In Ankara ist der Prozess gegen die verhaftete HDP-Politikerin Semra Güzel fortgesetzt worden. Die kurdische Abgeordnete ist im vergangenen September verhaftet worden, kurz nach Prozessbeginn wurde ihr das Parlamentsmandat in der türkischen Nationalversammlung entzogen.
Die Immunität von Güzel war bereits vor einem knappen Jahr aufgehoben worden, um Ermittlungen der Oberstaatsanwaltschaft Ankara samt Fahndungsausschreibung zu ermöglichen. Die Vorarbeit hierzu leistete eine medial aufwendige und im türkischen Innenministerium gelenkte Diffamierungskampagne in regierungsnahen Blättern. Ausgangspunkt sind Fotos, die Güzel mit ihrem früheren Verlobten, dem Guerillakämpfer Volkan Bora zeigen. Die Aufnahmen waren 2014 in einem südkurdischen Guerillacamp entstanden, als eine Delegation der HDP im Rahmen des Friedensprozesses mit staatlichem Wissen die PKK besuchte, um weitere Schritte zur Deeskalation zu besprechen. Entdeckt wurden sie erst drei Jahre später auf dem Handy von Bora – kurz nach dessen Tod durch einen Luftangriff. Die Bilder wurden damals als Beweismittel in eine vertrauliche Prozessakte aufgenommen. Gegen Güzel, die bis zu ihrer Wahl ins Parlament 2018 in Amed (tr. Diyarbakır) als Ärztin arbeitete und als Ko-Vorsitzende der örtlichen Ärztekammer fungierte, wurde wegen den Fotos nicht ermittelt.
Als „PKK-Struktur“ kriminalisierte Organisationen
Seit Dezember muss sich Semra Güzel wegen dem Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ vor einem Gericht in Ankara verantworten. Die Anklage beschuldigt die Kurdin in ihrer 58 Seiten starken Anklageschrift, Teil der „Hierarchie“ innerhalb der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein. Als „Beweise“ für den Vorwurf gelten die Fotos mit Bora sowie Aussagen, die ein anonym gehaltener Belastungszeuge mit dem Decknamen „Ezel“ geliefert haben soll. Er hätte Güzel bereits im August 2018, nur wenige Wochen nach der Parlamentswahl in der Türkei, im Rahmen einer staatsanwaltlichen Befragung auf der Antiterrorzentrale der Polizei Diyarbakır auf Fotos als „Aktivistin“ der kurdischen Frauenbewegung TJA sowie des Graswurzelbündnisses KCD erkannt. Beide Organisationen sind in der Türkei legal, dennoch werden sie als „PKK-Struktur“ behandelt und kriminalisiert.
„Semra Güzel sollte jetzt nicht im Gefängnis sein“
Bei der heutigen Verhandlung vor der 22. Großen Strafkammer zu Ankara beantragte die Verteidigung von Semra Güzel im Verweis auf einschlägige Urteile des türkischen Verfassungsgerichtshofs zur parlamentarischen Immunität anderer Abgeordneter die Einstellung des Verfahrens und die Aufhebung des Haftbefehls, beide Anträge wurden abgelehnt. Die Angeklagte selbst hat Angehörige bei dem Erdbeben vor zwei Wochen verloren und nahm nicht an der Verhandlung teil. Rechtsanwältin Sinem Coşkun erklärte zur angeblichen Fluchtgefahr ihrer Mandantin: „Meine Mandanten wurde politisch gelyncht und müsste jetzt nach der Erdbebenkatastrophe ihren Beruf als Ärztin ausüben können. Sie müsste innerhalb der Gesellschaft sein und nicht im Gefängnis. Ich beantrage die Entlassung meiner Mandantin.“
Die Verhandlung wurde auf den 28. April vertagt, Semra Güzel soll sich dann erstmalig verteidigen können.