Die Familienangehörigen von Abdullah Öcalan und seinen Mitgefangenen haben bei den türkischen Justizbehörden einen Antrag auf Erteilung einer Besuchserlaubnis gestellt. Das Ersuchen in Form eines Eilantrags wurde am Freitag sowohl bei der Oberstaatsanwaltschaft in Bursa als auch bei der Vollzugsleitung des Inselgefängnisses Imrali, wo Öcalan und drei weitere politische Geiseln des türkischen Staates inhaftiert ist, eingereicht. Hintergrund ist das Seebeben, das sich Anfang der Woche im Golf von Gemlik ereignet hatte. Gefordert werden gesicherte Informationen über den Zustand der Imrali-Gefangenen.
Das Seebeben vom Montag hatte eine Stärke von 5,1 auf der Richterskala, das Zentrum lag etwa vier Kilometer von der Küste des Hafenstädtchens Mudanya in knapp neun Kilometern Meerestiefe. Mudanya liegt am südlichen Ufer des Marmarameers im Golf von Gemlik. Von dort legen alle Boote ab, die nach Imrali fahren. „Die Tatsache, dass das Inselgefängnis im Erdbebengebiet liegt, weckt die Sorge um die Gesundheitssituation der Angehörigen der auf Imrali inhaftierten Gefangenen und erfordert eine Überprüfung ihrer Situation“, heißt es in dem Antrag. Neben den Familienangehörigen fordert auch der Rechtsanwalt Mazlum Dinç, der zugleich Bevollmächtigter von Öcalan ist, unverzüglichen Zugang zur Insel. Eine Antwort der Behörden liegt noch nicht vor.
Abdullah Öcalan befindet sich seit seiner Verschleppung in die Türkei im Jahr 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft. Der letzte Kontakt zu ihm war ein Telefongespräch mit seinem Bruder im Frühjahr 2021, das allerdings nach wenigen Minuten unterbrochen wurde. Mit seinem Rechtsbeistand von der Istanbuler Kanzlei Asrin hatte Öcalan zuletzt im August 2019 Kontakt. Nach acht Jahren Unterbrechung waren mit einem von der inzwischen wieder inhaftierten Politikerin Leyla Güven angeführten Hungerstreik insgesamt fünf Anwaltsbesuche durchgesetzt worden. Der letzte Familienbesuch auf der Insel wurde im März 2020 abgesegnet. Die Isolation in dem Hochsicherheitsgefängnis wurde seither auf das Niveau der totalen Incommunicado-Haft getrieben.
Betroffen von der Isolation auf Imrali sind auch Öcalans drei Mitgefangene Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş, die 2015 im Zuge des Dialogs zwischen dem kurdischen Vordenker und der Führung in Ankara in das Inselgefängnis verlegt wurden. Als juristische Ummantelung für das Unrecht auf der Insel dienen der türkischen Justiz in der Regel willkürlich verhängte „Disziplinarmaßnahmen“ gegen die Imrali-Gefangenen, die letzte dieser „Strafmaßnahme“ war im Oktober verfügt worden. Auch die 2009 von Abdullah Öcalan verfasste „Roadmap für Verhandlungen“, die dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als Verteidigungsschrift vorgelegt wurde, wird immer wieder für die Unterbindung von Besuchen herangezogen.
Titelfoto: Presseservice Feykom | Elefterya Wien