Gedenkdemonstration für Opfer des Madımak-Pogroms in Berlin
In Berlin haben über tausend Menschen mit einer Demonstration der Opfer des Brandanschlags von Sivas gedacht.
In Berlin haben über tausend Menschen mit einer Demonstration der Opfer des Brandanschlags von Sivas gedacht.
Mit einer Demonstration in Berlin ist am Sonntag der Opfer des Pogroms von Sivas gedacht worden. Am 2. Juli 1993 kamen bei einem Brandanschlag auf das Madımak-Hotel in der zentralanatolischen Stadt 33 Intellektuelle, Kunst- und Kulturschaffende überwiegend alevitischen Glaubens sowie zwei Hotelangestellte ums Leben. Die Tat wurde von einem islamistischen Mob verübt, die meisten Täter blieben straflos.
Rund 1.100 Menschen beteiligten sich an dem von der Alevitischen Gemeinde Berlin organisierten Gedenkmarsch, der vom Hermannplatz im Bezirk Neukölln zum Oranienplatz in Friedrichshain-Kreuzberg führte. Unterstützt wurde die Veranstaltung unter anderem vom kurdischen Frauenrat Dest Dan sowie Nav-Berlin, YJAD, FEDA, der DIDF und den Ortsgruppen der türkischen Parteien TIP und CHP.
„Madımak war mehr als ein Hotel – es war ein Ort der Vernichtung“
Zum Auftakt der Kundgebung sprach Hasan Eker vom Berliner Cemhaus ein traditionelles alevitisches Rosengebet (Gulbang). In der folgenden Erklärung wurde an die Ereignisse vom 2. Juli 1993 erinnert: Im Madımak logierten Gäste eines Kulturfestivals, das der alevitischen spirituellen Identifikationsfigur Pir Sultan Abdal gewidmet war – ein Volksdichter und Freiheitsheld aus dem 16. Jahrhundert, der in seinen Gedichten die sozialen, kulturellen und religiösen Empfindungen seiner Mitmenschen ausdrückte und wegen Rebellion gegen die osmanische Herrschaft hingerichtet wurde.
Nach dem Freitagsgebet zogen aus drei Moscheen 15.000 Fanatiker erst durch die Stadt und schließlich vor das Madımak-Hotel. Aus ihren Kehlen hallte es: „Es lebe die Scharia! Nieder mit dem Laizismus!“, als Steine und Brandsätze flogen und das hölzerne Gebäude in Flammen aufging. Aus den Reihen der Angreifer war zu hören: „Das ist das Höllenfeuer! Das Feuer, in dem die Ungläubigen brennen werden.“
„Madımak war nicht nur ein Hotel – dort brannte das Gewissen einer ganzen Gesellschaft“, hieß es in der Erklärung. Dass viele der Täter nie verurteilt oder später freigelassen wurden, habe das Vertrauen in den Rechtsstaat schwer beschädigt. Die spätere Umwandlung des Tatorts in ein Restaurant sei eine zusätzliche Missachtung des Gedenkens an die Opfer.
Wolter: Ein geplantes Pogrom
Kerstin Wolter, Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke in Berlin, nannte das Massaker ein staatlich geduldetes Pogrom. „Das war kein tragischer Einzelfall, sondern ein gezielter Angriff – und viele der Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen“, sagte sie. Dass das Hotel später kommerziell genutzt wurde, sei „ein Schlag ins Gesicht für alle Hinterbliebenen“.
Wolter kritisierte zudem die anhaltende Diskriminierung von Alevit:innen in der Türkei. Cemhäuser würden nicht als religiöse Einrichtungen anerkannt, Kinder müssten verpflichtenden sunnitisch geprägten Religionsunterricht besuchen. Die Anerkennung der alevitischen Glaubensgemeinschaft in Deutschland bezeichnete sie als wichtigen Schritt in die richtige Richtung.
Zugleich warnte Wolter vor religiösem Fanatismus und rechter Hetze auch in Deutschland. Parteien wie die AfD hetzten gezielt gegen Muslime und Migrant:innen. „Sivas ist eine Mahnung – das darf sich nicht wiederholen“, sagte sie. „Weder dort noch hier.“
Yiğitalp: Gerechtigkeit gibt es nur gemeinsam
Sibel Yiğitalp, Deutschland-Vertreterin der DEM-Partei, betonte in ihrer Rede die Bedeutung gemeinsamer Erinnerung und kollektiver Verantwortung: „Die Opfer von Sivas mahnen uns alle – Demokrat:innen, Frauen, Kurd:innen, Alevit:innen.“ Der Widerstand gegen staatliche Unterdrückung sei eine gemeinsame Aufgabe.
Sie kritisierte aktuelle politische Entwicklungen in der Türkei, insbesondere die Zwangsverwaltung oppositioneller Rathäuser. „Die Ernennung von Treuhändern für CHP-geführte Kommunen ist ein Versuch, die demokratische Opposition zu spalten“, sagte sie. Die Antwort darauf müsse Solidarität und Einheit sein. „Solange wir gemeinsam stehen, können wir das Unrecht beenden.“
Die Gedenkveranstaltung endete mit einem Aufruf zur Wachsamkeit, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Verteidigung von Demokratie – in der Türkei ebenso wie in der Diaspora.