Patriarchale Politik schafft Gewalt
In der kurdischen Provinzhauptstadt Şirnex (tr. Şırnak) haben am Samstagabend mehrere hundert Menschen gegen sexualisierte Gewalt an Kindern protestiert. Anlass war ein aufsehenerregender Fall, bei dem ein Mann mindestens vier Jungen schwer missbraucht haben soll. Der Tatverdächtige befindet sich in Untersuchungshaft.
Die Demonstration wurde von zivilgesellschaftlichen Organisationen, der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM) und der Partei der demokratischen Regionen (DBP) organisiert. Auch die DEM-Abgeordneten Newroz Uysal Aslan und Zeki Irmez nahmen an dem Protestmarsch teil, der mit Transparenten, auf denen „Jede Straße ist Tatort – Stoppt sexuellen Missbrauch von Kindern“ zu lesen war, durch das Stadtzentrum führte.

„Wir können Kinder nur durch ein demokratisches Gemeinwesen schützen“
In einer gemeinsamen Erklärung betonte Emine Özdemir vom Frauen- und Kinderrechtsausschuss der Rechtsanwaltskammer Şirnex: „Der Missbrauch ist das Ergebnis einer systematischen Spezialkriegspolitik, die hier seit Jahren gegen die Gesellschaft gerichtet wird.“ Der aktuell beschuldigte Yusuf A. sei nicht der erste Täter in Şirnex – „aber er muss der letzte sein“, so Özdemir. In der Region habe sich über Jahre hinweg ein Klima der Straflosigkeit und sozialen Abstumpfung gegenüber sexualisierter Gewalt ausgebreitet.
Kritik an Rückzug aus Istanbul-Konvention
Özdemir machte in ihrer Rede deutlich, dass die Entscheidung der türkischen Regierung, aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen und Kindern auszutreten, direkte Folgen habe: „Der Staat hat das wirksamste Schutzinstrument abgeschafft – mit der Folge, dass Täter sich unbehelligt in der Gesellschaft bewegen können.“ Die Juristin rief insbesondere die Lokalverwaltung, Sicherheitsbehörden und Justiz dazu auf, Transparenz herzustellen, Verfahren konsequent zu führen und Betroffene nicht länger allein zu lassen.

DEM-Abgeordnete: Patriarchale Politik schafft Gewalt
Auch die DEM-Abgeordnete Newroz Uysal Aslan übte deutliche Kritik an der staatlichen Gewaltstruktur: „Was sich hier zeigt, ist das Ergebnis eines patriarchalen Staates, der gezielt eine Gesellschaft der Angst und des Schweigens schafft.“ Ein gerechter Umgang mit solchen Verbrechen sei nur durch eine radikale gesellschaftliche Wende möglich. „Wenn wir eine demokratische Gesellschaft aufbauen, dann schaffen wir Strukturen, die Kinder tatsächlich schützen“, so Uysal Aslan.
Rufe nach politischem Handeln
Die Rednerinnen forderten die Wiedereinführung der Istanbul-Konvention, eine unabhängige Untersuchungskommission zu Missbrauchsfällen und die Einrichtung von Schutzmechanismen, die Kinder in Familien, auf der Straße und im öffentlichen Raum wirksam absichern. Mit Parolen wie „Kinder schweigen – wir nicht“ und „Verharmlosung schützt Täter“ endete die Demonstration unter Applaus. Die Veranstalter:innen kündigten an, den politischen und juristischen Druck aufrechtzuerhalten – „bis Kinder frei, sicher und ohne Angst leben können“.