Über 2.000 Schutzsuchende wegen illegalen EU-Pushbacks gestorben

Die britische Zeitung The Guardian stellt in einer Studie fest, dass mindestens 2.000 Schutzsuchende seit dem Beginn der Pandemie im Zusammenhang mit illegalen EU-Pushbacks ums Leben gekommen sind.

Auf dem Meer ausgesetzt, von Schiffen abgedrängt, im Mittelmeer verschwunden - das sind die Schlagzeilen, mit denen illegale EU-Pushbacks umschrieben werden. Solche euphemistisch als „Zurückweisungen“ umschriebene Pushbacks sind illegal, aber dennoch gängige Praxis der Grenzpolizeien der EU-Staaten und der EU-Agentur Frontex. Einer Recherche des Guardian zufolge wurden seit Beginn der Pandemie mindestens 40.000 Asylsuchende an europäischen Grenzen illegal abgewiesen. Bei mehr als 2.000 Männern, Frauen und Kindern endete der illegale Pushback tödlich.

Die Analyse des Guardian basiert auf Berichten, die von UN-Organisationen veröffentlicht wurden, und einer Datenbank von Vorfällen, die von Nichtregierungsorganisationen gesammelt wurden. Wohlfahrtsverbände bringen den Beginn der Pandemie mit einer Brutalisierung der Pushbacks in Verbindung.

Todesfälle stehen in direktem Zusammenhang mit Abschottung

„Jüngste Berichte deuten auf eine Zunahme der Todesfälle von Schutzsuchenden hin, die versuchen, Europa zu erreichen. Gleichzeitig gibt es eine Zunahme in der Zusammenarbeit von EU-Ländern mit Nicht-EU-Staaten wie Libyen, was zum Scheitern mehrerer Rettungsaktionen geführt hat“, sagte einer der führenden Menschenrechts- und Einwanderungsexperten Italiens, Fulvio Vassallo Paleologo, Professor für Asylrecht an der Universität von Palermo gegenüber dem Guardian. Der Experte fuhr fort: „In diesem Sinne stehen die Todesfälle auf See seit Beginn der Pandemie in direktem oder indirektem Zusammenhang mit dem EU-Ansatz, der darauf abzielt, alle Zugänge nach Europa zu schließen, und der zunehmenden Externalisierung der Migrationskontrolle in Länder wie Libyen.“

Die Ergebnisse kommen zu einem Zeitpunkt, an dem die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde (Olaf) eine Untersuchung gegen Frontex wegen illegaler Pushbacks und Übergriffen auf Schutzsuchende eingeleitet hat.

Geschlagen, ausgeraubt, ausgezogen oder auf dem Meer zurückgelassen

Obwohl die Zahl der nach IOM-Angaben in der EU ankommenden Schutzsuchenden auch 2020 deutlich rückläufig war, haben Italien, Malta, Griechenland, Kroatien und Spanien ihre flüchtlingsfeindliche Politik verschärft. Dahinter stehen auch die anderen EU-Mitgliedsstaaten, insbesondere Deutschland, welche die EU-Peripheriestaaten in der Aufnahme von Schutzsuchenden weitgehend allein lassen. Seit der Einführung teilweiser oder vollständiger Grenzschließungen, um den Ausbruch des Coronavirus zu stoppen, haben diese Peripheriestaaten Nicht-EU-Staaten bezahlt und private Schiffe angeheuert, um in Seenot geratene Boote abzufangen und Schutzsuchende illegal in Auffanglager zurückzuweisen. Es gab wiederholt Berichte über Menschen, die an den Grenzen geschlagen, ausgeraubt, nackt ausgezogen oder auf dem Meer zurückgelassen wurden.

Kroatien: Sexualisierte Gewalt, Folter, Misshandlung und Bedrohung bei Pushbacks

In Kroatien ist im Jahr 2020 die Gewalt der Polizei bei Pushbacks nach Bosnien immer weiter eskaliert. Der Dänische Flüchtlingsrat (DRC) verzeichnete fast 18.000 Schutzsuchende, die seit Beginn der Pandemie aus Kroatien illegal zurückgewiesen worden waren. In den letzten anderthalb Jahren hat der Guardian Zeugenaussagen von Schutzsuchenden gesammelt, die von Mitgliedern der kroatischen Polizei ausgepeitscht, ausgeraubt, sexuell missbraucht und nackt ausgezogen wurden.

6.230 Pushbacks aus Griechenland

Nach Angaben des Border Violence Monitoring Network (BVMN) hat Griechenland allein an den Küsten 6.230 Schutzsuchende zurückgewiesen. In 89 Prozent der Fällte stellte das BVMN „unverhältnismäßige und exzessive Gewaltanwendung fest“.

In einer im April beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereichten Klage gegen den griechischen Staat wird Athen beschuldigt, Dutzende von Schutzsuchenden in Rettungsinseln auf See ausgesetzt zu haben, nachdem einige von ihnen geschlagen worden waren. In dem Fall wird geklagt, dass griechische Patrouillenboote die Schutzsuchenden zurück in türkische Gewässer geschleppt und auf dem Meer ausgesetzt hätten, ohne diese mit Nahrung, Wasser, Schwimmwesten oder Mitteln, um Hilfe zu rufen, zu versorgen.

15.500 Pushbacks in libyschen Bürgerkrieg

Nach Angaben des UNHCR haben die libyschen Behörden seit Beginn der Pandemie etwa 15.500 Asylsuchende abgefangen und nach Tripolis zurückgeschoben. Die umstrittene Strategie hat dazu geführt, dass Tausende zwangsweise in libysche Haftzentren zurückgebracht wurden, wo systematische Folter, Sklavenhandel und sexualisierte Gewalt herrschen. Hunderte sind ertrunken, da weder Libyen noch Italien eingegriffen haben.

„Im Jahr 2020 setzte sich diese Praxis fort, wobei die Flugzeuge von Frontex eine immer wichtigere Rolle spielten, da sie Boote auf See sichteten und der libyschen Küstenwache ihre Position mitteilten“, sagte Matteo de Bellis, Migrationsforscher bei Amnesty International. Der Menschenrechtler weiter: „Während Italien irgendwann sogar die Pandemie als Vorwand nutzte, um zu erklären, dass seine Häfen nicht sicher für die Ausschiffung von auf See geretteten Menschen seien, hatte es kein Problem damit, dass die libysche Küstenwache die Menschen nach Tripolis zurückbrachte. Selbst dann nicht, wenn diese beschossen wurden oder wenn Hunderte unmittelbar nach der Ausschiffung gewaltsam verschleppt wurden.“

Massensterben ist direkte Folge der Untätigkeit europäischer Behörden“

„Push- und Pull-Back-Operationen sind zur Routine geworden, ebenso wie die Methode, Schiffe allein auf See zurückzulassen und dabei das Ertrinken von Hunderten in Kauf zu nehmen“, erklärte der Sprecher der Seenotrettungsinitiative Alarm Phone. Alarm Phone klagt an: „Wir haben so viele Schiffswracks dokumentiert, die nie offiziell erfasst wurden, und deshalb wissen wir, dass die tatsächliche Zahl der Todesopfer viel höher ist. In vielen der Fälle haben sich die europäischen Küstenwachen geweigert zu reagieren – sie haben sich dafür entschieden, die Menschen lieber ertrinken zu lassen oder sie zurück an den Ort zu schicken, von dem sie unter Einsatz ihres Lebens hatten fliehen wollen. Auch wenn alle europäischen Behörden versuchen, die Verantwortung von sich zu weisen, wissen wir, dass das Massensterben eine direkte Folge ihrer Handlungen und Untätigkeit ist. Diese Todesfälle gehen auf das Konto Europas.“

Malta: Verwickelt in Hunderte Pushbacks

Malta, das Anfang letzten Jahres seine Häfen unter Berufung auf die Pandemie für geschlossen erklärt hatte, benutzte zwei Strategien für Pushbacks: Der Inselstaat heuerte private Schiffe an, um Asylsuchende abzufangen und sie zurück nach Libyen zu zwingen oder schickte sie mit einer Wegbeschreibung nach Italien weiter.

Im vergangenen Mai bestätigte eine Reihe von Sprachnachrichten, die der Guardian erhalten hat, die Strategie der maltesischen Regierung, auf Geheiß ihrer Streitkräfte private Schiffe einzusetzen, um Schutzsuchende abzufangen und sie in libysche Haftzentren zurückzubringen.