Kurdische Politikerin Semra Güzel bleibt in Untersuchungshaft

Nach fünfzehn Monaten Untersuchungshaft ist klar: Semra Güzel wird auch weiterhin im Gefängnis bleiben. Ihre Verteidigung fordert seit Längerem die Freilassung der kurdischen Politikerin, die für die HDP im türkischen Parlament saß.

Die kurdische Politikerin Semra Güzel bleibt auch nach mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft. Ein Strafgericht in Ankara ordnete bei der sechsten Hauptverhandlung am Montag die Fortdauer an. Nach der aktuellen Sach- und Beweislage sei die Beschuldigte weiterhin der Mitgliedschaft in einer „Terrororganisation“ dringend verdächtig. Die Fluchtgefahr bestehe weiterhin, hieß es zur Begründung der Entscheidung. Güzels Verteidigung hatte mehrfach vergeblich auf ein Ende der Untersuchungshaft gepocht.

Semra Güzel sprach von großem Unrecht und wies die Anschuldigungen vor Gericht zurück: „Das einzige Ziel dieses Prozesses ist es, demokratische Politik und den Kampf für Gerechtigkeit in Verruf zu bringen“, sagte die im Gefängnis Kandıra bei Kocaeli inhaftierte 39-Jährige und forderte ihre Freilassung. Ihre Verteidigung kritisierte, dass die für heute angesetzte Befragung eines vermeintlichen Belastungszeugen wegen Nichterscheinens nicht stattgefunden hat. Sie erhob den Vorwurf, dass die Sicherheitsbehörden damit die Strategie verfolgten, den Prozess in die Länge zu ziehen.

Das Gericht ordnete an, dass der „anonyme Zeuge“ bei der nächsten Verhandlung durch die Generaldirektion für Sicherheit des Innenministeriums und das staatliche Zeugenschutzprogramm bereitgestellt wird. Der Prozess gegen Güzel wird am 7. Februar 2024 fortgesetzt.

Vorwurf: Terrorismus und Landesverrat

Die ausgebildete Humanmedizinerin Semra Güzel war 2018 als Kandidatin der HDP für den Wahlkreis Amed (tr. Diyarbakır) in die türkische Nationalversammlung gewählt worden. Im März 2022 wurde ihre parlamentarische Immunität in einem für türkische Verhältnisse ungewöhnlich schnellen Verfahren aufgehoben, neun Monate später verlor sie ihr Mandat. Grundlage waren zwei staatsanwaltschaftliche Voruntersuchungsberichte, die kurz zuvor dem Justizministerium vorgelegt worden waren. Ausgangspunkt der darin erhobenen Vorwürfe, die auch Grundlage des Strafverfahrens gegen sie sind, sind Fotos, die sie mit ihrem ehemaligen Verlobten zeigen. Dabei handelt es sich um den Guerillakämpfer Volkan Bora (Koçero Meletî), der im April 2017 bei Luftangriffen in Semûr (Adıyaman) ums Leben kam. Die Aufnahmen waren 2014 in einem südkurdischen Guerillacamp entstanden, als eine Delegation der HDP im Rahmen des Friedensprozesses mit staatlichem Wissen die PKK besuchte, um weitere Schritte zur Deeskalation zu besprechen.

Bei Verurteilung droht langjährige Haftstrafe

Die Vorarbeit für den Immunitätsentzug mit dem Ziel der anschließenden Inhaftierung Güzels, die im September 2022 folgte, leistete eine medial aufwendige und vom damaligen Innenminister Süleyman Soylu gelenkte Diffamierungskampagne. Dieser war es auch, der die Festnahme der Politikerin mit nationalistisch gefärbten Parolen öffentlich machte und als erfolgreiche „Anti-Terror-Operation“ pries. Eröffnet wurde das Verfahren gegen Güzel schließlich im Dezember vergangenen Jahres. Die Oberstaatsanwaltschaft Ankara beschuldigt sie in ihrer 58 Seiten starken Anklageschrift, Teil der „Hierarchie“ innerhalb der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein. Als Indizien für den Vorwurf gelten hauptsächlich Aussagen, die ein anonym gehaltener Belastungszeuge mit dem Decknamen „Ezel“ geliefert haben will. Er hätte Güzel bereits im August 2018, nur wenige Wochen nach der Parlamentswahl in der Türkei, im Rahmen einer staatsanwaltlichen Befragung auf der Antiterrorzentrale der Polizei Diyarbakır auf Fotos als „Aktivistin“ der kurdischen Frauenbewegung TJA sowie des Graswurzelbündnisses KCD erkannt. Beide Organisationen sind in der Türkei legal, dennoch werden sie als „PKK-Struktur“ behandelt und kriminalisiert. Sollte Güzel verurteilt werden, droht ihr eine langjährige Freiheitsstrafe. Die Staatsanwaltschaft fordert ein Strafmaß von mindestens siebeneinhalb und maximal fünfzehn Jahren Gefängnis.