Todesdrohungen in Polizeihaft

Hüsamettin Tanrıkulu soll „Terrorist und Bombenbauer“ sein, behaupten die Istanbuler Polizei und der türkische Innenminister. Der Aktivist des HDP-Jugendrats ist seit zwei Tagen in Polizeigewahrsam. Laut seiner Anwältin erhält er Todesdrohungen.

Ein in Istanbul festgenommener Aktivist der Demokratischen Partei der Völker (HDP) soll in Polizeigewahrsam mit dem Tod bedroht worden sein. Das machte die Rechtsanwältin Nagehan Avçil von der Juristenvereinigung ÖHD öffentlich. „Ich bin tief besorgt um das Leben meines Mandanten. Er selbst fürchtet ebenfalls um sein Wohl“, sagte Avçil.

Bei dem Betroffenen handelt es sich um Hüsamettin Tanrıkulu, Mitglied des Jugendverbands der HDP. Der gebürtig aus Amed (tr. Diyarbakır) stammende 21-Jährige wurde nach Angaben von Avçil am vergangenen Samstag im Zuge einer Hausdurchsuchung im Stadtteil Esenyurt von Beamten einer Antiterroreinheit der Istanbuler Polizeidirektion festgenommen. Grundlage sei ein von der Generalstaatsanwaltschaft der Bosporus-Metropole geführtes Ermittlungsverfahren, so die Juristin.

Da die Akte in dem Fall einer Geheimhaltungsklausel unterliege, war es Avçil bisher nicht möglich, vom Inhalt der Ermittlungen Kenntnis zu erlangen. Regierungsnahe Medien dagegen scheinen im Gegensatz zu der Rechtsanwältin Einblick in die Unterlagen bekommen zu haben. So vermeldeten unter anderem die amtliche Nachrichtenagentur AA und der staatliche Sender TRT mit Verweis auf Angaben der Polizeibehörden in Istanbul sowie Amed und des Innenministeriums, Tanrıkulu sei in dem selbstverwalteten Flüchtlingslager Lavrio südöstlich der griechischen Hauptstadt Athen im „Bombenbau“ ausgebildet worden und illegal in die Türkei eingereist, um „auf Anordnung der Terrororganisation PKK/KCK aufsehenerregende Anschläge“ in den Metropolen des Landes zu verüben.

Rechtsanwältin Nagehan Avçil fürchtet um das Leben ihres Mandanten © Archivbild/YÖP

Praktisch die gesamte regierungsnahe Medienlandschaft ist inzwischen auf den Zug aufgesprungen und diffamiert Hüsamettin Tanrıkulu in sensationslüsterner Manier durch eine konstruierte Verbindung zum „Terroristen“. Rechtsanwältin Nagehan Avçil äußerte, dass der Aktivist ihr beim ersten Mandantengespräch – das aufgrund eines 24-stündigen Anwaltsverbots erst am Sonntagabend stattfinden konnte – davon berichtet habe, unmittelbar vor seiner Festnahme für etwa zehn Tage systematisch von der Polizei verfolgt worden zu sein. In Gewahrsam habe man ihn dann zu einer „inoffiziellen Vernehmung“ nötigen wollen. „Weil mein Mandat dies verweigerte und erklärte, keine Fragen ohne meine Anwesenheit beantworten zu wollen, wurde er mit dem Tod bedroht. ‚Selbst wenn du freigelassen wirst, werden wir dich kriegen‘, sei ihm versichert worden. Wir befürchten das Schlimmste und rufen die Öffentlichkeit zum Handeln für Hüsamettin Tanrıkulu auf”, so Avçil.

Verschleppt und zur Spitzeltätigkeit gedrängt 

Hüsamettin Tanrıkulu gerät nicht zum ersten Mal in den Fokus staatlicher Repressionsbehörden. Mehrfach wurde er bereits festgenommen und verbrachte einige Tage in Polizeihaft, zuletzt im vergangenen Dezember nach dem enthusiastischen Kongress des HDP-Jugendrats. 2019 wurde Tanrıkulu in Êlih (Batman) festgenommen und misshandelt, weil er sich an Protesten gegen die Überflutung der historischen Stätte Heskîf (Hasankeyf) durch den Ilisu-Staudamm beteiligte. Ende 2018 wurde der Aktivist in Amed von Personen, die sich als Zivilpolizisten ausgaben, verschleppt und zur Agententätigkeit gedrängt. Tanrıkulu machte den Vorfall öffentlich und befindet sich seither noch intensiver im Visier der Polizei.