Der Ko-Vorsitzende des DEM-Provinzverbands in Şirnex (tr. Şırnak), Abdullah Güngen, beschreibt die Lage in der Region mit den treffenden Worten, dass der türkische Staat alles in Kurdistan als Beute ansehe und nur „Blut und Tränen“ zurücklasse: „Ein Staat, der die Kultur, die Sprache und die Identität des Volkes vernichten will, raubt die Ressourcen des Volkes.“
In der Provinz Şirnex gibt es ergiebige Vorkommen von Kohle, Zink, Chrom, Kupfer und anderen Bodenschätzen. Der Ressourcenreichtum der Region ist eine Erklärung für den vom türkischen Staat betriebenen Aufwand, um die mit großer Mehrheit an der kurdischen Freiheitsbewegung orientierten Region durch Wahlbetrug seit zwei Legislaturperioden zu regieren. Durch den Einsatz von Soldaten und Polizisten als mobile Wähler konnte die Regierungspartei AKP die Wahlen immer wieder für sich entscheiden.
Der Abbau der Bodenschätze der Provinz wird von Privatfirmen betrieben. Dabei handelt es sich um Profiteure des Regimes und Kollaborateure wie den Dorfschützerclan um Hazım Babat. Babat ist tief in die extralegalen Morde der sogenannten „Dolch-Teams“ verwickelt. Die Paramilitärs und Kollaborateure erhalten im Gegenzug für ihre Unterstützung Lizenzen für den Abbau von Ressourcen. Die Stadtverwaltung unter AKP-Kontrolle spielt dabei eine wichtige Rolle.
8.241 Soldaten, Polizisten und Beamte
Abdullah Güngen erklärte zu den Wahlen in der Provinz: „Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2023 erzielte unsere Partei einen Wahlerfolg mit einem großen Stimmenunterschied (mehr als 18.000 Stimmen, die AKP erhielt etwa 10.000 Stimmen). Bei den Kommunalwahlen, die zehn Monate später stattfanden, veränderte sich jedoch das Bild. Das muss man sich genau anschauen. Bei den Kommunalwahlen, die in einem lokal begrenzten Gebiet stattfinden, wo selbst eine Stimme sehr wichtig ist, hat das AKP/MHP-Regime 8.241 Soldaten und Polizisten als Wähler in die Stadt gebracht. Das Hauptziel dabei ist es, sich selbst als legitim darzustellen.“
Der Staat plündert die Regionen Cûdî und Gabar aus
Güngen erinnerte an die massiven Dorfzerstörungen der 1990er Jahre in der Provinz. Damit habe der Staat versucht, die ganze Region zu entvölkern. Jetzt versuche man, diese Politik mit der Verhängung von Sondersicherheitszonen fortzusetzen: „Der Staat verbietet den Menschen das Betreten der Regionen um die Berge Cûdî, Gabar, Besta und Namaz und fördert Mineralien wie Kohle, Kupfer und jetzt auch Öl. Mit Dutzenden von illegalen Kohleminen plündert der Staat die Regionen um Cûdî und Gabar aus und versucht jetzt noch, Ölförderung zu betreiben. Zehntausende von Bäumen wurden von Dorfschützern und Soldaten gefällt, in türkische Städte gebracht und dort verkauft. Offiziellen Angaben zufolge werden in Gabar täglich 30.000 Barrel Öl gefördert, und es wird angestrebt, die Produktion bis Ende des Jahres auf 100.000 Barrel zu steigern. Die Region wird alleine unter dem Paradigma der Profits verwaltet. Der Staat sieht alles in Kurdistan als Beute und hat keinerlei Investitionen in der Region getätigt, obwohl seit vielen Jahren eine hohe Wirtschaftskraft aus dieser Region gewonnen wird. Während er den Menschen ihre Bodenschätze raubt, lässt er nur Blut und Tränen zurück. Der Staat, der die Identität, Sprache und Kultur der Menschen zerstören will, nimmt auch die Ressourcen des Volkes.
„Die Herrschaft über die Stadtverwaltung dient der Legitimierung der Plünderung“
Der Staat nutze die Stadtverwaltung als legalen Deckmantel für diesen Raub, erklärte Güngen und fuhr fort: „Er bringt Tausende von Soldaten und Polizisten, die diese Stadt noch nie in ihrem Leben gesehen haben und nicht einmal wissen, wo sie auf der Landkarte liegt, für einen einzigen Tag her und lässt sie wählen. Er weiß, dass es ein Volk gibt, das unter dem Deckmantel der Stadtverwaltung missachtet wird, und eine Natur, die ausgeplündert werden soll. Als politische Vorreiter werden wir immer die gerechten Forderungen unseres Volkes verteidigen. Unser Kampf ist nicht vorbei und wird nicht enden. Wir werden überall die Unterdrückung anprangern, welche die AKP hier den Menschen antut. Wir werden unseren Kampf fortsetzen, bis wir ihren Diebstahl und ihre Ausplünderung beendet haben.“
„Man versucht, einen Eindruck von sozialem Rückhalt zu erwecken“
Rojhat Dilsiz, Vorsitzender der Anwaltskammer von Şirnex, erklärte: „Einer der Gründe, warum Şirnex besonders belastet wurde, ist die Tatsache, dass Şirnex eine wichtige Rolle im Sinne eines sozialen Gedächtnisse des kurdischen Volkes spielt. Darüber hinaus geht es um die Profite aus den Öl- und Bergbaueinnahmen. Man versucht, den Eindruck zu erwecken, dass die Zwangsverwaltung in Şirnex einen sozialen Rückhalt geschaffen habe und die Menschen vor Ort die AKP daraufhin unterstützten. Das war der Grund für Erdoğans Aussage nach den vergangenen Kommunalwahlen ‚Wir haben Istanbul verloren, aber Şırnak gewonnen‘. Hinzu kommt, dass Şirnex aufgrund der Bodenschätze, der Kohle- und Öleinnahmen, zu einem wichtigen Zentrum für die Regierung wird.“