Fast zwei Wochen nach den politischen Säuberungen in HDP-geführten Stadträten hat die türkische Regierung unter der Dirigentschaft von Präsident Recep Tayyip Erdoğan die angekündigten Beweise für angebliche „Terrorverbindungen“ der abgesetzten Oberbürgermeister*innen noch immer nicht vorgelegt. Zudem ergreift der AKP-Chef allem Anschein nach Maßnahmen, um eine rechtliche Grundlage für einen weiteren politischen Putsch gegen die Demokratischen Partei der Völker (HDP) zu schaffen, der diesmal die Parlamentsabgeordneten treffen soll. Das sagte der HDP-Sprecher Günay Kubilay am Freitag im Rahmen einer Pressekonferenz in der Parteizentrale in Ankara.
Anfang vergangener Woche waren die Ko-Bürgermeister*innen der kurdischen Großstädte Amed (Diyarbakir), Wan (Van) und Mêrdîn (Mardin) auf Betreiben des Innenministeriums abgesetzt und durch staatliche Zwangsverwalter ersetzt worden. Die AKP-Regierung rechtfertigt die Entmachtung der demokratisch gewählten Politiker*innen Adnan Selçuk Mızraklı, Bedia Özgökçe Ertan und Ahmet Türk mit vagen Terrorismus-Vorwürfen. In einer Stellungnahme des Innenministeriums sind verschiedene Verdächtigungen aufgeführt. So ist etwa davon die Rede, dass die Oberbürgermeister*innen kommunale Gelder an die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) weitergeleitet hätten. Zudem werden sie beschuldigt, mit dem System der genderparitätischen Doppelspitze bei der HDP, wonach jeweils ein Mann und eine Frau das Bürgermeisteramt gemeinsam ausüben, unbefugte Personen in offizielle Positionen gebracht und auf Anordnung der PKK eine nicht verfassungsmäßige politische Struktur eingeführt zu haben, die nicht mit den offiziellen politischen Regeln und Vorschriften zu vereinbaren sei.
Die HDP erklärte, dass die Begründung für die Zwangsverwaltung vollkommen erfunden sei. Die Regierung könne es nicht ertragen, dass die Korruption und Verschwendung von öffentlichen Geldern der ehemaligen Treuhänder ans Tageslicht kommt.
Bereits nach dem versuchten Militärputsch vom 15. Juli 2016 waren 98 der 102 kurdischen Kommunalverwaltungen per Notstandsdekret unter staatliche Treuhänderschaft gestellt worden. 40 der abgesetzten Bürgermeister*innen sitzen bis heute in Untersuchungshaft. Bei den Kommunalwahlen Ende März gelang es der HDP, einige der usurpierten Gemeinden zurückzugewinnen. Seitdem hat sie Einblick in die Haushaltsführung der Statthalter. Alle drei Stadtverwaltungen, denen nun Zwangsverwalter zugewiesen wurden, waren vor fünf Monaten mit Schuldenbergen in dreistelliger Millionenhöhe übernommen worden. Die Ausgaben der Treuhänder sind kaum nachzuvollziehen. So wurde in Amed bespielsweise für den Luxusumbau eines Büroraums über 330.000 Euro ausgegeben. In Mêrdîn sollen in drei Monaten 25.000 Euro für Kaffee, Trockenfrüchte und Nüsse bezahlt worden sein.
Luxusgeschenke an Minister
Unter den aufgedeckten Betrugs- oder Korruptionsdelikten finden sich aber auch etliche Geschenke an die Minister, so Kubilay: „Vor einer Woche richtete ich von hier aus die Frage an den Innenminister, ob er die kostspieligen Geschenke des Treuhänders von Mardin angenommen hat oder nicht. Er erklärte, dass es sich dabei um Ausgaben für Staatsbedienstete handelt, die vom Kommunalbudget abgedeckt würden. Somit hat der Innenminister die Bestechung faktisch eingeräumt. Auch vom Präsidenten erwarten wir eine Stellungnahme. Haben Sie das Geschenk im Wert von 136.646 Türkischen Lira angenommen oder nicht? Uns liegen entsprechende Rechnungen vor. Die Antwort auf diese Frage ist relativ einfach: Ja oder nein.“
Kubilay wies zudem auf die Drohungen Erdoğans hin, weitere Treuhänder zu ernennen. Der Präsident habe der Justiz die Anweisung erteilt, eine rechtliche Grundlage für einen politischen Putsch gegen Parlamentsabgeordnete der HDP zu schaffen, sagte Kubilay. „Diese Worte in einer Phase von sich zu geben, in der die Betrugs- und Korruptionsdelikte der Treuhänder aufgedeckt wurden, signalisieren, dass eine neue Angriffswelle gegen die demokratische Opposition eingeleitet wird. Sie verdeutlichen, dass ein weiterer politischer Putsch vorbereitet wird und in den Tiefen des Staates neue politische Pläne geschmiedet werden. Sofern Erdoğan Rache für seine Wahlniederlage nehmen möchte, ist weder die HDP ein geeigneter Gegenspieler noch sind es die Demokratiekräfte. Nur er selbst und sein kleiner Koalitionspartner kommen für einen Racheakt infrage. Denn es ist die rassistische und monistische Mentalität und Politik der AKP/MHP-Regierung, die das Land in den Sumpf des Krieges zieht und in eine Spirale der Gewalt geraten lässt. Es scheint, dass die Regierung mit ihren altbekannten Argumenten zweimal im selben Badewasser plantschen möchte. Sich zweimal mit demselben Badewasser zu waschen, verursacht nur noch weitere Verunreinigung. Es ist nutzlos“, sagte Kubilay.