Ezidische Frauenbewegung kündigt neue Phase des Widerstands an

Zum 11. Jahrestag des Angriffs der Terrormiliz IS auf Şengal hat die ezidische Frauenbewegung TAJÊ eine neue Phase des kollektiven Widerstands angekündigt. Sie kritisiert anhaltende Gewalt, Vertreibung und Ausgrenzung.

Elf Jahre nach dem IS-Überfall auf Şengal

Die ezidische Frauenbewegung TAJÊ zieht im Vorfeld des Jahrestages des Völkermords der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auf Şengal eine ernüchternde Bilanz. Auch fast elf Jahre nach dem Überfall auf die Region dauere der Genozid und Feminizid an der ezidischen Bevölkerung weiter an – nicht nur durch Gewalt, sondern auch durch Vertreibung und Vernichtung ihrer kulturellen Identität. Das sagte Suham Şengalî vom Diplomatiekomitee der TAJÊ am Montag auf einer Kundgebung.

„Als ezidische Frauen leisten wir seit 2014 kontinuierlich Widerstand gegen physische, kulturelle und weiße Formen des Völkermords an unserer Gemeinschaft. Unsere Forderung bleibt unverändert: Die Verantwortlichen für die ab dem 3. August 2014 eingesetzten Verbrechen müssen endlich zur Rechenschaft gezogen werden. Noch immer ist das Schicksal tausender verschleppter Frauen ungeklärt.“

Şengalî warf in ihrer Erklärung nicht nur dem IS, sondern auch der PDK-geführten Regionalregierung der Kurdistan-Region des Irak (KRI), der irakischen Zentralregierung in Bagdad und dem türkischen Staat vor, die ezidische Gemeinschaft weiter unter Druck zu setzen. Insbesondere der Versuch, ezidische Frauen mit „dubiosen Programmen“ zur Ausreise nach Europa zu bewegen, sei Teil einer gezielten Entwurzelungspolitik.

Am 3. August 2014 überfiel der IS die Şengal-Region im mördlichen Irak mit dem Ziel, eine der ältesten Religionsgemeinschaften auszulöschen: Die Ezidinnen und Eziden. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen und der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Etwa 10.000 Menschen fielen jüngeren Schätzungen nach Massakern zum Opfer, mehr als 400.000 weitere wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, bis heute werden 2.500 von ihnen vermisst. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Feminizid dar.


„Taliban, IS, Patriarchat – dieselbe Logik“

Die TAJÊ sieht die Gewalt gegen ezidische Frauen im größeren Zusammenhang eines globalen patriarchalen Systems. Der IS sei ein „Prototyp“ dieses Systems, das sich in anderen Formen – etwa durch die Taliban oder vergleichbare Gruppierungen – fortsetze. „Überall, wo Frauen sich organisieren und emanzipieren, wird versucht, sie zu brechen. Diese Tatsache offenbart, dass die Gewalt gegen Frauen dabei nicht zufällig geschieht, sondern strukturell motiviert und global vernetzt ist“, betonte Şengalî.

Mit Blick auf die Geschichte der Verfolgung der ezidischen Gemeinschaft – mindestens 74 Völkermorde sind historisch dokumentiert – rief die TAJÊ zu einer neuen Phase des kollektiven Widerstands auf. In Anlehnung an den kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan erklärte die Organisation, der „Ruf nach Frieden und demokratischer Gesellschaft“ sei die politische Antwort auf diese Verbrechen.

Zugleich kündigte die TAJÊ eine Intensivierung der politischen und gesellschaftlichen Arbeit an. Die Organisation wolle die Selbstorganisierung von Frauen stärken, ihre Strukturen ausbauen und den kollektiven Widerstand ausweiten. In diesem Rahmen sind im Juli und August zahlreiche Veranstaltungen geplant:

▪ 8. Juli: Erklärung „Ich will Öcalan treffen“

▪ 14. Juli: Diskussionsrunde in Serdeşt

▪ 20.–21. Juli: Bildungsseminar zum Völkermord

▪ 24. Juli: Gedenken an die Opfer des IS-Angriffs

▪ 3. August: Großdemonstration in Kooperation von TAJÊ und der Demokratischen Selbstverwaltung von Şengal

„Wir werden unseren Widerstand verstärken, unsere Stimme überall hörbar machen und den Aufbau einer freien Gesellschaft vorantreiben“, erklärte Suham Şengalî zum Abschluss. „Die TAJÊ ruft alle Frauen auf, sich mit Entschlossenheit am gemeinsamen Kampf gegen Gewalt, Unterdrückung und Vergessen zu beteiligen.“