HRW fordert Aufklärung der Massaker an Alawit:innen

Human Rights Watch fordert die Aufklärung der Massaker an Angehörigen der alawitischen Gemeinschaft in den Küstenprovinzen Syriens. Die Machthaber müssten unabhängigen Beobachter:innen ungehinderten Zugang ins Land gewähren.

Über tausend Zivilist:innen ermordet

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat die syrische Führung eindringlich aufgefordert, die Verantwortlichen für die Massaker im Westen des Landes zur Rechenschaft zu ziehen. Laut Berichten von Nichtregierungsorganisationen sind in den vergangenen Tagen mehr als 1000 Zivilist:innen, vorwiegend Angehörige der alawitischen Gemeinschaft, in Syriens Küstenprovinzen brutal ermordet worden.

„Es gibt Berichte über gravierende Menschenrechtsverletzungen gegen Syrer:innen, vor allem aus der alawitischen Minderheit, in der Küstenregion und anderen Teilen des Landes“, sagte Adam Coogle, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei HRW, am Dienstag. „Die syrischen Behörden müssen umgehend und unmissverständlich handeln, um die Zivilbevölkerung zu schützen und die Verantwortlichen für wahllose Angriffe, extralegale Hinrichtungen und andere schwere Verbrechen zu bestrafen.“

SOHR: Zahl der getöteten Zivilpersonen auf 1.093 gestiegen

Nach jüngeren Angaben der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) wurden bei den Massakern in Latakia, Tartus, Homs und Hama mindestens 1.093 Zivilist:innen von Truppen der Übergangsregierung oder verbündeter Milizen ermordet, die meisten durch Exekutionen. Human Rights Watch betonte, dass es bislang nicht möglich sei, die genaue Zahl der Opfer und auch der infolge der Massenmorde aus ihren Wohngebieten vertriebenen Menschen zu verifizieren. Allerdings würden zahlreiche Nachrufe in sozialen Netzwerken darauf hindeuten, dass mehr Menschen, darunter ganze Familien, getötet wurden.

Selbsternannter Interimspräsident will Untersuchungskommission einsetzen

Im an der Mittelmeerküste gelegenen Landesteil Syriens waren am Donnerstag mehrere Angehörige der aus der Dschihadistenallianz „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS) hervorgegangenen Regierung des selbsternannten Präsidenten Ahmed Al-Scharaa alias Abu Muhammad al-Dschaulani von Ex-Militärs der gestürzten Assad-Führung getötet worden. Daraufhin töteten Regierungskräfte über 200 Assad-Loyalisten und alawitische Aufständische - Damaskus entsandte für eine „Operation gegen Überreste des gestürzten Regimes“ schwere Artillerie und tausende seiner Milizionäre. Es handelt sich um die schwersten Gewaltausbrüche seit dem Sturz des Ex-Präsidenten Baschar al-Assad und der Machtübernahme der Islamisten Anfang Dezember.

Interimspräsident al-Scharaa, Anführer der offiziell aufgelösten Dschihadistenkoalition HTS, kündigte an, die Verantwortlichen für das Massaker zur Rechenschaft zu ziehen und eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen. Das syrische Verteidigungsministerium erklärte am Montag offiziell das Ende der „Militäroperation“ gegen Assad-Loyalisten an der Westküste. Trotz dieser Erklärung wurden nach Angaben der SOHR allein am Montag 120 weitere Zivilist:innen in den Regionen Tartus und Latakia getötet.

Die syrischen Behörden haben nach eigenen Angaben mindestens zwei Mitglieder ihrer Regierungskräfte verhaftet, die in Videos zu sehen sind, wie sie Zivilpersonen aus nächster Nähe erschießen. HRW betont, dass alle Konfliktparteien – darunter HTS und die von der Türkei gesteuerte „Syrische Nationalarmee“ (SNA), die zu den neuen „Sicherheitskräften“ gehören und an den Massakern an der alawitischen Gemeinschaft beteiligt gewesen sein sollen – für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden müssen.

HRW: Opfern der Massaker muss Gerechtigkeit widerfahren

Darüber hinaus fordert HRW die neuen syrischen Machthaber auf, uneingeschränkt mit unabhängigen Beobachter:innen, einschließlich der UN-Untersuchungskommission für Syrien, zu kooperieren und ihnen ungehinderten Zugang zu gewähren. „Die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass die Opfer dieser Massaker Gerechtigkeit erfahren und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“, so die Organisation.

Foto: Demonstration heute in Hesekê fordert Gerechtigkeit für die Opfer der anti-alawitischen Massaker © ANHA