Die HDP-Abgeordnete Semra Güzel befindet sich seit ihrer Inhaftierung im Strafvollzugskomplex Silivri in Isolationshaft. Das teilte ihr Verteidiger Veysel Eski mit und kritisierte den Umgang mit der Politikerin als „Folter“. Drei Anträge auf Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle habe Güzel seit ihrer Unterbringung in dem Gefängnis nahe Istanbul vor mehr als drei Wochen gestellt, sagte Eski. „Doch bisher erfolgte seitens der Vollzugsleitung keine schriftliche Reaktion. Mündlich sei ihr jedoch signalisiert worden, dass ihre Anträge keine Aussicht auf Erfolg haben würden.“
Güzel lasse sich nicht unterkriegen und sei in guter gesundheitlicher Verfassung, so Eski. Allerdings stelle der verweigerte Kontakt zu anderen Mitgefangenen sowie zu Beschäftigungsformen eine Belastung dar. Objekte für die individuelle Haftraumausstattung wie ein Radio oder Fernseher würden ihr ohne Angabe von Gründen nicht ausgehändigt. Mehrere Bücher, die Güzel nach ihrer Verhaftung zugeschickt worden waren, habe sie erst kürzlich erhalten. Es handele sich um „willkürliche Maßnahmen“, gegen die Eski Rechtsmittel einlegen will.
In Polizeihaft misshandelt
Semra Güzel wurde am 3. September unter dem Vorwurf, Mitglied einer „terroristischen Organisation“ – gemeint ist die PKK – zu sein, verhaftet. Bei ihrer Festnahme einen Tag zuvor in Istanbul, die von regierungsnahen Medien begleitet worden war, wurde sie von der Polizei misshandelt. In martialisch präsentierten Videobeiträgen war zu sehen, dass zwei Beamtinnen der Antiterroreinheiten der mit den Händen hinter dem Rücken gefesselten Parlamentsabgeordneten auf dem Weg zur obligatorischen Gesundheitskontrolle an den Haaren zerrten und versuchten, ihren Kopf niederzudrücken. Die HDP hatte das als „Folter“ bezeichnet. Es sei ein erbärmlicher Versuch eines für seine Verbindungen zum organisierten Verbrechen bekannten Ministers, die Politikerin durch eine erzwungene Beugung ihres Haupts erniedrigen zu wollen. „Die Misshandlung von Semra Güzel, die nach wie vor Abgeordnete des türkischen Parlaments ist, ist nichts weiter als ein unübersehbares Zeichen von Schwäche bei der politischen Macht“, hatte die Ko-Parteivorsitzende Pervin Buldan gesagt.
Im Völkerrecht ist geregelt, dass Isolationshaft nur dann eingesetzt werden darf, wenn keine andere Disziplinarmaßnahme mehr zur Verfügung steht, Gefangene für Regelverstöße zu sanktionieren. In der Türkei wird diese Art der „Vernichtungshaft“ jedoch systematisch als Extrastrafe für politische Gefangene eingesetzt, um Andersdenkende, die ohnehin unter vagen Anschuldigungen in Haft genommen wurden, auf Linie zu bringen oder angebliches Fehlverhalten abzustrafen. | Bild: Szene aus einem Video, das die Misshandlung Semra Güzels durch türkische Polizistinnen zeigt.
Vorwurf: Terrorismus und Landesverrat
Die ausgebildete Humanmedizinerin Semra Güzel war 2018 als Kandidatin der HDP für den Wahlkreis Amed (tr. Diyarbakır) in die türkische Nationalversammlung gewählt worden. Vergangenen März wurde ihre parlamentarische Immunität in einem für türkische Verhältnisse ungewöhnlich schnellen Verfahren aufgehoben. Grundlage waren zwei staatsanwaltschaftliche Voruntersuchungsberichte, die kurz zuvor dem Justizministerium vorgelegt worden waren. Ausgangspunkt der darin erhobenen Vorwürfe (darunter auch Landesverrat), die auch Grundlage des Strafverfahrens gegen die 38-Jährige sind, sind Fotos, die sie mit ihrem ehemaligen Verlobten zeigen. Dabei handelt es sich um den Guerillakämpfer Volkan Bora (Koçero Meletî), der im April 2017 bei Luftangriffen in Semûr (Adıyaman) ums Leben kam. Die Aufnahmen waren 2014 in einem südkurdischen Guerillacamp entstanden, als eine Delegation der HDP im Rahmen des Friedensprozesses mit staatlichem Wissen die PKK besuchte, um weitere Schritte zur Deeskalation zu besprechen.
Bei Verurteilung droht langjährige Haftstrafe
Die Vorarbeit für den Immunitätsentzug mit dem Ziel der anschließenden Inhaftierung Güzels leistete eine medial aufwendige und vom türkischen Innenminister gelenkte Diffamierungskampagne. Dieser war es auch, der die Festnahme der Politikerin mit nationalistisch gefärbten Parolen öffentlich machte und als erfolgreiche Operation pries. Wann das Verfahren gegen Semra Güzel eröffnet wird, ist derweil noch unklar. Sollte sie verurteilt werden, droht ihr eine langjährige Freiheitsstrafe.