Türkische Angriffe auf Şengal
Die Bewegung freier ezidischer Frauen (TAJÊ) fordert die Sperrung des Luftraums über der Region Şengal im Nordwesten des Irak. In einem Schreiben an den irakischen Ministerpräsidenten Mohammed Shia al-Sudani, die Vereinten Nationen und die Europäische Union verurteilte die TAJÊ die Angriffe der Türkei auf Şengal als Fortsetzung des Völkermords an der ezidischen Gemeinschaft und forderte die Anerkennung der nach dem IS-Genozid von 2014 in der Region aufgebauten Selbstverwaltung und Verteidigungskräfte.
Die Ezid:innen seien eine friedliche und demokratisch veranlagte Glaubensgemeinschaft mit einer jahrtausendealten Kultur und Geschichte, heißt es in dem Schreiben: „Die ganze Welt weiß, dass die ezidische Gemeinschaft in ihrer Geschichte 74 Ferman erlebt hat, Dutzende davon wurden von den Osmanen begangen. Der letzte Ferman ist am 3. August 2014 von IS-Banden verübt worden. Bekanntlich wurden bei diesem Ferman Zehntausende Menschen getötet und Tausende ezidische Frauen und Kinder vom IS verschleppt und auf Sklavenmärkten verkauft. Von vielen ist das Schicksal weiterhin unbekannt. Hunderttausende Menschen wurden vertrieben, Tausende in Massengräbern verscharrt. Die ezidische Gemeinschaft hat sich für ihren Schutz organisiert und ein Selbstverwaltungssystem mit Institutionen und Komitees aufgebaut und zur Selbstverteidigung die YBŞ, YJŞ und Asayîşa Êzidxanê [Ezidische Sicherheitskräfte] gegründet.“
„Selbstverteidigung ist ein legitimes Recht“
Die TAJÊ erklärte weiter, dass die ezidische Gemeinschaft sich aufgrund ihrer langen Verfolgungsgeschichte nicht auf andere verlassen könne: „Wir wissen, dass andere Kräfte unsere Existenz nicht schützen werden. Selbstverteidigung ist das grundlegende Recht aller Völker, die einem Völkermord und drohenden Massakern ausgesetzt sind. Das System der Selbstverwaltung widerspricht nicht der irakischen Verfassung und wird sogar verfassungsrechtlich geschützt, darauf möchten wir ausdrücklich hinweisen. Nachdem 2014 der IS die ezidische Gemeinschaft vernichten wollte, bombardiert heute der türkische Staat Şengal mit Kampfflugzeugen und Drohnen. Er begeht Kriegsverbrechen, indem er die Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kinder, angreift. Unsere Verteidigungskräfte YBŞ und YJŞ bestehen aus jungen arabischen und ezidischen jungen Menschen aus Şengal, die ihre Heimat und die Bevölkerung seit zehn Jahren vor Massakern schützen. Der türkische Staat hat auch unsere heiligen Stätten zum Angriffsziel erklärt.“
Zwanzig Luftangriffe in zwei Tagen
Aufnahmen aus Şengal vom 25. Oktober 2024
Zu der letzten großen Angriffswelle der Türkei teilte die ezidische Frauenbewegung mit: „Während wir uns auf den Jahrestag der Befreiung von Şengal vorbereiten, hat der türkische Staat Şengal am 24. und 25. Oktober massiv bombardiert. Bei den zwanzig Luftangriffen mit 16 Kampfjets und Drohnen sind sechs Kämpfer der Verteidigungskräfte YBŞ gefallen und vier weitere Personen verletzt worden. Außerdem haben eine Frau und ein Kind aus der Zivilbevölkerung Verletzungen erlitten. Ein Wohnhaus, zwei heilige Stätten der ezidischen Gemeinschaft und zwei Wassertanks der Bevölkerung sind gezielt angegriffen worden. Die Angriffe des türkischen Staates wirken sich negativ auf unsere Gemeinschaft aus und verhindern, dass die Wunden des Völkermords von 2014 heilen können. Sie verletzen die Menschenrechte und sind eine Fortsetzung des Völkermords an den Ezidinnen und Eziden. Als Bewegung freier ezidischer Frauen (TAJÊ) verurteilen wir die brutale Aggression des türkischen Staates, die sich gegen die Stabilität der Region richtet. Wir sehen sie als ernste Bedrohung für die Bevölkerung von Şengal und gleichzeitig als Gefahr für den gesamten Irak.“
Flugverbot für türkische Luftwaffe
Şengal und seine Bevölkerung seien ein Teil des Irak, die Regierung in Bagdad trage Verantwortung für die ezidische Gemeinschaft und alle in der Region lebenden Menschen, betont die TAJÊ in dem Schreiben abschließend: „Wenn die irakische Regierung zu den Angriffen auf Şengal schweigt, bedeutet das, dass sie sie als legitim betrachtet. Seit der Tragödie des letzten Völkermords sind zehn Jahre vergangen. Daher muss die irakische Regierung die Selbstverwaltung und den Völkermord endlich offiziell anerkennen. Die ezidische Gemeinschaft hat 74 Ferman erlebt und darf nicht ein weiteres Mal den Interessenskonflikten und Machtkämpfen der Staaten geopfert werden. Als Bewegung freier ezidischer Frauen rufen wir die irakische Regierung auf, ihre humanitäre und rechtliche Verantwortung gegenüber der ezidischen Gemeinschaft und der Bevölkerung von Şengal zu erfüllen. Der Luftraum über Şengal muss für türkische Kriegsflugzeuge gesperrt werden.“