Fatma Kurtulan: Gefangene werden gefoltert

Die HDP-Abgeordnete und Menschenrechtsexpertin Fatma Kurtulan erklärt, die Praktiken in türkischen Gefängnissen hätten das Niveau der Folter bis hin zum Tod erreicht.

Die Bedingungen der Gefangenen in türkischen Gefängnissen werden immer dramatischer. Die HDP-Abgeordnete Fatma Kurtulan ist Mitglied der Menschenrechtskommission der türkischen Nationalversammlung und berichtet im ANF-Gespräch von der Behandlung schwerst kranker Gefangener in Handschellen, von militärischen Zählappellen, vielfachem Grundrechtsentzug, der Verweigerung einer Entlassung nach Ablauf der Strafe und fehlenden Ermittlungen selbst beim Tod von Gefangenen.


Kurtulan erklärt, dass sie in diesem Monat als Mitglied des Gefängnisausschusses der parlamentarischen Menschenrechtskommission drei verschiedene Haftanstalten besucht habe und die Menschenrechtsverletzungen dort ein schwerwiegendes Ausmaß angenommen hätten. Über die Besuche berichtet die Abgeordnete: „Es hieß, dass Vedat Erkmen vor einigen Monaten in Tekirdağ Selbstmord begangen habe. Wir haben mit Zellengenossen von ihm gesprochen. Sie sagten, dass mehrere Male Personen, die behaupteten, sie kämen vom ‚Geheimdienst‘, Vedat Erkmen aus der Zelle geholt hätten und ihn dazu zwingen wollten, als Spitzel tätig zu werden. Es gibt Gefangene, von denen es heißt, sie hätten Selbstmord begangen, und solche, die gestorben sind, weil sie nicht behandelt wurden. Dies sind verdächtige Todesfälle und das Justizministerium ist dafür verantwortlich.“

Willkürbehandlung erreicht Niveau von Folter“

Kurtulan unterstreicht, die Willkürbehandlungen, Rechtsverletzungen und Übergriffe hätten das Niveau von Folter erreicht: „Das sind keine menschenwürdigen Praktiken. Immer wieder gibt es Widerstand dagegen, und wenn es dazu kommt, werden die Gefangenen geschlagen. Die Probleme, über die die Häftlinge klagen, ob politische Gefangene oder nicht, bleiben die gleichen. Wir besuchen schon lange die Gefängnisse. Selbst wenn die Kommission gewisse Anstrengungen unternimmt, kann sie keine Verbesserungen erwirken, die zu einer grundlegenden Veränderung führen.“

Die kranken Gefangenen werden zum Tod verurteilt“

Fatma Kurtulan beschreibt insbesondere die Situation der kranken Gefangenen als dramatisch. Selbst um die Krankenstation zu besuchen, müssten sie monatelang warten. Die HDP-Abgeordnete betont, was die Gefangenen ihr berichtet hätten: „Selbst, wenn wir dann dorthin gebracht werden, ist es meist viel zu spät. Wenn wir untersucht werden, werden keine Tests gemacht und es werden uns keine Medikamente gegeben und wenn, dann zu spät.“ Kurtulan merkt an, die kranken Gefangenen seien aufgrund dieser Lage de facto zum Tode verurteilt.

Im Rahmen ihrer Arbeit konnte Fatma Kurtulan auch die in Haft schwer an Demenz erkrankte HDP-Politikerin Aysel Tuğluk besuchen: „Unsere Freundin Aysel Tuğluk ist eine dieser schwer kranken Gefangenen. Wir haben sie vor kurzem in ihrer Zelle in Kandıra besucht. Aysel ist definitiv nicht mehr die alte Aysel. Ihre Veränderung ist offensichtlich. Man kann ihre Krankheitssymptome spüren. Trotzdem muss sie immer wieder zum Institut für Rechtsmedizin (ATK). Das ATK ist ein ganz eigenes Problem. Es handelt sich leider um eine Institution, die ausschließlich auf der Grundlage von politischen Motiven entscheidet.“

Die Gefangenen sollen gebrochen werden“

Die Gefangenen sollten durch dieses Vorgehen gebrochen werden, sagt Kurtulan und weist auf die Isolation der Häftlinge hin. So werden insbesondere politische Gefangene in Haftanstalten Tausende Kilometer von ihren Angehörigen entfernt verlegt. So solle die Beziehung zu den Familien abgeschnitten werden. Die Behauptung, es gehe dabei um Sicherheit, sei absurd, sagt Kurtulan und fährt fort: „Ein Verwandter von Ihnen ist im Gefängnis, wie können Sie die Sicherheit bedrohen, wenn Sie zu Besuch kommen? Der Staat benutzt jede Gelegenheit, um die Gefangenen zu vernichten, sie zu brechen und zu isolieren und ihre Rechte zu verletzen.“

Übergriffe werden nicht untersucht“

Fatma Kurtulan erinnert daran, dass im Sincan-Gefängnis ein junger Mann durch einen Angriff von Wächtern getötet worden war. Sie berichtet: „Es wurde weder danach gefragt, noch untersucht, noch sich damit beschäftigt. Es wurden Fehlinformationen gegeben. Der Justizminister gab andere Informationen als der Generaldirektor der Haftanstalten. Einige der Gefangenen konnten der Öffentlichkeit mitteilen, dass sie gefoltert wurden, aber es wird nicht untersucht.“

Die Isolation auf Imrali hat sich verschärft“

Die Abgeordnete spricht auch von der verschärften Isolation Abdullah Öcalans auf der Gefängnisinsel Imrali: „Warum stehen Abdullah Öcalan und drei weitere Gefangene unter schärfster Isolation? Weil sich die Türkei für den Krieg entschieden hat. Die Regierung hat der Demokratie, dem Recht und der Gerechtigkeit komplett den Rücken gekehrt. Der türkische Staat beharrt auf einem umfangreichen und brutalen Krieg. In diesem Zusammenhang wird die Isolation auf Imrali verschärft.“