Einigung am Tişrîn-Staudamm

Der strategisch bedeutende Tişrîn-Damm am Euphrat steht künftig unter gemeinsamer Kontrolle der DAANES und der syrischen Übergangsregierung. Unter Vermittlung der internationalen Koalition wurde ein Abkommen zur Entmilitarisierung geschlossen.

Deeskalation in Nordsyrien nimmt konkrete Formen an

Die Verhandlungen zwischen der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) und der Übergangsregierung in Damaskus sind mit einem wichtigen Schritt vorangekommen: Der strategisch bedeutende Tişrîn-Damm am Euphrat steht künftig unter gemeinsamer Kontrolle – ein Meilenstein zur militärischen Deeskalation in der Region.

Wie am Samstag bekannt wurde, einigten sich Vertreter:innen der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), der syrischen Regierung sowie die US-geführte Anti-IS-Koalition auf ein Maßnahmenpaket zur Entmilitarisierung des Staudamms zwischen Kobanê und Minbic. Dem Abkommen ging eine gemeinsame Inspektion der Anlage durch Delegationen aus Washington, Damaskus, Qamişlo und Ankara voraus.

Kernpunkte des Abkommens:

-Der Tişrîn-Staudamm wird offiziell zur „neutralen Zone“ erklärt und aus militärischen Auseinandersetzungen herausgenommen.

-Die Militärpräsenz auf beiden Seiten des Damms wird schrittweise reduziert.

-Von der Westseite sollen Türkei-gesteuerte Dschihadistenmilizen abgezogen und durch Einheiten des syrischen Verteidigungsministeriums ersetzt werden.

-Die Ostseite bleibt unter dem Schutz der Behörde für innere Sicherheit der DAANES (Asayîş), die technische Verwaltung übernimmt ebenfalls Personal der Selbstverwaltung.

Hunderte Tote und Verletzte

Die Region rund um den Tişrîn-Staudamm war über Monate hinweg Schauplatz von türkischen Angriffen und teils heftiger Gefechte zwischen den QSD und Islamisten der von Ankara kontrollierten „Syrische Nationalarmee“ (SNA). Die Bombardierungen forderten hunderte Tote und Verletzte, ein Großteil davon Zivilpersonen aus der DAANES. Der Damm ist nicht nur eines der wichtigsten Wasserkraftwerke des Landes, sondern auch ein Symbol für die fragile Machtbalance im kriegsgezeichneten Syrien. Laut lokalen Berichten ist seit dem Abkommen ein deutlicher Rückgang militärischer Aktivitäten zu verzeichnen, Wartungsteams konnten ihre Arbeit am Damm wiederaufnehmen.

Ilham Ehmed: „Ein Schritt für ganz Syrien“

Die Ko-Außenbeauftragte der DAANES, Ilham Ehmed, wertete die Entwicklung als bedeutsam. „Die gemeinsame Begehung des Tişrîn-Damms zeigt, dass die mit Damaskus begonnenen Gespräche nun praktische Früchte tragen. Es geht hier nicht nur um technische Fragen, sondern um die Grundlage für ein neues, demokratisches Syrien“, erklärte sie.

Mit dem Besuch werde ein „weiterer konkreter Schritt hin zur Umsetzung der in Aleppo initiierten Vereinbarungen“ vollzogen, sagte Ehmed. Das Abkommen schaffe Raum für „weitere Verständigungen zwischen allen Kräften Syriens“ und könne als Modell für andere Regionen dienen. In den kommenden Tagen werde es weitere Bekanntmachungen geben.

Politische Signalwirkung

Das Abkommen könnte eine seltene Phase konstruktiver Zusammenarbeit in der zersplitterten syrischen Landschaft einleiten. Besonders in der Region rund um Kobanê und Minbic hatten Besatzungsoffensiven türkisch-dschihadistischer Invasionstruppen immer wieder Unsicherheit geschürt. Mit der Rückkehr staatlicher Verwaltung und gleichzeitiger Anerkennung lokaler Autonomie – wie sie die DAANES verkörpert – versucht man nun eine Balance zwischen Stabilität, Sicherheit und Selbstverwaltung herzustellen. Diplomatische Quellen rechnen in Kürze zudem mit einer offiziellen Feuerpause zwischen den QSD und der türkischen Armee – ein weiteres Zeichen, dass Deeskalation derzeit realistische Chancen hat. Inoffiziell gilt bereits seit Tagen eine Waffenruhe.

Foto: QSD-Kämpfer am Tişrîn-Damm © Sinan Cûdî