Türkei setzt Ilisu-Staudamm in Betrieb

Die erste von sechs Turbinen am umstrittenen Ilisu-Staudamm ist heute in Betrieb gegangen. Zwölftausend Jahre Zivilisationsgeschichte in Hasankeyf ist für das auf 50 Jahre Betriebsdauer angelegte Wasserkraftwerk untergegangen.

Die Türkei hat am umstrittenen Ilisu-Staudamm mit der Stromproduktion begonnen. Die erste von sechs Turbinen sei am Dienstag in Betrieb gegangen, gab Präsident Recep Tayyip Erdoğan bekannt, der sich per Videokonferenz in die Eröffnung eingeschaltet hatte. Bis Ende des Jahres werde das Kraftwerk seine volle Kapazität erreichen. Dann soll es jährlich 4,1 Millionen Kilowattstunden Strom produzieren und bei voller Auslastung sechs Millionen Menschen versorgen.

Der Ilisu-Staudamm, der seit den 50er Jahren in Planung war, ist hochumstritten – unter anderem, weil die Kulturstätte Hasankeyf (kurd. Heskîf) in der nordkurdischen Provinz Batman (Êlih) geflutet wurde. Nach Angaben der „Initiative zur Rettung von Hasankeyf“ stehen inzwischen 80 Prozent der zwölftausend Jahre alten antiken Stadt unter Wasser, mehr als 80.000 Bewohnerinnen und Bewohner wurden vertrieben. Wie viele Tierarten aussterben werden, weiß niemand, denn die Ergebnisse biologischer Untersuchungen wurden nicht abgeschlossen, bereits vorliegende Ergebnisse werden der Öffentlichkeit vorenthalten. Die Leopardenbarbe oder die Euphrat Weichschildkröte dürften aussterben und mit ihnen viele andere. Auch etliche Pflanzenarten werden verschwinden.

Im Februar 2019 war eine Klage eines Kollektivs aus Archäologieprofessoren, Architekten, Journalisten und Juristen gegen die Flutung von Hasankeyf vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gescheitert. Die Beschwerdeführer*innen hatten unter anderem ins Feld geführt, dass mit dem Verschwinden der Stadt und ihren Artefakten das Menschenrecht auf Bildung der kommenden Generationen verletzt werde. Das Straßburger Gericht folgte dieser Argumentation nicht. Aus den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention lasse sich kein individuelles Recht auf Schutz einzelner Kulturdenkmäler ableiten, hieß es in der Entscheidung. 

135 Meter hoch und 1820 Meter breit: Der Ilisu-Staudamm

Die Flutung von Hasankeyf hatte bereits im vergangenen Juli begonnen. Die Kulturstätte, deren Wurzeln bis in die Bronzezeit reichen, war ein einmaliger Ort der Menschheitsgeschichte: Zwanzig östliche und westliche Kulturen hinterließen hier ihre Spuren. 5.500 Höhlen, hunderte bisher entdeckte Monumente und eine faszinierende Verwobenheit mit Felsen und dem Tigris gaben dem Ort globale Bedeutung. Nach Meinung von Experten erfüllten Hasankeyf und das umliegende Tigris-Tal, eines der letzten erhaltenen großen Flussökosysteme in der Türkei, neun von zehn Kriterien für eine Eintragung als UNESCO-Weltkulturerbe. Doch nach dem Willen der türkischen Regierung musste die historische Stadt für das auf 50 Jahre Betriebsdauer angelegte Ilisu-Wasserkraftwerk, eines der weltweit umstrittensten Talsperren-Projekte, untergehen.