Staatsanwaltschaft fordert Haftstrafen für Anwaltskammer-Vorstand

Den Vorstandsmitgliedern der Istanbuler Rechtsanwaltskammer drohen Haftstrafen von bis zu zwölf Jahren. Die Generalstaatsanwaltschaft wertet einen Antrag zur Untersuchung eines türkischen Drohnenangriffs als Terrorismus.

Wegen Forderung nach Untersuchung von Drohnenangriff

Den Vorstandsmitgliedern der Istanbuler Rechtsanwaltskammer drohen in der Türkei langjährige Haftstrafen. Die oberste Anklagebehörde in der Bosporus-Metropole wirft dem Präsidenten Ibrahim Kaboğlu und den übrigen zehn Führungskräften der Kammer „Propaganda für eine Terrororganisation“ vor und bezichtigt sie der Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen. Sie fordert dafür Freiheitsstrafen zwischen drei und zwölf Jahren, berichtete die Internetzeitung Duvar am Samstag

Hintergrund ist die Forderung der Anwaltskammer Istanbul nach einer Untersuchung der Ermordung von Nazım Daştan und Cihan Bilgin. Die beiden kurdischen Journalist:innen waren im Dezember durch einen türkischen Drohnenangriff in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien getötet worden. Die Kammer hatte daraufhin erklärt, dass es mutmaßlich um einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht handelt und die Ermordung der Journalist:innen ein Kriegsverbrechen gemäß Artikel 8 des Römischen Statuts darstellen könnte. Sie fordert eine unparteiische Untersuchung und eine strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen.

Wegen dieses Aufrufs hatte die Staatsanwaltschaft bereits ein Amtsenthebungsverfahren gegen den gesamten Kammervorstand eingeleitet. Sie stützt sich dabei darauf, dass Daştan und Bilgin Mitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gewesen seien und die Forderung der anwaltlichen Selbstverwaltungsorganisation als Unterstützung zu bewerten sei. In einem Voruntersuchungsbericht (tr. Fezleke), den die Behörde am Samstag bei der höchsten Strafkammer im Justizpalast Bakırköy einreichte, heißt es, einen Drohnenangriff auf „Terroristen“ als „mutmaßliches Kriegsverbrechen“ zu bezeichnen, würde „Gewaltakte“ der PKK legitimieren und zur Nachahmung ermutigen.

Mit der Forderung nach einer Untersuchung der Tötung der Journalist:innen habe die Anwaltskammer Istanbuls zudem „mit dem Ziel gehandelt, Angst, Furcht und Panik in der Öffentlichkeit zu schüren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen und Organe des Staates zu schwächen“, heißt es weiter in dem Voruntersuchungsprotokoll. Um eine Anklageschrift handelt es sich dabei jedoch nicht, da die Strafverfolgung von Anwaltskammern die Autorisierung eines Richters benötigen. Verfasser des sogenannten Fezleke ist Oberstaatsanwalt Akın Gürlek, den die Opposition wegen seines repressiven Vorgehens gegen Andersdenkende als „mobile Guillotine“ bezeichnet.

Internationale Kritik am Vorgehen gegen Anwaltskammer

Das Vorgehen gegen die Istanbuler Anwaltskammer stößt national wie auch international auf scharfe Kritik. Ende Januar haben rund 60 Rechts- und Menschenrechtsorganisationen, darunter der in Berlin ansässige Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) sowie Amnesty International und Human Rights Watch, in einer gemeinsamen Erklärung die Türkei aufgefordert, sämtliche Ermittlungen und Gerichtsverfahren gegen die Anwaltskammer unverzüglich einzustellen. In der Erklärung werden auch der Menschenrechtskommissar des Europarats sowie das Europäische Komitee für rechtliche Zusammenarbeit aufgefordert, die Vereinbarkeit der Ermittlungen und Verfahren gegen die Istanbuler Anwaltskammer mit den Europäischen Menschenrechtskonventionen dringend zu untersuchen. Die Unterzeichnenden der Erklärung fordern auch die Freilassung des kurdischen Rechtsanwalts Fırat Epözdemir, der zum Vorstand der Kammer gehört und Ende Januar nach einer Reise zum Europarat unter vermeintlichen Terrorvorwürfen verhaftet wurde.