Dem Anwaltsteam von Abdullah Öcalan ist erneut ein sechsmonatiges Besuchsverbot für die Gefängnisinsel Imrali erteilt worden. Die Entscheidung wird mit einer erneuten Disziplinarstrafe begründet, von der das Istanbuler Rechtsbüro Asrin, das den kurdischen Vordenker seit seiner Verschleppung in die Türkei vor 23 Jahren juristisch vertritt, erst durch einen Besuchsantrag beim zuständigen Vollzugsgericht in Bursa erfahren hat. Von der Maßnahme sind auch Öcalans Mitgefangene Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş betroffen. Zur Begründung der am 21. Oktober verhängten Disziplinarstrafe machte das Gericht keine Angaben. Asrin hat angekündigt, Beschwerde einzulegen.
Seit mehr als drei Jahren gilt auf Imrali wieder ein striktes Anwaltsverbot, der letzte Besuch des Verteidigungsteams von Öcalan hatte am 7. August 2019 stattgefunden. Seine Mitgefangenen haben seit ihrer Verlegung nach Imrali im Jahr 2015 noch nie mit ihrem Rechtsbeistand sprechen können. Als juristische Ummantelung für das Unrecht auf der Insel im Marmarameer dienen der türkischen Justiz in der Regel willkürlich verhängte „Disziplinarmaßnahmen“ gegen die Imrali-Gefangenen. Lange Zeit zogen die türkischen Behörden als Begründung für das Besuchsverbot des Anwaltsteams die 2009 von Öcalan dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorgelegte „Roadmap für Verhandlungen“ heran.
Das Verbot von Anwaltsbesuchen im Imrali-Gefängnis verstößt offen gegen die 2015 aktualisierten Standard-Mindestregeln der Vereinten Nationen (UN) für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), gegen die Empfehlungen des Antifolterkomitees des Europarats (CPT) und gegen das türkische Vollzugsgesetz (Gesetz Nr. 5275). Staaten sind verpflichtet, die Ausübung der Rechte von Gefangenen und Verurteilten ohne Rücksicht auf ihre Identität oder die Qualität ihrer Strafe zu gewährleisten. Doch die türkische Justiz ist nicht gewillt, die menschenverachtenden Haftbedingungen auf Imrali zu korrigieren und hält an einer Behandlung nach Feindstrafrecht fest.
Abdullah Öcalan befindet sich seit dem 15. Februar 1999 in türkischer Gefangenschaft. Seine Verschleppung aus Kenia in die Türkei erfolgte im Zuge einer internationalen Geheimdienstoperation. Der türkische Staat fungiert in internationaler Absprache als Gefängniswächter, um den kurdischen Vordenker von der Öffentlichkeit zu isolieren und seine Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaftsordnung zu unterdrücken. Auch Angehörigen der Imrali-Gefangenen wird jeglicher Kontakt verweigert. Der letzte Familienbesuch auf der Insel wurde im März 2020 abgesegnet. Ein Jahr später kam – bedingt durch eine internationale Protestwelle gegen die Isolation – ein Telefongespräch zwischen Abdullah Öcalan und seinem Bruder zustande, das nach wenigen Minuten aus unbekannten Gründen unterbrochen wurde. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von den Imrali-Gefangenen.