Der HDP-Lokalpolitiker Mithat Tanritanir ist am 7. Oktober von Personen, die sich als Polizisten zu erkennen gegeben haben, mit einem Auto ohne Nummernschild auf einen Friedhof verschleppt und zur Agententätigkeit aufgefordert worden. Das gab das Bezirksvorstandsmitglied der Demokratischen Partei der Völker (HDP) aus Fatih auf einer Pressekonferenz in der Istanbuler Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD bekannt.
Die Fälle von Entführungen auf offener Straße durch staatliche Kräfte in der Türkei häufen sich. Wie Leman Yurtsever vom Vorstand des IHD auf der Pressekonferenz bestätigte, haben sich in der letzten Zeit vermehrt Betroffene an den Menschenrechtsverein gewandt. Politisch aktive Menschen werden auf der Straße in Autos gezerrt und an abgelegene Orte gebracht, wo sie misshandelt und unter Druck gesetzt werden, um sie als Spitzel anzuwerben. Diese vor allem in den 1990er Jahren angewandte Methode verfolgt laut Leman Yurtsever das Ziel, die Betroffenen einzuschüchtern. Es gehe dabei weniger um die Informationsgewinnung, vielmehr sollen die Menschen dazu gebracht werden, ihr politisches und soziales Umfeld und damit ihre Persönlichkeit aufzugeben. Der IHD macht solche Fälle regelmäßig öffentlich. Yurtsever rief alle Betroffenen dazu auf, sich an den Menschenrechtsverein zu wenden.
Mithat Tanritanir berichtete über seinen Fall, dass er nach Feierabend von zwei Personen angesprochen wurde, die sich als Polizisten ausgaben. Sie fragten ihn nach seinem Ausweis und sagten, er werde des Diebstahls verdächtigt und müsse dazu auf dem Polizeirevier eine Aussage machen. Er willigte ein und wurde in ein Auto ohne Nummernschild gesetzt. Auf der Fahrt stellte er fest, dass ihm ein weiteres Fahrzeug ohne Nummernschild folgte und er nicht zur Polizei gebracht wurde: „Ich verstand, dass etwas vor sich geht, und fragte, wohin wir fahren. Sie sagten, ich solle keine Fragen stellen. Sie wollten meine Augen verbinden, das wehrte ich ab. Wir fuhren auf einen Friedhof. Es waren drei Autos, aus denen neun Polizisten ausstiegen. Mir wurde direkt eine Agententätigkeit angeboten. Ich wurde bedroht. Sie wollten von mir Informationen darüber, was auf internen HDP-Sitzungen besprochen wird.“ Er werde sich nicht einschüchtern lassen, die HDP sei eine legale Partei.
Der HDP-Politiker Ferhat Encü bezeichnete diese Form der Spitzelanwerbung als „Mafia-Praxis“. Vor allem Mitglieder des Jugendrats der HDP seien von Erpressung und Bedrohung undurchsichtiger Kräfte betroffen. „Wer sind diese Leute? Auf welcher Gesetzesgrundlage gehen sie vor? Zu welchem Mechanismus gehören sie? Gibt es eine neue illegale Struktur neben Polizei und Nachrichtendienst? Diese Fälle deuten darauf hin, dass es innerhalb des Staates Mafia-Strukturen gibt. Wir nehmen diese Praxis nicht hin und werden juristisch dagegen vorgehen“, so der ehemalige HDP-Abgeordnete.