppen. Die HTS hat nicht den Mut, der Türkei zu sagen, sie solle abrücken und ihre bewaffneten Gruppen aus der Region abziehen.

Sollte die SNA nicht Teil der syrischen Armee sein?!

Monatelang hat die türkische Armee zusammen mit den von ihr kontrollierten bewaffneten Gruppen die Region um den Tişrîn-Damm angegriffen. Die türkische Regierung verkündete wiederholt, alle diese Gruppen hätten sich bereit erklärt, sich in die syrische Armee einzugliedern.

Hätten sie sich wirklich der Armee angeschlossen, dann läge die Verantwortung für die fortgeführten Angriffe bei der HTS geführten Verwaltung. Diese behauptet jedoch, sie sei nicht in Kämpfe verwickelt und halte einen Waffenstillstand mit den QSD aufrecht. Sie hatten mit den QSD am 10. März ein Abkommen unterzeichnet, welches sogar eine Bestimmung über eine allgemeine Waffenruhe in ganz Syrien beinhaltete. Aktuell wird erneut ein Waffenstillstandsabkommen diskutiert, das sich auf den Tişrîn-Damm konzentriert. Dieser Plan sieht vor, dass mit der HTS verbundene Gruppen zwischen den QSD und mit der Syrischen Nationalen Armee (SNA) verbundenen Milizen eingesetzt werden.

Aber waren die SNA und andere Gruppierungen nicht längst in die syrische Armee integriert? Wenn das wirklich der Fall wäre, würden sie bereits der Befehlskette der HTS unterstehen. Und wenn die SNA, statt der türkischen Armee gegenüber loyal zu sein, der HTS unterstünde, warum sollte dann die HTS eine eigene Truppe entsenden, die zwischen ihnen steht?

Antikurdische Feindseligkeit

Die Menschen, die aus den Regionen Girê Spî (Tall Abyad) und Serêkaniyê (Ras al-Ain) vertrieben wurden, können nicht zurückkehren. Diese Gebiete sind weiterhin von der türkischen Armee besetzt und werden von ihr nahestehenden bewaffneten Proxymilizen kontrolliert. Für die Zivilbevölkerung gibt es dort weder Sicherheit für ihr Leib und Leben noch für ihr Eigentum. Entführungen, Lösegeldforderungen, Folter und Drohungen gehen unaufhörlich weiter. Seit Jahren werden Häuser, Hab und Gut der Menschen beschlagnahmt und geplündert, und die Rückkehr der Vertriebenen wird systematisch verhindert. Hier geht es nicht um die Präsenz der PKK. Die Politik, die hier verfolgt wird, ist eindeutig auf die Feindseligkeit gegenüber den Kurd:innen zurückzuführen.

Die Syrien-Agenda der AKP

Der türkische Staat setzt die HTS unter Druck, um dem kurdischen Volk jede Form von politischem Status zu verweigern. Die erste Regierung, die die von breiten Teilen der syrischen Bevölkerung abgelehnte Übergangsverfassung der HTS anerkannt und unterstützt hat, war die Regierung der Erdoğan-Partei AKP in der Türkei.

Der Nationale Sicherheitsrat der Türkei (MGK) ist sogar so weit gegangen, dass er verbindliche politische Entscheidungen zu Syrien getroffen hat. In einem dieser Beschlüsse erklärte er seine Vision von Syrien als einheitlichem Nationalstaat mit einer zentralisierten Regierung und vollständiger politischer Integrität. Die überwältigende Mehrheit der syrischen Bevölkerung bevorzugt jedoch ein dezentralisiertes, demokratisches System. Anstatt dies zu unterstützen, versucht die Türkei, ein Regime durchzusetzen, das die Baath-Ära im Vergleich dazu moderat erscheinen lässt.

Ist die HTS wirklich näher an den Völkern der Türkei?

Selbst in ihrer schwächsten Phase hat die HTS eine Übergangsverfassung verkündet, die noch repressiver war als die des Baath-Regimes. Historisch gesehen werden die demokratischsten Verfassungen nach Revolutionen geschrieben, nachdem ein System zusammengebrochen ist und Oppositionskräfte und pro-demokratische Bewegungen auferstanden sind. In solchen Momenten hat keine einzelne Partei die absolute Macht. Die Forderungen der Bevölkerung nach Freiheit werden oft anerkannt und die demokratischen Rechte in der Regel gesichert.

Die HTS repräsentiert nicht die syrische Gesellschaft. Sie ist nicht landesweit organisiert. Sie steht weiterhin unter weltweiter Beobachtung, ist als terroristische Organisation gelistet und unterliegt internationalen Sanktionen. Dennoch hat sie eine extrem zentralisierte und religiös begründete Verfassung durchgesetzt, mit der sie die Region vier oder fünf Jahre lang regieren will. Es ist klar, dass diese Gruppe, wenn sie sich besser organisiert und mehr Macht erlangt, ein noch strengeres Regime errichten wird.

Die Türkei unterstützt ganz offen diese Verfassung, diese Regierung und dieses System. Sie will auch, dass das kurdische Volk unter HTS und ähnlichen Gruppierungen zerschlagen wird. Aber ist HTS legitimer als die Kurd:innen oder ihre politischen Organisationen? Steht sie den Völkern der Türkei wirklich näher? Die türkische Regierung hat sich von ihrem Hass auf die Kurd:innen blenden lassen.

Es ist klar: die PKK ist nicht das Problem

Abdullah Öcalan hatte in dem Bemühen, den Krieg zu beenden und den Frieden in der Region zu fördern, sogar zur Auflösung der PKK aufgerufen. Die regierende AKP drängt derweilen auf die Entwaffnung und Dekomposition der PKK durch Gespräche auf Imrali. Aber wenn eine Organisation bereit ist, sich aufzulösen, warum wird sie dann immer noch als Bedrohung betrachtet? Und warum werden dabei syrische Kurd:innen ins Visier genommen? Dies zeigt deutlich, dass das eigentliche Problem nicht die PKK ist. Das Problem ist die Absicht, das kurdische Volk zu vernichten und ihm jede Form von politischem Status zu verweigern. Genau dies findet alles unter dem Deckmantel des Kampfes gegen die PKK statt.