Trotz Taliban-Regime jahrelange Wartezeiten bei Familiennachzug

Dreieinhalb Jahre wird es dauern, bis die aktuellen Anträge auf Familiennachzug aus Afghanistan, die jetzt bereits bestehen, abgearbeitet sind. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung aus einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion hervor.

Seit Jahren versucht die Bundesregierung, mit Tricks und Verschleppungen den Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen so lange zu verzögern wie möglich. Besonders drastisch ist die Lage im Fall Afghanistan. Aus einer Kleinen Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, geht hervor, dass es dreieinhalb Jahre braucht, bis allein die jetzt schon anhängigen Verfahren zum Familiennachzug abgearbeitet sind. Jelpke beschreibt dies als „angesichts der Machtübernahme der Taliban unerträglich“.

Die Bundesregierung erklärt, dass im ersten Halbjahr 2021 624 Visa zur Familienzusammenführung an afghanische Staatsangehörige erteilt worden seien. Anträge auf Familiennachzug können nur unter größten Hindernissen gestellt werden. Seit einem Anschlag im Mai 2017 ist die Visastelle der deutschen Botschaft in Kabul geschlossen. Obwohl es ausreichend Infrastruktur vor der Machtergreifung der Taliban gegeben hatte, eine neue Visastelle zu eröffnen, wurden Angehörige von anerkannten Asylbewerber:innen in Deutschland dazu gezwungen, nach Islamabad oder Neu Delhi zu reisen, um ein Visum zu beantragen. Die Zahl der Personen aus Afghanistan, die auf einen Termin zur Vorsprache zur Beantragung eines Familiennachzugs warten, lag demnach zuletzt bei 2.760 in Islamabad und 1.413 in Neu Delhi. Das sind insgesamt 4.173 afghanische Angehörige auf einer ‚Terminwarteliste‘. Ende Mai 2021 waren es noch 1.879 afghanische Angehörige, die in Islamabad auf einen Termin warteten und 1.138 in Neu Delhi, das heißt insgesamt 3.017 Personen. Das bedeutet, wenn im ersten Halbjahr 2021 nur 624 Visa erteilt wurden, würde es bei gleichbleibendem Tempo 3,5 Jahre dauern, bis allein die Fälle ‚abgearbeitet‘ sind, die derzeit auf eine Vorsprache zur Antragstellung warten.

Jelpke: „SPD ist verantwortlich für lange Wartezeiten“

Jelpke erklärt dazu: „Man muss daran erinnern: Die Angehörigen haben in der Regel ein Recht auf Einreise nach Deutschland. Durch die bürokratische Bearbeitung und unzureichende Personalausstattung sind viele Angehörige, die längst in Deutschland sein sollten, unter die Terror-Herrschaft des Taliban-Regimes gefallen. Verantwortlich hierfür ist das SPD-geführte Außenministerium. Denn die ewig langen Wartezeiten sind hausgemacht: Das Personal in den Visastellen wurde in den letzten beiden Jahren deutlich abgebaut, Möglichkeiten der Visumsbearbeitung in Deutschland wurden kaum genutzt. Da genügt es nicht, jetzt eine personelle Aufstockung in Aussicht zu stellen. Das Auswärtige Amt muss alle Hebel in Bewegung setzen, um die bisherigen Versäumnisse wieder gut zu machen – soweit das noch möglich ist.“

Voraussetzung eines A1-Goethe-Zertifikats ist endlich gefallen

Ein weiteres Mittel zur Erschwerung der Einreise war der Sprachnachweis, der nur am Goethe Institut erbracht werden konnten. Eheleute mussten für den Nachzug vom Goethe Institut zertifizierte deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau A1 bei der Botschaft nachweisen. Ein unmögliches Unterfangen für viele Menschen bereits vor der Taliban-Herrschaft in Afghanistan, da das Institut in Afghanistan seit Langem geschlossen ist. Der Verband binationaler Familien berichtete über eine Reihe aktueller Fälle, in denen der Ehegattennachzug aus Afghanistan daran scheiterte, dass die deutsche Botschaft auf den Nachweis über Deutschkenntnisse des Niveaus A1 bestanden hat – obwohl dieses Zertifikat in Afghanistan wegen des geschlossenen Goethe-Instituts gar nicht erbracht werden konnte und sich die Sicherheitslage im Verlauf des Jahres 2021 deutlich verschlechterte. Eine Ausnahmeregelung wurde nicht zugelassen. Stattdessen wurde auf die absurde Option verwiesen, den Deutschtest in den Goethe Instituten in Pakistan, Indien oder auch in Usbekistan zu machen. Im unter SPD-Führung aktualisierten Visahandbuch des Auswärtigen Amts heißt es dazu sogar: „Antragsteller aus Afghanistan können sich nicht darauf berufen, dass das GI [Goethe-Institut] in Kabul geschlossen ist, während sie ihr Visum in Islamabad oder New Delhi beantragen und dort Prüfungen am örtlichen GI absolvieren können."

Die migrationspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Gökay Akbulut, kämpft schon lange mit parlamentarischen Initiativen gegen diese Regelung. Auf eine Schriftliche Frage der Abgeordneten kam nun eine erleichternde Antwort: Die Bundesregierung geht „davon aus, dass aufgrund der aktuellen Situation in Afghanistan das Ablegen einer A1-Prüfung im Zuge von Visumsanträgen zur Familienzusammenführung für Menschen, die im Zeitpunkt der Antragstellung ihren letzten Wohnsitz bzw. dauerhaften Aufenthaltsort in Afghanistan hatten, derzeit grundsätzlich weder möglich noch zumutbar ist“.

Dazu erklärt die Abgeordnete Gökay Akbulut: „Das Eingeständnis der Bundesregierung, dass in Afghanistan derzeit kein Deutsch-Test verlangt werden kann, kommt reichlich spät. Angesichts der sich verschärfenden Lage hätte das Auswärtige Amt viel früher anordnen müssen, auf diesen Nachweis zu verzichten, zumal er nach Schließung des Goethe-Instituts in Afghanistan gar nicht zu erbringen war. Wie viele Menschen mit einem Recht auf Familiennachzug nach Deutschland müssen jetzt um ihr Leben bangen, weil die Botschaften bis zuletzt auf dieses Stück Papier beharrten? Das sind die unerträglichen Folgen einer kalten Bürokratie.“

Akbulut: „Fortsetzung von Sprachprüfung unglaublich zynisch“

Allerdings werden dennoch Sprachkenntnisse verlangt, die „alternativ glaubhaft gemacht werden können“. Das scheint zu bedeuten, dass die schikanösen Sprachprüfungen dennoch nicht ausgesetzt werden sollen, obwohl gerade nachziehende Frauen unter der Taliban-Herrschaft oft nicht einmal die Möglichkeit haben, das Haus zu verlassen. Akbulut kommentiert: „Anscheinend besteht das Auswärtige Amt weiterhin darauf, dass Ehegatten in Afghanistan die geforderten Deutsch-Kenntnisse erwerben und dies nachweisen sollen, bevor sie zu ihren Angehörigen nach Deutschland nachziehen können. Das ist so zynisch, dass ich es kaum glauben kann: Wie sollen insbesondere Frauen in Afghanistan, die vor Sorgen umkommen und kaum noch das Haus verlassen können, sich jetzt auf das Erlernen der deutschen Sprache konzentrieren? Das ist doch so, als ob man Ertrinkende nach ihren Deutschkenntnissen fragen würde, bevor man ihnen einen Rettungsring zuwirft. Es braucht jetzt eine klare Anweisung aus dem Auswärtigen Amt: Beim Ehegattennachzug aus Afghanistan ist auf Deutsch-Nachweise zu verzichten, Punkt.“