Karayilan: Die Antwort der Guerilla wird heftig ausfallen

Die kurdische Guerilla wird einen Widerstand von historischem Ausmaß gegen die Besatzungsversuche des kolonialistischen türkischen Staates in Südkurdistan leisten, erklärt Murat Karayilan (PKK) im ANF-Interview.

Die türkische Armee hat vor einigen Tagen mit Angriffen auf die südkurdische Region Xakurke begonnen. In dem Gebiet finden bereits seit einem Jahr heftige Angriffe und Gefechte statt. Xakurke befindet sich im Dreiländereck Türkei, Irak und Iran. Nach Angaben aus der Region führt die türkische Armee schwerpunktmäßig Luftangriffe durch und setzt an einigen Punkten Soldaten aus Hubschraubern ab. Die Guerilla führt in dem unzugänglichen Gelände pausenlos Aktionen gegen die türkische Armee durch. Murat Karayilan, mit dem wir in den Medya-Verteidigungsgebieten gesprochen haben, bezeichnet den Angriff auf Xakurke als einen Besatzungsversuch, für den der türkische Staat teuer bezahlen wird. Karayilan ist Mitglied des Exekutivkomitees der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und Kommandant des zentralen Hauptquartiers der Volksverteidigungskräfte. Im ANF-Interview hat er sich auch zu dem Manöver der Türkei geäußert, den Iran in die Operation in Xakurke einzubeziehen. An die Bevölkerung Südkurdistans und politische Kreise appelliert Karayilan, eine gemeinsame Strategie aller kurdischen Kräfte aufzubauen. Außerdem hat er unsere Fragen zu dem beendeten Hungerstreik, der Botschaft Abdullah Öcalans und den Erfordernissen der kommenden Zeit beantwortet.

Herr Karayilan, die türkische Armee greift die Region Xakurke an und es finden Gefechte statt. Was ist Ihre Meinung zu diesem Thema?

Bekanntlich bedroht der türkische Staat Rojava seit einem Jahr auf höchster Ebene. Wie es aussieht, hat er von seinen Herren nicht die notwendige Erlaubnis für einen Angriff auf Rojava bekommen. Daher hat er sich Xakurke zugewandt, weil er die Zukunft seiner rassistischen, chauvinistischen und faschistischen Herrschaft auf die Kurdenfeindlichkeit indiziert hat. Aus seiner Sicht darf es bei diesem Thema keinesfalls zu einem Stillstand kommen.

Expansionsbestrebungen in Xakurke

Gab es früher keinen türkischen Besatzungsplan für Südkurdistan?

Natürlich gab es solche Pläne. Als es keine Genehmigung für einen Angriff auf Rojava gegeben hat, hat sich der türkische Staat in Bewegung gesetzt, um seine Besatzungspolitik in Südkurdistan umzusetzen. Bei dem Angriff auf Xakurke handelt es sich nicht um eine Militäroperation, sondern um eine Besatzung. Diese Besatzung soll nicht vorübergehend sein, sondern bleibend. Das ist ein Fakt, der nicht verkannt werden darf.

Türkische Sprecher behaupten ständig, dass sie sich aus Südkurdistan zurückziehen, wenn die PKK zerschlagen ist…

Und lässt sich die PKK zerschlagen? Das wird niemals passieren. Es kann gar nicht die Rede davon sein, dass eine Realität wie die PKK einfach endet. Sie wird von großen Massen unterstützt, hat schwierigste Bedingungen überstanden und verfügt über eine ausgereifte Kampfkraft.

Welche Bedeutung haben dann diese Verlautbarungen der Türkei?

Sie bedeuten ganz einfach, dass die Türkei Südkurdistan dauerhaft besetzt.

Schweigen der südkurdischen und irakischen Regierung zur Besatzung

Welche Haltung nehmen die politischen Autoritäten in Südkurdistan und die Regierung des Irak dazu ein?

Das ist eine wichtige Frage. Die südkurdischen Organisationen und insbesondere die aktuellen Machthaber schweigen ebenso wie der irakische Staat zu der Besatzung. Einige Kreise haben sich vielleicht dagegen ausgesprochen, aber insgesamt herrschen Schweigen und ein sehr lapidarer Umgang mit der Frage. Das ist eine sehr ernste Situation. Vor allem das Schweigen der Regierung Südkurdistans weist darauf hin, dass entweder ein Abkommen getroffen oder die Zustimmung gegeben worden ist. Sie weiß Bescheid. Es muss jedoch klar sein, dass der türkische Staat hinsichtlich Südkurdistans sehr schwerwiegende Berechnungen anstellt. Die Zustimmung zur Besatzung des türkischen Staates bedeutet den Verlust von Kerkûk.

Inwiefern?

Eine der Rechnungen des türkischen Staates besagt, sich in Südkurdistan festzusetzen, die eigene Hand zu stärken, darüber eine einflussreiche Position zu bekommen und Kerkûk von Südkurdistan abzutrennen. Das ist eines seiner Ziele. Je mehr sich der türkische Staat in Südkurdistan festsetzt, desto größer wird seine Macht.

Wir sagen dazu, dass die südkurdische Regierung die Hand des türkischen Staates nicht stärken sollte. Den türkischen Staat zu stärken, bedeutet den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. Stattdessen sollten die nationalen Interessen vertreten werden. Es gibt ja keinen Zweifel daran, dass der türkische Staat gegen die Interessen des kurdischen Volkes ist und alle Errungenschaften dieses Volkes zunichtemachen will. Deshalb denken wir, dass hier ein Fehler vorliegt, der unbedingt verbessert werden muss.

Wie bewerten Sie die Haltung der Bevölkerung im Süden zu diesem Thema?

Die Bevölkerung Südkurdistans ist sehr patriotisch und hat einen hohen Preis für ihre Freiheit bezahlt. Sie hat die Anfal-Operation und Halabja erlebt. Es handelt sich um ein Volk mit Hunderttausenden Gefallenen. Unsere Liebe und Achtung diesem Volk gegenüber sind unendlich. Und wie beim Beispiel Şîladizê reagiert die Bevölkerung in Südkurdistan sehr wütend auf die türkischen Besatzungsangriffe. Die politischen Kräfte im Süden, insbesondere die Regierung, sollten dieser Reaktion Gehör schenken und nicht zu der Besatzung schweigen. Wir rufen alle Kreise zum Kampf auf gegen die schrittweise Besatzung Kurdistans, die der türkische Staat unter dem Deckmantel einer Operation gegen die PKK umsetzt. Alle sollten ihre Stimmen dagegen erheben.

Türkei hat Hunderte Soldaten am Lêlîkan verloren

Wie ist die Position der Guerillakräfte angesichts des Angriffes und des Besatzungsplans? Wie wird es weitergehen?

Die Guerilla wird ohne Zweifel die notwendige Antwort auf die Besatzung geben und den erforderlichen Widerstand leisten. Die Freiheitsguerilla Kurdistans wird einen Widerstand von historischem Ausmaß gegen die Besatzungsversuche des kolonialistischen türkischen Staates in Südkurdistan leisten. Sie wird ihre ganze Kraft einsetzen, um dabei erfolgreich zu sein. Die Guerilla ist eine wirksame Kraft mit großer Erfahrung, das wird sie wie bisher in der Praxis beweisen. Schauen Sie, der türkische Staat hat seit einem Jahr den Lêlîkan-Gipfel besetzt. Bei Guerillaaktionen auf dem Lêlîkan sind Hunderte Soldaten der türkischen Armee getötet worden. Der Staat verheimlicht das beharrlich vor der Bevölkerung der Türkei. An der Spitze dieser Angelegenheit steht ein Monstrum namens Hulusi Akar [türkischer Verteidigungsminister, Red.], ein Kurdenfeind, der bekanntlich selbst nicht Türke ist, sondern tscherkessischer Herkunft. Diese Person belügt die Bevölkerung der Türkei tagtäglich. Er sagt nicht die Wahrheit und verheimlicht die Fakten.

Die Bevölkerung der Türkei hat Hunderte Söhne am Lêlîkan verloren. Wir haben das nicht gewollt, aber die Grundlage dieser Situation ist eine kolonialistische und völkermörderische Politik. Da es jetzt um die Besatzung von Xakurke geht, werden die Haltung und der Widerstand der Guerilla noch heftiger sein. Der Widerstand wird sich nicht auf einen Tag beschränken, sondern über einen längeren Zeitraum hinziehen. Die türkische Armee wird ihre Besatzungsabsicht teuer bezahlen. Die Guerilla ist dazu entschlossen.

Führt das türkische Militär diese Angriffe allein aus oder bekommt es Unterstützung von anderen Kräften?

Wir wissen genau, dass der türkische Staat nicht allein gegen uns kämpft. Die türkische Armee kämpft mit der großen Unterstützung der NATO, insbesondere der USA, gegen uns. Bei allen Massakern am kurdischen Volk hat die Türkei die Unterstützung der NATO gehabt. Ohne diese Unterstützung wäre der türkische Staat nicht dazu in der Lage. Auch jetzt greift er auf der Grundlage derselben Unterstützung an. Uns ist sehr bewusst, dass der türkische Staat ohne die Unterstützung der NATO sein faschistisches und kolonialistisches Vorgehen gegen das kurdische Volk nicht auf dieser Ebene fortsetzen könnte.

Abkommen mit dem Iran?

Herr Karayilan, das Gebiet Xakurke grenzt an den Iran. Spielt der Iran bei den Angriffen eine Rolle? Oder inwieweit stehen die Angriffe im Zusammenhang mit dem Iran?

Bekanntlich hat im Frühjahr zunächst ein Minister der faschistischen AKP/MHP-Regierung und später Erdoğan selbst erklärt, dass es mit dem Iran zu einer Einigung über eine gemeinsame Operation gegen die PKK gekommen ist. Der türkische Staat führt eine Völkermordpolitik gegen die Kurden. Im Moment wird der türkische Staat von der Denkweise der MHP regiert. Das einzige, woran hinsichtlich des kurdischen Volkes gedacht wird, sind Tod und Vernichtung. Jetzt soll auch der Iran in diese rassistisch-chauvinistische Politik eingebunden werden. Die Führung des Iran verfügt jedoch über genug Erfahrung, um nicht in diese Falle zu stolpern. Deshalb denken wir nicht, dass die Islamische Republik Iran auf die rassistisch-chauvinistischen Wünsche des türkischen Staates eingeht.

Und warum hat Erdoğan sich in dieser Richtung geäußert?

Die Erklärung Erdoğans zu diesem Thema hat sich als leer erwiesen. Bisher ist keine gemeinsame Bewegung zu verzeichnen und wir gehen auch nicht davon aus, dass es dazu noch kommt. Eigentlich handelte es sich um eine Provokation. Also Erdoğan hat sich in diese Richtung geäußert, um den Iran zu provozieren. Das Ziel dabei war, den Iran in eine schwierige Situation zu bringen. Alle, die Erdoğans Politik kennen, haben das gesehen, und vor allem die Vertreter des iranischen Staates sind dazu in der Lage.

Eine Bresche im Isolationssystem

Im Zuge des Hungerstreiks haben zwei Anwaltsbesuche bei Abdullah Öcalan auf Imrali stattgefunden. Welche Entwicklungen haben sich daraus ergeben und wie wird es weitergehen?

Der Hungerstreik und das Todesfasten im Rahmen der Offensive „Isolation durchbrechen, Faschismus zerschlagen, Kurdistan befreien“ ist eine der wichtigsten Aktionen in der Geschichte unseres Kampfes. Diese Aktion, die einen Zeitraum von über 200 Tagen im Gefängnis, in Kurdistan, Europa und Kanada umfasst, ist als eine der weltweit wichtigen Aktionen in die Geschichte eingegangen. Es ist ein sehr hohes Niveau erreicht worden. Aus diesem Grund grüße ich die Aktivistinnen und Aktivisten, insbesondere die kämpferische Leyla Güven, von ganzem Herzen und mit revolutionären Gefühlen. Sie haben die Last, die wir hätten tragen müssen, auf ihre Schultern genommen und ihre Körper zum Einsatz gebracht. Damit haben sie uns eine wichtige Botschaft vermittelt. Mit ihrem Widerstand haben sie der ganzen Welt gezeigt, welch unrechte und unmenschliche Isolation und welch psychologische Folter der türkische Staat gegen unseren Vordenker Abdullah Öcalan und in seiner Person gegen unser Volk anwendet. Das Thema ist in die internationale Öffentlichkeit getragen worden. In das Isolationssystem, das gegen Rêber Apo angewendet wird, ist eine wichtige Bresche geschlagen worden. Der türkische Staat ist durch die Entschlossenheit der Aktion in ernste Bedrängnis geraten und musste einen Schritt zurücksetzen. Vorher wollte er die Aktion mit verschiedenen Taktiken sabotieren. Dass die Anwälte am 2. und 22. Mai nach acht Jahren wieder zum Besuch gebracht wurden, ist das Ergebnis der entschlossenen und beharrlichen Haltung der Aktivistinnen und Aktivisten. Der türkische Staat musste öffentlich bekennen, dass die Isolation nicht rechtlich ist.

Gibt es denn eine Garantie dafür, dass künftig regelmäßig Gespräche stattfinden?

Es ist eine öffentliche Erklärung abgegeben worden. Ob entsprechend gehandelt wird, ändert nichts am Ergebnis. Der Widerstand war erfolgreich. Dabei haben die Entschlossenheit der Aktivistinnen und Aktivisten, die selbstlosen Aktionen von Zülküf Gezen, Ayten Behçet und den anderen sechs Genossinnen und Genossen sowie unsere mutigen Mütter eine Rolle gespielt. Ohne diese Aktionen wäre es nicht möglich gewesen, eine Bresche in die festgefahrene Politik des türkischen Staates zu schlagen.

Nach vier Jahren ist erstmalig wieder eine Botschaft von Abdullah Öcalan öffentlich geworden. Was ist Ihre Meinung zum Rahmen dieser Botschaft?

Richtig, die Erklärungen, die nach über vier Jahren veröffentlicht worden sind, haben eine große Bedeutung sowohl für uns als auch für die Bevölkerung der Türkei und der Region. Die von Öcalan vorgelegte Sieben-Punkte-Formel beinhaltet einen Lösungsansatz für alle Probleme. Um ihn zu verstehen, zu seinen Bemühungen beitragen zu können und ihn zu stärken, werden wir versuchen, unseren Kampf auf noch richtigeren Grundsätzen zu vertiefen.

Isolation vollständig durchbrechen, Rêber Apo befreien

Die Botschaft hat aufgezeigt, dass Rêber Apo eine Schlüsselfunktion in der Lösung der Probleme in Kurdistan, der Türkei und der Region innehat. Jetzt geht es darum, die Isolation vollständig zu durchbrechen und Rêber Apo zu befreien. Aus diesem Grund muss das gesamte Volk Kurdistan, seine Frauen und seine Jugend, mit hoher Moral und Beteiligung die Botschaft der Todesfastenden in die Praxis umsetzen. So wie der 14. Juli [Todesfasten 1982, Red.] große Entwicklungen eingeleitet hat und zur Ausgangsbasis für den 15. August [Beginn des bewaffneten Kampfes 1984, Red.] geworden ist, muss auf ähnliche Weise auch diese Aktion eine Entgegnung finden. Wir sind entschlossen, die an uns gerichtete Botschaft richtig zu verstehen und den Weg zur Freiheit von Rêber Apo und Kurdistan zu gehen. Genau jetzt ist die richtige Zeit dafür. In diesem Bewusstsein sind wir entschlossen, die anfallenden Aufgaben zu erfüllen und dieser Zeit unbedingt Erfolg zu verleihen. Unsere Freundinnen und Freunde und unser gesamtes Volk müssen der ihnen zufallenden Verantwortung nachkommen, damit die Perspektiven Öcalans umgesetzt werden. Vor allem die Jugend Kurdistans muss erkennen, dass sie an der Reihe ist, sich auf die notwendige Weise zu beteiligen.

Aufruf an die kurdischen Kräfte

Sie haben von den Besatzungsangriffen gesprochen und einen Aufruf an das kurdische Volk gerichtet. Welche Roadmap sollte das kurdische Volk konkret verfolgen?

In diesem Abschnitt der Geschichte braucht unser Volk Einheit und eine gemeinsame nationale Strategie. Dass in der Region Krieg herrscht, ist bekannt. In diesem Krieg stellt jeder langfristige Berechnungen für die Region auf. Es geht um eine langfristige Politik. Wenn wir Kurden uns auf kurzfristige und enggefasste Ziele konzentrieren, wäre es ein unverzeihlicher Fehler. Auch wir müssen an die Zukunft denken und eine langfristige Politik machen. Das ist unbedingt notwendig, um die Zukunft zu gewinnen, dem gerechten Prozess unseres Volkes zum Erfolg zu verhelfen und damit unser Volk auf diesem Boden frei leben kann. Ich beziehe mich dabei nicht auf eine Reihe täglicher Entwicklungen, sondern auf eine langfristige Entwicklung. Gewinnen geht nur mit einer Einheit und einer gemeinsamen Strategie. Deshalb darf niemand, der auf diesem Boden Politik macht und sich als patriotisch bezeichnet, kleine und enggefasste Berechnungen anstellen. Es geht jetzt nicht darum, enge Organisationsinteressen zu vertreten, sondern die nationalen Interessen auf höchstes Niveau zu stellen. Aus Anlass der Feiertage appelliere ich an alle Organisationen, Institutionen und Gruppen, in dieser historisch wichtigen Zeit die Fähigkeit zu beweisen, unsere internen Probleme über einen Dialog zu lösen. Lasst uns entsprechend der Erwartungen unseres Volkes und als einzigen Weg zu einem Sieg eine demokratische nationale Einheit – wenn auch auf Mindestniveau – herstellen und auf einer gemeinsamen Strategie zusammenkommen. Ich möchte es noch einmal unterstreichen: Als PKK sind wir bereit, die uns dabei zufallende Verantwortung zu erfüllen.