HDP-Jugendrat im Visier staatlicher Repression

Der Jugendrat der HDP gehört zu den dynamischsten Teilen der Opposition und ist aufgrund seiner bedeutenden Rolle immer wieder im Visier des Staates. In den letzten zehn Monaten wurden 160 Mitglieder festgenommen und zur Agententätigkeit aufgefordert.

Der Jugendrat der vor allem unter Kurdinnen und Kurden verankerten Demokratischen Partei der Völker (HDP) gehört zu den dynamischsten Teilen der Opposition in der Türkei und ist aufgrund seiner bedeutenden Rolle immer wieder im Visier des Staates. Nach Angaben der HDP-Abgeordneten Dersim Dağ sind in den vergangenen zehn Monaten bei Polizeioperationen etwa 160 Mitglieder des Zusammenschlusses festgenommen worden. Die Aktivistinnen und Aktivisten nehmen die staatliche Repression jedoch bewusst in Kauf und lassen sich nicht einschüchtern, sagt Dağ.

Die Methoden dieser Spezialkriegspolitik, wie die 24-jährige Politikerin formuliert, umfassen nicht nur Festnahmen, sondern reichen von Entführungen einschließlich Gewalt und Folter bis hin zur Spitzelanwerbung. Die Gründe dahinter sieht Dağ im Erfolg des HDP-Jugendrats, den Widerstand gegen die hegemonialen Ansprüche des türkischen Staates zu organisieren. „Trotz staatlicher Repression konnten wir Kampagnen wie ‚Von Gezi bis Cizîr das Leben aufbauen‘, ‚Sei nicht abhängig, sondern frei‘ und ‚Setz dich in Bewegung‘ erfolgreich umsetzen.“ Hierbei handelt es sich um gut organisierte Initiativen gegen die ökologische Zerstörung in Kurdistan, Assimilation und den vom Staat vor allem in den kurdischen Gebieten massiv geförderten Drogenkonsum sowie Prostitution – Instrumente, um die Jugend vom Widerstand abzuhalten. „Staatliche Kräfte nutzen dann die Abhängigkeit und ökonomische Situation der Betroffenen aus, um sie für Agententätigkeiten zu gewinnen“, erklärt Dağ.

Dersim Dağ beteiligte sich im Frühjahr 2019 an der von Leyla Güven initiierten Hungerstreikbewegung

Intensive Spezialkriegsmethoden seit 2015

In Kurdistan gilt der Krieg als Katalysator der Jugendemanzipation. Die gesellschaftliche Realität, in der kurdische Jugendliche aufwachsen, die tiefgreifende Repression und Unterdrückung im Schatten der Besatzung, führt äußerst früh zu einer tiefgreifenden politischen Organisierung. Die kurdische Jugendbewegung sieht sich daher als die Avantgarde der sozialen Veränderung und ist nicht bereit, sich mit den Herrschaftsstrukturen des türkischen Staates abzufinden. „Menschen wie Ipek Er, Gülistan Doku, Özcan Erbaş und Şerif Coşkun sind nur wenige Opfer des Spezialkriegs. Die Regierung möchte durch die Unterdrückung der Jugend erreichen, dass eine gesamte Gesellschaft ihrer Zukunft beraubt wird und innerlich verfault. Unser Jugendrat arbeitet in allen gesellschaftlichen Bereichen, um gegen dieses System vorzugehen und den Widerstand zu vorzugehen. Das ist der Grund, warum wir eine Bedrohung für diese Kräfte darstellen“, sagt Dağ. Insbesondere, seit die türkische Regierung im Jahr 2015 den Friedensprozess mit der PKK einseitig beendete und wieder zu ihrer repressiven Kurdenpolitik zurückkehrte, sei es zu einem massiven Anstieg der altbekannten extralegalen Methoden gekommen.

16.000 Festnahmen zwischen 2015 und 2020

Nach Angaben der Rechtskommission des HDP-Jugendrats wurden in den letzten fünf Jahren mehr als 16.000 seiner Mitglieder festgenommen. Gegen über 5.000 erging sogar Haftbefehl. Auch die meisten der in diesem Jahr in Polizeigewahrsam genommenen Jugendlichen seien inzwischen verhaftet worden, fügt Dersim Dağ hinzu. „Die Jugend ist die Dynamik, Kraft, das Hirn und die Zukunft einer Gesellschaft. Die Herrschenden sind sich dessen nur zu gut bewusst und setzen zur Einschüchterung auf eine systematische Unterdrückungsmaschinerie. Damit soll gleichzeitig auch der Kampf des kurdischen Volkes für Freiheit und Selbstbestimmung beeinträchtigt werden. Unser Widerstand organisiert sich in der Jugend und mit der Jugend.  Aus dieser Perspektive erscheint es zwar nur natürlich für die Aggressoren, die Quelle des Kampfes anzugreifen. Der Staat versteht allerdings nicht, dass es sich hierbei um eine vergebliche Anstrengung handelt. Das Wort ‚aufgeben‘ existiert weder im Wortschatz dieses Volkes, noch bei der HDP.“