Murat Karayilan, Mitglied im Exekutivrat der Arbeiterpartei Kurdistans PKK und Oberkommandierender des Hauptquartiers der Volksverteidigungskräfte HPG (Hêzên Parastina Gel), hat sich im Radiosender Dengê Welat über die zu Ende gehende Offensive „Gewittersturm Cizîrê“ und die Entwicklungen in Rojava geäußert. Karayilan erklärte, der Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) habe im Mittleren Osten eine neue Epoche mit sich gebracht: „Der IS hat zuerst das kurdische Volk angegriffen. Das war ein schwerer Fehler. Denn die Kurdinnen und Kurden sind diejenigen, die im Mittleren Osten am heftigsten unterdrückt, beleidigt und ihrer Rechte beraubt werden. Als der IS etwas stärker wurde, ist in erster Linie das kurdische Volk angegriffen worden. Anschließend wurde die arabische, assyrische und aramäische Bevölkerung angegriffen. Innerhalb der Kurd*innen sollten insbesondere die Ezid*innen ausgelöscht werden.
IS war ein Mittel zur Auslöschung der Kurden
Der erste Angriff des IS liegt fünf Jahre zurück. Am 8. März 2014 wurde Kobanê angegriffen. Der Angriff dauerte zwischen neun und zehn Tagen und wurde dann gestoppt. Im gleichen Jahr griff der IS im Juli erneut in Kobanê an. Wenige Wochen später fiel er am 3. August in Şengal ein. Zu dieser Zeit sahen wir, dass ein Angriff in Vernichtungsabsicht gegen unser Volk stattfindet, der nicht allein das Unterfangen einer gewöhnlich ausgerichteten Organisation war. Es handelte sich um einen Angriff mit Auslöschungsabsicht, geleitet und unterstützt von den Besatzern und Faschisten. Diese Bedeutung haben wir aus den Angriffen des IS gezogen. Später haben wir erkannt, dass sich der IS gegen Südkurdistan wandte. Er zog gegen Mexmûr, Kerkûk und hätte, wenn er nicht gestoppt worden wäre, auch Hewlêr eingenommen. Das kurdische Volk war also sein primäres Ziel.
Geschichte hat unsere Aussagen bestätigt
Am 15. September 2014 konzentrierte der IS seine gesamte Kraft und begann einen massiven Angriff auf Kobanê. Währenddessen konnten wir deutlich erkennen, dass dieser Angriff nicht unabhängig von den Besatzern, der AKP, stattfindet und nichts anderes als ein Werkzeug der Besatzer war. Der Angriff wurde benutzt, um die Existenz des kurdischen Volkes und der demokratischen Kräfte im Mittleren Osten zu beenden. Aus diesem Grund war unsere Entscheidung und die unserer Bevölkerung klar; der Angriff wurde nicht nur als ein Angriff auf eine Region, sondern als eine Bedrohung für die Menschheit angesehen. Denn die IS-Banden breiteten sich überall hin aus und attackierten alles und jeden. Sie traten als eine grausame, faschistische Bande auf. Aus diesem Grund wurde damals entschieden: ‚Der IS wird in Kobanê nicht siegen, in Kobanê wird von Haus zu Haus Widerstand geleistet werden. Kobanê wird das Stalingrad des IS sein. Der Angriff auf Kobanê wird der Anfang vom Ende des IS sein.‘
Fünf Jahre später ist genau das eingetreten. Die Geschichte hat diese Worte bestätigt. Die Angriffe auf die Ezid*innen und auf Kobanê waren der Beginn der Vernichtung des IS und seines Kalifat-Projekts.
Es wurde versucht, das in der Region am stärksten unterdrückte Volk, die Kurd*innen vollständig auszulöschen. Die Ezid*innen sind der am meisten unterdrückte Teil des kurdischen Volkes. Der IS beabsichtigte, die Ezid*innen zu vernichten. Wie soll das im Namen des Islam geschehen, in Namen eines angeblich gerechten Kalifats? Das bedeutet, dass hinter den Schlagworten noch etwas anderes steckte. Mit den Angriffen ist diese Tatsache deutlich geworden. Jeder, ob muslimisch oder nicht, hat gesehen, dass der Auslöschungsversuch der Ezidinnen und Eziden einen großen Widerspruch darstellte. Daher entstand eine heftige Reaktion gegen den IS. Der Kampf gegen den IS hat mit dem Blut und den Mühen der Kinder des kurdischen, arabischen, assyrischen und aramäischen Volkes dazu geführt, dass er in die Ecke gedrängt und eingeschlossen wurde.
Unter der Führung der apoistischen Bewegung für die ganze Menschheit
Der türkische Staat bezeichnet Kräfte wie die Demokratischen Kräfte Syriens und die Volksverteidigungseinheiten als ‚PKK‘. Das ist nicht richtig. Hinter der Gründung der Organisationen und der Entwicklung ihres Widerstands stehen das Denken und die Haltung der Vorsitzenden Apo. Diese Menschen sind nicht Teil der PKK, sie haben sich selbst aus den Ideen des Vorsitzenden Apo eine Grundlage aufgebaut und organisieren und entwickeln sich dementsprechend. Der bevorstehende Sieg über al-Bagouz ist ein Sieg für die gesamte Menschheit, der unter der Führung der apoistischen Kämpferinnen und Kämpfer errungen wurde.
Nur das staatliche Projekt des IS wurde besiegt
Mit dem IS ist es nicht vorbei. Wer so etwas sagt, irrt sich. Der IS ist nicht am Ende, nur das Staatsprojekt des IS wurde besiegt und vernichtet. Seine Hauptstadt Raqqa ist gefallen, sein sogenanntes Kalifat ist bald endgültig aufgelöst. Aber der IS wird als Organisation weiter bestehen. Vielleicht werden die Dschihadisten jetzt einige Veränderungen durchführen, das können wir nicht wissen. Was wir wissen ist, dass sich der IS an manchen Orten im Irak und an etlichen Orten Syriens in kleinen Zellen reorganisiert und Aktionen durchführt. Täglich finden dort Angriffe statt. Es ist immer noch zu früh, zu behaupten, es sei mit dem IS vorbei. Der IS existiert als aktionistische Organisation weiter. Die Bedrohung für den Mittleren Osten und die Menschheit ist daher immer noch nicht vorbei. Insofern muss man den Sieg richtig verstehen.
Noch mehr Kampf nötig
Um die Bedrohung durch den IS vollständig zu beseitigen, ist noch mehr Kampf, Zeit und Engagement notwendig. Eine Organisation mit einer Mentalität wie der des IS ist nicht so leicht in kurzer Zeit zu besiegen. Es ist eine Organisation, die auf einer sehr falschen Basis und falschen Ideen aufbaut. Wir können nicht wissen, wie sie sich nach dieser Niederlage wieder reorganisiert. Aber sie hat auf diese Weise sowohl den Völkern des Mittleren Ostens, der Glaubensgemeinschaft des Islam und der ganzen Menschheit großen Schaden und Leid zugefügt. Sie hat unzählige Menschen ermordet. Die Zahl der Ermordeten, die Orte, wo sie begraben wurden, wie viele Menschen entführt und auf Märkten verkauft wurden und wie viele der verkauften kurdischen Frauen noch leben; all dies ist nicht bekannt.
Erdoğan nährt die Dschihadisten
Der IS trat mit großer Gewalt, Grausamkeit und Terror wie ein Fluch für die ganze Menschheit auf und kann nicht so leicht vernichtet werden. Solange die AKP existiert und ihre Herrschaft fortsetzt, wird es mit dem IS nicht vorbei sein. Weder der IS noch al-Nusra werden enden, denn Erdoğan selbst nährt sie. Was ist mit den IS-Dschihadisten in Dscharablus und al-Bab geschehen? Haben sie sich in Luft aufgelöst? Ein Teil der IS-Dschihadisten in Hajin kämpft, andere wurden festgenommen und befinden sich in den Händen der QSD. Aber wo sind die aus Bab und Dscharablus hin? Entweder sie schneiden ihrer Bärte ab oder sie schneiden sie nicht ab und ändern ihre Namen. Wenn der Name IS nicht geht, dann nennen sie sich al-Nusra, wenn das nicht geht, dann Harakat Nour al-Din al-Zenki oder Sultan Murad und so weiter. Die IS-Dschihadisten treten unter verschiedenen Namen und in verschiedenem Gewand auf. Die AKP versucht sie zu legitimieren. Solange die westliche Welt und die sich selbst als hegemonial ansehenden Staaten über diese Realität hinwegsehen, wird es immer Organisationen wie den IS im Mittleren Osten geben. Das ist die Wahrheit.
Der türkische Staat bezeichnet diejenigen, die gegen den IS kämpfen, als Feinde und PKKler und greift sie an. Erdoğan macht das nicht ohne Grund, denn die YPG, die YPJ und die QSD bekämpfen diese Banden und haben das als IS bezeichnete Projekt niedergeschlagen. Aus diesem Grund steht uns der türkische Staat feindlich gegenüber. Solange die Weltöffentlichkeit das nicht begreift, dies nicht verhindert, wird der IS immer weiter genährt und weiterexistieren. Um den IS vollständig zu besiegen, sind Zeit und Kampf nötig.“