Gericht lässt Anklage gegen Semra Güzel zu

Ein Strafgericht in Ankara hat die Anklage gegen die Ärztin und HDP-Abgeordnete Semra Güzel zugelassen. Der 38-Jährigen wird damit wegen des Vorwurfs der „PKK-Mitgliedschaft“ der Prozess gemacht. Ihr drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis.

Die 22. Große Strafkammer zu Ankara hat die Anklage gegen Semra Güzel zugelassen. Die Oberstaatsanwaltschaft der türkischen Hauptstadt wirft der HDP-Abgeordneten vor, Mitglied in einer „Terrororganisation“ zu sein – gemeint ist die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Gefordert wird eine Haftstrafe zwischen siebeneinhalb und fünfzehn Jahren für die kurdische Politikerin, die derzeit im Hochsicherheitsgefängnis Kandıra/Kocaeli inhaftiert ist. Ein Termin für den Prozessbeginn steht nach Angaben des Gerichts noch nicht fest.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Güzel in der 58 Seiten starken Anklageschrift, Teil der „Hierarchie“ innerhalb der PKK zu sein. Als „Beweise“ für den Vorwurf gelten hauptsächlich Aussagen, die ein anonym gehaltener Belastungszeuge mit dem Decknamen „Ezel“ geliefert hätte. Dieser habe die 38-Jährige bereits im August 2018, nur wenige Wochen nach der Parlamentswahl in der Türkei, im Rahmen einer staatsanwaltlichen Befragung auf der Antiterrorzentrale der Polizei Diyarbakır (ku. Amed) auf Fotos als „Aktivistin“ der kurdischen Frauenbewegung TJA sowie des Graswurzelbündnisses KCD erkannt. Beide Organisationen sind in der Türkei legal, dennoch werden sie als „PKK-Struktur“ behandelt und kriminalisiert.

Als weiterer Beweis werden Fotos genannt, die Güzel mit ihrem ehemaligen Verlobten zeigen. Es handelt sich um den Guerillakämpfer Volkan Bora (Koçero Meletî), der 2017 bei Luftangriffen in Semûr (tr. Adıyaman) ums Leben kam. Die Aufnahmen waren 2014 in einem südkurdischen Guerillacamp entstanden, als eine Delegation der HDP im Rahmen des Friedensprozesses mit staatlichem Wissen die PKK besuchte, um weitere Schritte zur Deeskalation zu besprechen, und wurden kurz nach der Tötung Boras auf seinem Handy entdeckt und als Beweismittel in eine vertrauliche Prozessakte aufgenommen. Gegen Semra Güzel, die bis zu ihrer Wahl ins Parlament 2018 in Amed als Ärztin arbeitete und als Ko-Vorsitzende der örtlichen Ärztekammer fungierte, wurde wegen den Fotos nicht ermittelt.

Erst im vergangenen Januar, also mehr als vier Jahre nach ihrer Entdeckung, tauchten die Aufnahmen wieder auf – im Zusammenhang mit einer medial aufwendigen und vom türkischen Innenministerium gelenkten Diffamierungskampagne, die in Blitzgeschwindigkeit zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität Güzels führte. Die HDP erkennt darin ein bestimmtes Muster. Sie betrachtet die Veröffentlichung dieser Fotos als Teil eines umfassenderen Versuchs, die Partei weiter zu kriminalisieren und ihre mögliche Auflösung durch das Verfassungsgericht vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu rechtfertigen, die für Juni 2023 angesetzt sind.

Ähnlich äußerte sich auch Semra Güzel im Zuge einer Vernehmung nach ihrer Festnahme Anfang September und anschließenden Inhaftierung. „Nicht ich bin das Ziel dieses staatlichen Angriffs, sondern die HDP und das kurdische Volk sind es. Warum sonst wurden die Ermittlungen erst nach meiner Wahl zur Abgeordneten aufgenommen und im Zuge des Verbotsverfahrens gegen meine Partei ausgeweitet?“ Die Politikerin äußerte auch Zweifel an der Existenz des vermeintlichen Zeugen „Ezel“ und bezeichnete die Anklage gegen sie als fingiert. „Da diese Fotos an sich nicht strafbar sind, wurde offensichtlich passend gemacht, was nicht passte. Ich weise die Anschuldigungen gegen meine Person entschieden zurück.“

Das dreiköpfige Richter-Kollegium der zuständigen Strafkammer will den Termin für den Prozessauftakt in den nächsten Wochen festsetzen.