Dem kurdischen Vordenker Abdullah Öcalan ist erneut ein dreimonatiges Kontaktverbot zu seinen Angehörigen erteilt worden. Auch seine Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş dürfen keinen Besuch von Familienmitgliedern empfangen. Wie das Istanbuler Rechtsbüro Asrin am Samstag mitteilte, erfolgte die Anordnung durch das Vollstreckungsgericht Bursa. Die Behörde ist zuständig für alle Fragen im Zusammenhang mit der Gefängnisinsel Imrali, auf der Abdullah Öcalan seit 1999 in politischer Geiselhaft sitzt.
Das Besuchsverbot auf Imrali wird von der türkischen Justiz mit einer neuen „Disziplinarstrafe“ begründet, die gegen die Gefangenen verhängt worden sei, teilte Asrin weiter mit. Die Auskunft über diese Maßnahme erhielt die Kanzlei, die Öcalan seit seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung in die Türkei vor 24 Jahren juristisch vertritt, jedoch erst durch einen Besuchsantrag. Am 10. Oktober hatte Asrin beim Vollzugsgericht in Bursa einen Antrag gestellt, damit den Imrali-Gefangenen das Recht auf Besuch durch Angehörige gewährt wird. Inzwischen liege die Abweisung des Antrags zwar vor, eine Begründung für die Verhängung der Disziplinarstrafe sei aber nicht beigefügt worden.
Gericht verweigert Einblick in die Akten
„Ebenso bleibt das Gericht eine Begründung schuldig, wann diese disziplinarrechtliche Maßnahme gegenüber unseren Mandanten angeordnet wurde“, betonte die Kanzlei Asrin. Auch sei dem Verteidigungsteam von Öcalan und dessen drei Mitgefangenen die beantragte Kopie der Akte nicht zur Verfügung gestellt worden. Zur Begründung habe es von Seiten des Gerichts lapidar geheißen, dass man vermeiden wolle, dass der Akteninhalt in der Presse wiedergegeben wird. Die Rechtsvertretung der Imrali-Gefangenen ist empört und hat angekündigt, Beschwerde bei einer höheren Instanz einzulegen.
Die türkische Justiz erteilt in regelmäßigen Abständen Kontaktsperren in Höhe von drei oder sechs Monaten gegen die Imrali-Gefangenen, um ihren Kontakt zur Außenwelt zu unterbinden. Begründet wird das Vorgehen im Copy-Paste-Verfahren mit Disziplinarmaßnahmen aufgrund von vermeintlichem „Fehlverhalten der Gefangenen“. Erklärungen, für welche Handlungen die Strafen verhängt wurden, sind eher selten. Mehrmals wurde jedoch die 2009 von Öcalan verfasste „Roadmap für Verhandlungen“, die dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als Verteidigungsschrift vorgelegt wurde, für Besuchsverbot auf Imrali herangezogen.
Abdullah Öcalan befindet sich seit dem 15. Februar 1999 in türkischer Gefangenschaft. Seine Verschleppung aus Kenia in die Türkei erfolgte im Zuge einer internationalen Geheimdienstoperation, an der unter anderem der CIA und Mossad beteiligt waren. Der türkische Staat fungiert in internationaler Absprache als Gefängniswächter, um den kurdischen Vordenker von der Öffentlichkeit zu isolieren und seine Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaftsordnung zu unterdrücken. Der letzte Familienbesuch auf der Insel wurde im März 2020 abgesegnet. Ein Jahr später kam – bedingt durch eine internationale Protestwelle gegen die Isolation – ein Telefongespräch zwischen Abdullah Öcalan und seinem Bruder zustande, das nach wenigen Minuten aus unbekannten Gründen unterbrochen wurde.
Anwaltsverbot seit 2019 in Kraft
Das Anwaltsverbot für die Imrali-Gefangenen gilt sogar noch länger. Der letzte Besuch des Verteidigungsteams von Öcalan hatte am 7. August 2019 stattgefunden. Seine Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş haben seit ihrer Verlegung auf Imrali im Jahr 2015 noch nie mit ihrer Rechtsvertretung sprechen können. Dabei verstößt das Verbot von Anwaltsbesuchen auf Imrali offen gegen die 2015 aktualisierten Standard-Mindestregeln der Vereinten Nationen (UN) für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), gegen die Empfehlungen des Antifolterkomitees des Europarats (CPT) und gegen das türkische Vollzugsgesetz Nr. 5275. Staaten sind verpflichtet, die Ausübung der Rechte von Gefangenen und Verurteilten ohne Rücksicht auf ihre Identität oder die Qualität ihrer Strafe zu gewährleisten. Doch die türkische Justiz ist nicht gewillt, die menschenverachtenden Haftbedingungen auf Imrali zu korrigieren und hält an einer Behandlung nach Feindstrafrecht fest. Wurden Besuche des Rechtsbeistands in der Vergangenheit unter dem Vorwand widriger Wetterbedingungen oder eines Defekts der für die Überfahrt nach Imrali vorgesehenen Fähre verhindert, werden die Besuchsanträge seit Jahren ebenfalls aufgrund vermeintlicher Disziplinarmaßnahmen zurückgewiesen.
Titelfoto: Presseservice Feykom | Elefterya Wien