Deutschland übernimmt auch nach dem IS-Angriff auf das Gefängnis in Hesekê kaum Verantwortung für die IS-Dschihadist:innen, die sich in Gefängnissen in Nord- und Ostsyrien und im Irak befinden. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage der Abgeordneten Gökay Akbulut (Die Linke) hervor. Bei den Gefangenen handelt es sich um 50 Männer und 47 Frauen. Des weiteren befinden sich in der Region noch 111 Minderjährige, bei denen mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Bei 64 der erwachsenen Gefangenen handelt es sich um deutsche Staatsangehörige, bei den anderen um Menschen, die vor ihrem IS-Beitritt in Deutschland gelebt haben. Nach Angaben der Bundesregierung stehen 15 unter ihnen im Verdacht, an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein.
Am 20. Januar hatte der IS das Sina-Gefängnis im Stadtviertel Xiwêran in Hesekê angegriffen. Die über die türkisch besetzten Gebiete und den Irak eingesickerten IS-Angreifer zündeten Autobomben, nahmen Teile des Gefängnisses ein und verschanzten sich in der Umgebung. Bei dem Angriff und dem tagelangen Kampf kam es zu über 120 Toten auf Seiten der Demokratischen Kräfte (QSD) und den Gefängnispersonal. Damit kam das Thema der gefangenen IS-Dschihadisten erneut auf die Agenda. Mit der Beendigung der Territorialherrschaft der Terrormiliz durch die QSD wurden ungefähr 11.000 meist hochgefährliche IS-Mitglieder gefangen genommen. Darüber hinaus wurden Zehntausende IS-Frauen und Kinder in Lagern in Nordostsyrien untergebracht.
Die inhaftierten IS-Verbrecher stammen aus 54 verschiedenen Staaten. Die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien sowie die QSD haben seit nunmehr knapp drei Jahren immer wieder ihre Rückführung in die jeweiligen Herkunftsländer gefordert. Auf diese Forderung hat keiner der involvierten Staaten reagiert. Die Bundesregierung hat seit 2019 zwölf deutsche Frauen und 42 Minderjährige aus Internierungslagern geholt. Gegen fünf dieser IS-Frauen ermittelt der Generalbundesanwalt wegen Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Wenn man die von der vergangenen Bundesregierung wiederholten Forderungen an Tunesien und andere Staaten nach Rücknahme von Straftätern betrachtet, dann wird deutlich, dass bei Tätern aus Deutschland, die Kriegsverbrechen in anderen Ländern verüben, für die Bundesregierung über Legislaturperioden hinweg offenbar ein anderer Maßstab gilt.
Gökay Akbulut fordert die Bundesregierung auf, entweder ihrer Rückholverpflichtung gegenüber den Dschihadistan aus Deutschland nachzukommen oder die Forderung der Selbstverwaltung nach einem internationalen UN-Straftribunal in Nordostsyrien aufzugreifen: „Die Bundesregierung darf sich nicht weiter vor ihrer Rückholungsverpflichtung deutscher Dschihadisten drücken. Immer wieder haben kurdische Stellen die Rücknahme der deutschen Staatsangehörigen angemahnt, die in syrischen Gefangenenlagern festgehalten werden. Dass bislang nur zwölf deutsche Frauen und 42 Minderjährige zurückgeholt wurden, ist absolut inakzeptabel. Auch die noch verbliebenen Anhängerinnen und -Anhänger des sogenannten Islamischen Staates (IS) aus Deutschland müssen sich hier vor Gericht für ihre Gräueltaten verantworten. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Befreiungsversuche durch IS-Einheiten, wie jüngst bei einem Gefängnis im nordsyrischen Hesekê."
Akbulut erklärte weiter gegenüber ANF: „Was die 111 Minderjährigen betrifft, dürfen sie nicht für die Handlungen ihrer Eltern in Sippenhaft genommen werden. Diese Kinder müssen allein aus humanitären Gründen dringend nach Deutschland geholt werden. Dazu muss die Bundesregierung sich ohne falsche Rücksichtnahme auf die Türkei unmittelbar und offiziell mit den kurdischen Selbstverwaltungsstellen in Verbindung setzen. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung weder ihrer Rückholverpflichtung nachkommt, noch die Forderung der nordostsyrischen Selbstverwaltung nach einem internationalen UN-Sondertribunal in Nordostsyrien aufgreift."
Titelfoto: YPJ International