Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) lässt die Überflutung der 12.000 Jahre alten Kulturstätte Heskîf (türkisch: Hasankeyf) in der nordkurdischen Provinz Êlih (Batman) zu. Die Straßburger Richter wiesen heute eine Beschwerde von Vorkämpfer*innen der Rettung der Stätte im antiken Mesopotamien, deren Wurzeln bis in die Bronzezeit reichen, als unzulässig zurück.
Die Klägerinnen und Kläger hatten die Einstellung des Baus des Ilisu-Staudamms gefordert. Sobald der Damm am Tigris fertiggestellt ist, soll die Kulturstätte geflutet werden. Dagegen führten die Beschwerdeführer*innen unter anderem ins Feld, dass mit dem Verschwinden der Stadt und ihren Artefakten das Menschenrecht auf Bildung der kommenden Generationen verletzt werde.
Das Straßburger Gericht folgte dieser Argumentation nicht. Aus den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention lasse sich kein individuelles Recht auf Schutz einzelner Kulturdenkmäler ableiten, heißt es in der Entscheidung.
„Beschämdes Urteil gegen Kultur- und Naturerbe”
Die Beschwerde beim EGMR ist bereits seit 2006 anhängig. Unter den Klägern sind Archäologieprofessoren, ein Architekt, der Chefredakteur einer mittlerweile eingestellten Zeitschrift und der Anwalt Murat Cano, der die Beschwerde auch eingereicht hat. Für Ercan Ayboga von der „Inititiative zur Rettung von Hasankeyf” sei es äußerst bedauerlich, dass sich das Straßburger Gericht nicht verantwortlich sieht, eine Entscheidung zum Erhalt von Heskîf, einem der größten Kulturschätze des Mittleren Ostens und auch Europas, zu leisten. Gegenüber ANF erklärte Ayboga: „Das vom Ilisu Staudamm- und Wasserkraftwerksprojekt Ilisu bedrohte 12.000 Jahre alte Hasankeyf und das umliegende Tigristal sind bedeutender als Troja, Kappadokien und Ephesus und eines der letzten funktionierenden Flussökosysteme im Mittleren Osten.
Das Argument, dass die Mitgliedsstaaten des Europäischen Rates das Recht von Individuen über Zugang zum Kulturerbe nicht untereinander abgeklärt hätten und daher der EGMR nicht zuständig sei, ist beschämend. Denn die UNO, UNESCO und internationale Konventionen haben den Zugang zu Kulturerbe längst als grundlegendes Menschenrecht festgestellt. Daran hätte sich das EGMR orientieren und die Mitgliedsstaaten unter Druck setzen können. Außerdem hätte eine Entscheidung für Hasankeyf für weitere Kulturstätten Europas wichtig sein können. Das wurde auch verspielt”.
EGMR sieht sich für Fälle zum Recht auf Zugang zu Kulturerbe nicht zuständig
Dass der EGMR überhaupt 13 Jahre für ein Urteil gebraucht hat, sei sehr bedenklich, so Ayboga. „Das Gericht hätte vor acht bis zehn Jahren im Sinne von Kultur, Natur und Menschheit eine Entscheidung treffen können; also zu einer Zeit, als der Bau des Ilisu-Staudamms noch kaum begonnen hatte. Ist das zufällig oder war das kalkuliert? Wir und viele andere zivilgesellschaftliche Organisationen haben Argumente und Dokumente im Sinne der Kläger eingereicht; wurden diese überhaupt gelesen? Wie kann der EGMR in Kauf nehmen, dass neben dem Kulturerbe bis zu 100.000 Menschen ihre Lebensgrundlagen verlieren und dabei ihre grundlegendsten Rechte verletzt werden?”, fragt der Umweltingenieur.
Noch immer sind auch europäische Unternehmen an dem umstittenen Projekt beteiligt. Die österreichische Firma Andritz etwa am Staudamm selbst und die holländische Firma Bresser bei der Versetzung der Kulturdenkmäler. Der Kampf gegen Ilisu werde dennoch weitergehen, kündigte Ayboga an. Noch sei es möglich, dass ein Stopp dieses Projekts erreicht werde.