Gefälschte „Erfolgsmeldungen“ in Regimepresse

Nach den massiven Verlusten durch die Guerilla befindet sich der türkische Staat unter Druck, ein Bild des Erfolgs zu vermitteln. Die Regierung verbreitet Erfolgsmeldungen von angeblich gerade getöteten Guerillakämpfer:innen.

Nachdem die Guerilla bei ihren revolutionären Operationen in Südkurdistan Stellungen der türkischen Armee überrannt und allein am 22. und 23. Dezember 88 türkische Soldaten getötet hatte, war die türkische Regierung gezwungen, die Verluste zumindest in einem geringen Ausmaß einzuräumen. Zuvor hatte das Regime in Ankara keine Verluste zugegeben, obwohl die Guerilla ihre Operationen und Aktionen auf Videos dokumentiert und veröffentlicht.

Schon der Bruchteil von getöteten Soldaten, der veröffentlicht wurde, löste eine starke Demoralisierung aus, auch an der Basis des Regimes. So reagierte der Staat einerseits mit nationalistischer Propaganda, verband seine Unterstützung für die Hamas mit Racheschwüren für die türkischen Soldaten und setzte auf Massenmobilisierung. Andererseits musste der Staat zeigen, dass er seine Racheschwüre auch umsetzen kann. Dazu griff er die zivile Infrastruktur in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien an, die nichts mit den HPG organisatorisch zu tun hat. Dabei baute er auf das Konstrukt „PKK ist PYD ist YPG ist Bevölkerung von Rojava“. Er musste jedoch auch direkte Erfolge in Südkurdistan vorweisen. Eine massive Ausweitung der Luftangriffe auf die Region scheint bisher kaum Resultate erbracht zu haben. Darauf deutet hin, dass Ankara in diesem Zusammenhang vor allem auf Falschmeldungen setzen muss.

So häufen sich in den türkischen Staatsmedien in den letzten Tagen „Eilmeldungen“ über angeblich in „Präzisionsschlägen“ getötete Guerillakämpfer:innen. Diese Falschmeldungen sind leicht durchschaubar, da es sich bei den angeblich „gerade“ getöteten Kämpfer:innen um Personen handelt, deren Tod von den HPG teilweise bereits vor mehreren Monaten bzw. Jahren vermeldet wurde. Eine Recherche zu den Namen der Gefallenen offenbart die Realität.

25. Dezember: Ali Xebat Botan war bereits im März 2023 gefallen

So wurde am 25. Dezember in einer „Eilmeldung“ behauptet, der HPG-Kämpfer Ali Xebat Botan (Erdinç Bolcal) sei gerade vom türkischen Geheimdienst MIT getötet worden. Die HPG hatten aber bereits am 15. Dezember in einer auf ANF zitierten Erklärung bekanntgegeben, dass der aus Adana stammende Freiheitskämpfer am 10. März 2023 bei einem türkischen Angriff auf die Medya-Verteidigungsgebiete ums Leben kam. Die Behauptung in der „Eilmeldung“, dass Botan am 25. Dezember in einer „Präzisionsoperation“ des MIT im südkurdischen Kerkûk bei der Vorbereitung einer Aktion getötet worden sei, entpuppt sich damit als offenkundige Lüge.

26. Dezember: Bahoz Zagros bereits 2021 gefallen

Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu verbreitete am 26. Dezember die „Eilmeldung“, der HPG-Kämpfer Bahoz Zagros (Mehmet Şefa Akman) sei ebenfalls in einer „Präzisionsoperation“ getötet worden. Er sei der Verantwortliche der PKK für die südkurdische Region Silêmanî gewesen. Auch hier entlarvt eine einfache Benutzung der Suchfunktion auf der Seite von ANF die Lüge. Wie die HPG am 11. Dezember 2021 meldeten, ist Bahoz Zagros bereits am 9. Juni 2021 bei türkischen Luftangriffen auf die Medya-Verteidigungsgebiete gefallen.

29. Dezember: MIT beansprucht IS-Anschlag für sich

Am 29. Dezember wurde seitens des MIT die „Erfolgsmeldung“ verbreitet, man habe in einer Geheimdienstoperation einen „PKK/YPG-Terroristen“ in Syrien „eliminiert“. Dummerweise hatte die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) den Mord an dem Zivilisten bereits im August in seiner Publikation Amaq für sich reklamiert. Die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) erklärten dazu, dies zeige erneut den Zusammenhang zwischen dem IS und dem MIT. Omar Muhammad / Abdullah Al-Dahham sei ein Bürger aus Tabqa gewesen, der keine Verbindung zu den QSD – und damit auch zum Mitgliedsverband YPG – gehabt habe und nicht an militärischen Handlungen beteiligt gewesen sei.

2. Januar: Cesur Vedat Welat ist im März 2023 gefallen

Am 2. Januar erschien die „Eilmeldung“, der MIT habe den HPG-Kämpfer Cesur Vedat Welat (Abdulmutalip Doğrucu) in einer Geheimoperation in Silemanî „neutralisiert“. Welat war jedoch, wie die Meldung von ANF vom 15. Dezember belegt, zusammen mit dem laut türkischer Presse in einer MIT-Operation am 25. Dezember in Kerkûk getöteten Ali Xebat Botan am 10. März 2023 bei einem türkischen Angriff auf die Medya-Verteidigungsgebiete gefallen.

4. Januar: YRK-Kämpfer Êrîş Berxwedan

Am 4. Januar ließ der türkische Staat die „Eilmeldung“ verbreiten, dass Êrîş Berxwedan (Sadiq Şêx Ehmed) von den Verteidigungskräften Ostkurdistans (YRK) durch den MIT in Silêmanî getötet worden sei. Wieder einmal habe der Nachrichtendienst „hochpräzise“ zugeschlagen, heißt es in dem Bericht. Allerdings wurde der Tod von Êrîş Berxwedan von den YRK bereits am 24. Dezember 2023 gemeldet und in einem Artikel aus ANF bekanntgegeben. Tatsächlich starb Berxwedan bereits am 3. Dezember 2023 bei einem Luftangriff auf die südkurdische Region Pêncewîn zusammen mit der HPJ-Kommandantin Aryen Arê (Zeynep Eyverî).

Die Lügen offenbaren militärisches Fiasko der türkischen Armee

Dies sind nur einige der leicht zu recherchierenden Falschmeldungen. Was sagt uns das, unabhängig von der unbestreitbaren Tatsache, dass die türkischen Spezialkriegsmedien mit Lügen gespickt ist? Einerseits zeigt es uns, dass die Guerilla, im Gegensatz zur türkischen Armee, systematisch, offen und ehrlich ihre Verluste, sobald sie verifiziert werden, bekannt gibt. Ihre Aktionen und die Verluste der türkischen Armee werden von ihrer Seite soweit es geht dokumentiert. Was die türkischen Medien betrifft, ist also das, was sie nicht sagen, viel interessanter, als das was sie sagen. Hätte die türkische Armee oder der Geheimdienst reale Erfolge gegen die kurdische Guerilla zu verzeichnen, so wäre es nicht nötig, auf so offensichtliche Falschmeldungen zurückzugreifen, stattdessen würden diese wie üblich öffentlich ausgeschlachtet werden.

Die Bilder von triumphierenden türkischen Soldaten auf den Leichen gefallener Kämpfer:innen sind uns noch allen im Gedächtnis. Da der türkische Staat offensichtlich nicht in Lage ist, reale Erfolgsmeldungen zu produzieren, um dem nationalistischen Furor Nahrung zu geben, muss er auf billige Taschenspielertricks zurückgreifen. Dies offenbart nur eins – so martialisch die Invasion als Adlerklaue, Klauenschloss oder wie auch immer betitelt werden mag, sie ist und bleibt ein Fiasko für das AKP/MHP-Regime. Immer wieder wird die türkische Spezialkriegspresse auch von deutschen Medien aufgegriffen. Journalist:innen, aber auch allen, die sich mit der Lage in der Region beschäftigen, ist daher zumindest eine einfache Recherche ans Herz zu legen.