EGMR: Internetverbot für inhaftierten Anwalt rechtswidrig

Dem kurdischen Rechtsanwalt Ramazan Demir ist in türkischer Haft zu Unrecht der Zugang ins Internet verweigert worden. Ankara muss nun Schadenersatz zahlen, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

Dem kurdischen Rechtsanwalt Ramazan Demir ist in türkischer Haft zu Unrecht der Zugang ins Internet verwehrt worden. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) diese Woche in Straßburg entschieden. Der verweigerte Internetzugang sei mit Blick auf die in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kodifizierte Garantie der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit unhaltbar gewesen und in einer demokratischen Gesellschaft unnötig, urteilte eine siebenköpfige Kammer (Nr. 68550/17). Ankara muss dem Juristen nun 3500 Euro Schadenersatz zahlen.

Der 37-jährige Rechtsanwalt Ramazan Demir, der unter anderem auch den ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş vertritt, war im April 2016 unter Terrorvorwürfen verhaftet worden, weil er das „internationale Ansehen der Türkei gefährdet“ haben soll. Hintergrund waren einstweilige Verfügungen, die Demir im Winter 2015/2016 während der türkischen Militärbelagerung in der kurdischen Stadt Cizîr für mehrere Personen, die verletzt in den „Todeskellern“ eingeschlossen waren, für medizinische Hilfe beim EGMR erwirkt hatte. Während seiner knapp sechsmonatigen Untersuchungshaft im Hochsicherheitsgefängnis Silivri hatte Demir Zugang auf die Webseiten des EGMR und des türkischen Verfassungsgerichts verlangt, um die dort anhängigen Verfahren seiner Mandantinnen und Mandanten zu verfolgen. Dies war ihm verwehrt worden, woraufhin er sich in der Türkei juristisch zur Wehr setzte – ohne Erfolg. Nach der nationalen Rechtswegerschöpfung blieb nur noch der Gang nach Straßburg.

Ramazan Demir (r.) beim Demirtaş-Prozess im September 2019 vor dem EGMR

Nach türkischer Rechtsprechung darf Straf- und Untersuchungsgefangenen der Zugang ins Netz nicht pauschal verweigert werden. Im Fall von Demir begründeten die Gefängnisleitung und die türkische Justiz die Einschränkungen mit „Sicherheitsbedenken“ und damit, dass Demir als „gefährlicher Strafgefangener“ eingestuft wurde. Auch das rügt der EGMR als Unverhältnismäßigkeit und nimmt in seinem Urteil auch Bezug auf die eigene Rechtsprechung. In einem Urteil aus 2016 (Kalda/Estland, Urt. v. 19.01.2016, Beschw.-Nr. 17429/10) hatte der EGMR die überragende Bedeutung eines Internetzugangs im modernen Leben betont und festgestellt, dass die Vertragsstaaten der EMRK nicht einfach unter Verweis auf eine allgemeine gesetzliche Bestimmung Gefängnisinsassen die Internetnutzung verweigern dürfen, ohne auf die Umstände des Einzelfalls Rücksicht zu nehmen.