Wie ist die Situation der Menschenrechte in den Haftanstalten der Çukurova-Ebene? Um in dieser Frage für etwas Klarheit zu sorgen, hat die Gefängniskommission der in Adana ansässigen Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD einen Bericht über die Rechtsverletzungen in den Vollzugsanstalten der Region vorgelegt. Der Report ist ernüchternd und offenbart einen massiven Anstieg der seit Jahren staatlich verankerten Menschenrechtsverstöße hinter Gittern. Untersucht wurden insgesamt sechs Einrichtungen in den Provinzen Adana, Osmaniye und Maraş.
Am verheerendsten sei die Lage in den F- und T-Typ-Gefängnissen in Adana-Kürkçüler und den beiden L-Typ-Gefängnissen in Maraş-Türkoğlu, sagte der Rechtsanwalt Serhat Ökmen bei der Vorstellung des Berichts, die im Rahmen einer Pressekonferenz stattfand. „Die Rechtsverletzungen reichen von der Verhinderung der Behandlung und verweigerten Gesundheitsrechten kranker Gefangener über Folter, Misshandlung und erniedrigenden Praktiken, Nacktuntersuchungen, der Durchsuchung des Mundraums, mangelnden Hygienemaßnahmen bei der Covid-19-Pandemie über willkürliche Disziplinarstrafen, die Einschränkung der Meinungsfreiheit und des Austauschs der Gefangenen untereinander, Probleme von Gefangenen mit Behinderung bis hin zur Praxis, den Gefangenen trotz guter Führung die vorzeitige Entlassung zu verwehren.“
Methoden jenseits von Menschenrechten
Laut Ökmen, der zugleich Sprecher der örtlichen Gefängniskommission ist, seien diese Verstöße sowohl in Briefen von Gefangenen geschildert als auch durch Angehörige in Gesprächen an den IHD herangetragen worden. „Bei unseren persönlichen Besuchen bestätigten sich diese Vorwürfe. Wir mussten feststellen, dass seit Jahren in den Gefängnissen dieses Landes praktizierte Methoden jenseits von Menschenrechten in den Vollzugseinrichtungen der Çukurova-Ebene ebenfalls noch immer andauern.“ Der Jurist wies auf Fälle von Folter durch Mundraumdurchsuchungen im F-Typ-Gefängnis Kürkçüler hin und schilderte, dass bei einer Überführung von Gefangenen in ein Krankenhaus das Gendarmeriepersonal eine intraorale Durchsuchung vorgenommen habe, obwohl die Häftlinge auf dem Weg von ihren Zellen bis zur Übergabe an den Transport bereits viermal durchsucht worden waren. Obwohl diese Untersuchungen unter anderem mit Detektoren und mittels Durchleuchtung stattfanden, habe die Gendarmerie auf die interorale Durchsuchung an den Gefangenen bestanden. „Diese Praxis ist willkürlich, weil sie nicht unter Aufsicht eines Arztes durchgeführt wird und nicht gesetzeskonform ist. Diese Praxis wird als Verstoß gegen die Menschenwürde bewertet“, so Ökmen. Die Verlegung der Gefangenen ins Krankenhaus sei nicht durchgeführt worden, weil das Personal zu Protokoll gab, die Gefangenen hätten eine Durchsuchung verweigert.
Drei Wochen die gleiche Atemschutzmaske
Über weitere Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem „Recht auf Gesundheit“ der Gefangenen während Corona erklärte Ökmen, dass in allen Gefängnissen der Region selbst in den kritischsten Zeiten der Pandemie keine Reinigungs- und Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt worden seien und Häftlinge teils bis zu drei Wochen die gleiche Atemschutzmaske tragen mussten. Das Wachpersonal, das in sehr intensivem Kontakt mit der Außenwelt stehe, beträte ohne jegliche Vorsichtsmaßnahmen die Zellentrakte und Hafträume der Gefangenen. Bei externen Krankenhausaufenthalten würden die Betroffenen in extrem verschmutzten Zimmern untergebracht. Als besonders desaströs wurde der Zustand in Krankenzimmern städtischer Kliniken in Osmaniye beschrieben. Die Räume der Quarantänestation im örtlichen T-Typ-Gefängnis Nummer 1 seien ebenfalls in einem katastrophalen Zustand.
Die Situation schwer kranker Gefangener
Rechtsanwalt Ökmen ging bei der Vorstellung des Berichts auch auf die dokumentierten Rechtsverletzungen an kranken Gefangenen ein. So sei mehreren im T-Typ-Gefängnis Nummer 2 in Osmaniye einsitzenden und zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung verletzten Gefangenen fünf Jahre lang das Recht auf Behandlung verweigert worden. „Erst durch langwierige Bemühungen konnten Krankenhaustransporte erwirkt werden, doch Behandlungen durch Ärzte sind nicht durchgeführt worden. Darüber hinaus wurden die Gefangenen während Arztgesprächen in Handschellen gehalten. Wir konnten feststellen, dass die Behandlung dieser Fälle bewusst verzögert wurde und bleibende Schäden bei den Gefangenen verursacht worden sind, weil fünf Jahre lang notwendige und angemessene Therapien vorenthalten wurden. Im Fall einer im T-Typ-Gefängnis Nummer 1 in Osmaniye inhaftierten schwerkranken Gefangenen konnte nachgewiesen werden, dass eine dringend notwendige Operation nicht durchgeführt wurde, weil sie zuvor einer Behandlung in gefesseltem Zustand und im Beisein der Gendarmerie nicht zustimmte.“
Weiter sind in dem Bericht mehrere Fälle älterer, kranker oder körperbehinderter Gefangener dokumentiert, denen notwendige ärztliche Routineuntersuchungen, medizinische Behandlung, ihrer Situation entsprechende Unterbringung oder Hafterleichterungen verweigert werden. In einigen Fällen seien durch das Versperren des Zugangs zu Medikamenten lebensbedrohliche Zustände verursacht worden. „All dies sind klare Fälle von Verstößen gegen das Recht auf Gesundheit gefangener Menschen“, fasste Serhat Ökmen die Ergebnisse zusammen.
Auch das Recht auf freien Zugang zu Information wird regelmäßig in den Haftzentren der Çukurova-Ebene verletzt. So konnte die Kommission des Menschenrechtsvereins in drei Gefängnissen Fälle dokumentieren, in denen oppositionelle Zeitungen trotz ausdrücklichem Lesewunsch der Gefangenen nicht ausgehändigt wurden. Beschwerden von Gefangenen bei Gerichten und Staatsanwaltschaft blieben unbeantwortet und auch Briefe, die in kurdischer oder englischer Sprache verfasst waren, wurden den Gefangenen nicht ausgehändigt oder nicht versendet. Das Recht auf Kontakte zur Außenwelt wird ebenfalls durch Kürzung von Telefon und Besuchszeiten verletzt. Das Streichen sozialer Aktivitäten gehört zu den häufigsten Rechtsverletzungen.
Zehn Häftlinge erhalten Essensration für vier Personen
Ein weiteres Problem, von dem die Gefangenen gegenüber der IHD-Kommission häufig berichteten, sei die Menge und die Qualität des Essens. „Viel zu kleine Portionen, Nährstoffarmut, übler Geruch und Geschmack sowie oft über Tage hinweg das gleiche Essen, das den Gefangenen in der Gefängniskantine zu hohen Preisen verkauft wird, sind insbesondere für kranke und geschwächte Häftlinge verhängnisvoll. Dabei haben selbstverständlich auch Gefangene in der Haft das Recht auf eine gesunde Ernährung“, sagte Serhat Ökmen. „Das Recht der Gefangenen auf Zugang zu angemessener, ausreichender und gesunder Nahrung und die Verpflichtung, diese bereitzustellen, liegt in der Verantwortung des Staates. Willkürliche Praktiken, die die Grundbedürfnisse der Gefangenen, insbesondere ihr Recht auf Leben und Gesundheit, bedrohen, sollten sofort beendet werden. Gerade kranke Gefangene müssen unter Berücksichtigung auf gesundheitliche Aspekte und ihre Haftbedingungen Zugang zu angemessener und gesunder Ernährung haben“, fordert der IHD.