Wie eine Kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, ergab, wurden die Monatskontingente zur Aufnahme von Familienangehörigen von subsidiär geschützten Geflüchteten nicht einmal zu 50 Prozent ausgeschöpft. Statt 1.000 Menschen wurden demnach im Januar lediglich 264 Visa, im Februar 473, im März 442 und im April 363 Visa für den Familiennachzug zu subsidiär Geschützten erteilt. Dies geschieht, obwohl noch 10.974 Schutzsuchende Ende März nach einem Termin zum Nachzug zu ihren Angehörigen ersucht hatten. Subsidiär Geschützte sind nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannten Flüchtlingen weitgehend gleichgestellt.
Nachzug wird durch bürokratische Hintertür blockiert
Der subsidiäre Schutz wird erteilt, wenn Menschen vor allgemeinen Kriegsereignissen wie in Syrien fliehen. Obwohl die Angehörigen sicher hinterher reisen und nicht jahrelang auf der Route festsitzen sollten, setzte die Bundesregierung den Familiennachzug zu subsidiär Geschützten jahrelang ganz aus und ging schließlich zur offiziellen Zulassung von monatlichen Tausenderkontingenten über. Durch die Hintertür bürokratischer Hürden wird diese Zahl offensichtlich jedoch bei weitem nicht ausgeschöpft. Ulla Jelpke erklärt dazu: „Es ist eine Schande, dass derzeit nur wenigen Hundert Angehörigen von subsidiär Schutzberechtigten im Monat der Familiennachzug ermöglicht wird – das entspricht nicht einmal der Hälfte des ohnehin verfassungswidrigen Kontingents.“ Die Familien sind seit Jahren getrennt, und meistens handelt sich um Eltern mit Kindern. Das dadurch ausgelöste Leid ist unvorstellbar.
Fachkräfte sollen Visum in drei Wochen bekommen, Schutzsuchende warten Jahre
Die Bundesregierung geht bei der Visaerteilung nach einer offensichtlichen Verwertbarkeitslogik vor. Im Rahmen des beschleunigten Fachkräfteverfahrens sollen diese innerhalb von drei Wochen ein Visum erhalten, während tausende Familienangehörige von in Deutschland lebenden Geflüchteten jahrelang in Krisengebieten, oft in Obdachlosigkeit, festsitzen. Jelpke sagt: „Diese Ungleichbehandlung ist ein Affront gegenüber dem Menschenrecht auf Familienleben! Die Bundesregierung sollte durch die Benennung einer oder eines Sonderbeauftragen für den Familiennachzug endlich die seit langem vorhandenen Missstände beseitigen.“
Aufstockung nichts weiter als Kosmetik
Auch die angekündigte Aufstockung des Personals an 18 Auslandsvertretungen um nur sechs Personen lasse nichts weiter „als den mangelnden Willen der Bundesregierung erkennen, Bearbeitungskapazitäten wirksam und schnell zu erhöhen und dadurch Wartezeiten zu verkürzen“. Auch hier scheinen ökonomische Interessen ein Rolle zu spielen. Jelpke erklärt: „Eine Personalverstärkung gab es vor allem auf dem Westbalkan – womöglich auch im ökonomischen Eigeninteresse, um die Einreise im Rahmen der Westbalkanregelung zu beschleunigen. Bei den typischen Asylherkunftsländern gab es hingegen einen Abbau des Personals um zwölf Stellen! Es kann nicht sein, dass im Ergebnis selbst besonders vulnerable Gruppen wie Minderjährige und Kinder zum Teil über ein Jahr auf einen Termin warten müssen. Die Bundesregierung muss dieses Trauerspiel endlich beenden! Dazu gehört eine deutliche Personalverstärkung der Konsulate, deren Entlastung durch eine umfassende Unterstützung bei der Visabearbeitung im Inland und die Möglichkeit einer digitalen Antragstellung.“
Offener Brief an Heiko Maas
Jelpke verfasste in diesem Zusammenhang einen Offenen Brief an Außenminister Maas, in dem sie das Vorgehen kritisierte und auf die Situation in Vertretungen wie in Äthiopien hinwies. Neben Geflüchteten mit subsidiären Schutztitel sind auch anerkannte Flüchtlinge, die einen Anspruch auf Familiennachzug haben, von den bürokratischen Beschränkungen betroffen. So hat sich im Jahr 2020 an den deutschen Botschaften in Addis Abeba, Nairobi und Khartum die absolute Zahl erteilter Visa zum Familiennachzug zu Flüchtlingen aus Eritrea im Vergleich zum Vorjahr nahezu halbiert. Der Anteil positiv beschiedener Visa-Anträge ist insbesondere in der deutschen Visastelle in Addis Abeba im Jahr 2020 drastisch gesunken – nur noch bei 19 Prozent aller bearbeiteten Visaanträge von eritreischen Geflüchteten wurde zuletzt ein Visum zum Familiennachzug erteilt, und das, obwohl die meisten der Schutzsuchenden aus Eritrea anerkannte Flüchtlinge sind und damit über einen Rechtsanspruch verfügen. Durch bürokratische Hürden wie die Nichtanerkennung rechtlicher Vaterschaft oder von Eheurkunden wird der Familiennachzug dennoch immer wieder verweigert.
Bis zu 14 Monate Wartezeit auf Termin
Neben den Anforderungen an vorzulegende Dokumente gehören die Wartezeiten an den deutschen Auslandsvertretungen seit langem zu den größten Hürden beim Familiennachzug: Bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie, im Februar 2020, betrugen die Wartezeiten auf einen Termin für die Beantragung eines Visums auf Familienzusammenführung in den deutschen Botschaften in Äthiopien, Sudan und Kenia 13 Monate (Addis Abeba), zehn Monate (Karthum) und 14 Monate (Nairobi). Aktuell warten etwa 8.000 Personen in der Region auf einen Termin bei den deutschen Botschaften, um den Nachzug zu engsten Familienangehörigen in Deutschland beantragen zu können. Die aktuellen Zahlen dürften weit höher liegen
„Gewährleistung von Grundrechten wiegt schwerer als ökonomisches Interesse“
Jelpke schreibt in dem Offenen Brief: „Mit dem Termin bei der Visastelle beginnt dann auch erst die oftmals ebenfalls sehr langwierige Zeit der Antragsbearbeitung. Zum Vergleich: Im Rahmen des Fachkräfteverfahrens will das Auswärtige Amt durch Priorisierungen bei der Terminvergabe dafür sorgen, die Wartezeiten für die Beantragung von Visa für Fachkräfte so kurz wie möglich zu halten – Vorsprachetermine sollen innerhalb von drei Wochen erfolgen. Das zeigt: Wo ein politischer Wille ist, ist auch ein Weg. Für das beschleunigte Visumverfahren bei Fachkräften gibt es eine Regelung in der Aufenthaltsverordnung (§31a). Ich frage mich, wieso nicht mit mindestens vergleichbarem Nachdruck eine Regelung zur Beschleunigung der Familienzusammenführung getroffen wird, schließlich geht es dabei um die Gewährleistung eines Grund- und Menschenrechts, das weitaus schwerer wiegt als das ökonomische Interesse an einer schnellen Fachkräfteeinwanderung.“
„Wartezeiten müssen verkürzt und bürokratische Hürden abgebaut werden“
Jelpke empfiehlt: „Mit dem Leid der Betroffenen vor Augen bitte ich Sie um schnelle Abhilfe. In Bezug auf bestimmte Herkunftsländer mit besonders schwierigen Problemen beim Familiennachzug schlage ich vor, eine oder einen Sonderbeauftragte/n zu benennen, die bzw. der sich der Thematik mit einem besonders praxisnahen und lösungsorientierten Blick annimmt. Zusammen mit Betroffenenverbänden und Nichtregierungsorganisationen, aber auch in Abstimmung mit den Ausländerbehörden und Auslandsvertretungen sollte analysiert werden, welche länderspezifischen Gründe es im Detail für Verzögerungen des Nachzugsverfahrens gibt und wie diese in einer realistischen und zumutbaren Weise und im Interesse einer schnellen Zusammenführung beseitigt werden können. Warte- und Bearbeitungszeiten an deutschen Auslandsvertretungen beim Familiennachzug müssen deutlich verkürzt und die bürokratischen Anforderungen an vorzulegende Dokumente der Realität angepasst werden. Zu prüfen ist insbesondere, inwieweit hierfür die Visabearbeitung im Inland als Unterstützung der Auslandsvertretungen ausgebaut oder eine digitale Antragstellung und Bearbeitung ermöglicht werden kann.“
Titelbild: (c) ekvidi