Der Umgang mit politischen Gefangenen in der Türkei zeigt, dass der Aufbau des autokratischen Regimes mit einem Staatspräsidenten an der Spitze, der sich an Freund-Feind-Unterscheidungen orientiert, unbeirrt fortgesetzt wird. Die internationale Öffentlichkeit scheint sich an die dezisionistische Politik des Diktators vom Bosporus gewöhnt zu haben – zum Nachteil der Menschenrechte, Grundfreiheiten und der Würde der menschlichen Person. Was aktuell hinter den Gittern der Gefängnismauern in der südtürkischen Provinz Adana an staatlich gewollter beziehungsweise zugelassener Erniedrigung, Entwürdigung, körperlicher wie seelischer Gewaltanwendung durch Menschen an Menschen möglich ist, darauf machten unlängst die Anwaltskammer sowie die Zweigstellen des Menschenrechtsvereins IHD und der Anwaltsvereinigung ÇHD aufmerksam. „Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der politischen Gefangenen wird grob verletzt, teilweise können wir von einer Legalisierung von Körperverletzung sprechen“, hieß es am Donnerstag bei einer Kundgebung vor dem Typ-F-Gefängnis (amtlich: Geschlossene Typ-F-Hochsicherheitsstrafvollzugsanstalt) im Kreis Kürkçüler. An der Zusammenkunft beteiligten sich auch Parteien wie die HDP und DBP sowie zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Vereine der Gefangenensolidarität.
„Verstoß gegen Folterverbot“
Der Jurist Yakup Ataş, der die Zweigstelle des IHD in Adana führt, erklärte, dass die systematische Folter als Staatspolitik in allen Bereichen des Lebens nach wie vor deutlich sei. Insbesondere in Gefängnissen herrschten bedingt durch einen „Blankoscheck für Gewalt“ Zustände, die weder mit der Verfassung des Landes noch mit internationalem Recht zu vereinbaren seien. „Insbesondere das Verbot von Folter, Misshandlung und entwürdigender Behandlung wird systematisch gebrochen“, sagte Ataş. Zur Situation der Gefangenen in Kürkçüler erklärte der Rechtsanwalt: „Obwohl die Gefangenen bis zur Übergabe an die Militärpolizei zum Transport ins Krankenhaus vier Mal durchsucht werden, Detektoren und Röntgenapparate zum Einsatz kommen, werden sie anschließend von der Militärpolizei im Mundraum durchsucht. Die Tatsache, dass diese Praxis von der Militärpolizei ohne jeden Verdacht, dass etwas im Mund versteckt wird, durchgeführt wird, kann als entwürdigender Willkürakt nicht akzeptiert werden. Die Gefangenen, die sich weigern, eine Mundraumdurchsuchung über sich ergehen zu lassen, werden unter diesem Vorwand nicht ins Krankenhaus gebracht.“
Dutzenden Schwerkranken wird Behandlung verweigert
Laut Ataş lasse die Rechtslage solche Durchsuchungen nur im Ausnahmezufall zu. „Der Fakt, dass sie dennoch ohne jegliche Kriterien systematisch durchgeführt werden, zeigt, dass es sich um eine schmerzhafte Praxis handelt, die auf die körperliche Unversehrtheit und Würde der Gefangenen abzielt. Es gibt im F-Typ-Gefängnis von Kürkçüler Dutzende von kranken Gefangenen, die diese entwürdigende Behandlung nicht akzeptieren und daher seit langer Zeit nicht behandelt werden.“
Angriff auf das Recht auf Leben
Dabei handele es sich um Gefangene mit Herzkrankheiten, Krebs, Magengeschwüren, Blutgerinseln im Gehirn und verschiedenen anderen chronischen Erkranken. Die Durchsuchungen des Mundraums stellten daher vor allem für die kranken Gefangenen, aber auch für die Inhaftierten insgesamt ein ernsthaftes Hindernis zur Nutzung ihres Rechts auf Gesundheitsversorgung dar. „Wir als juristische Verteidigung dieser Menschen sind insbesondere in Bezug auf das Recht auf Leben der schwer kranken Inhaftierten besorgt“, so Ataş. Doch alle bisherigen Initiativen gegen diese Praxis und andere Grundrechtsverletzungen seien erfolglos gewesen. „Aufgrund dieser Situation fordern wir erneut die Gefängnisverwaltung, das Justizministerium, das Gesundheitsministerium und alle Behörden auf, Verantwortung zu übernehmen, die rechtswidrige Willkürpraxis der ‚Durchsuchung des Mundraums‘ zu beenden und alle Hindernisse für die Gefangenen zum Zugang zur Gesundheitsversorgung zu beseitigen.“