EU-Mercosur: Das Freihandelsabkommen muss gestoppt werden

Das Freihandelsabkommen zwischen Europa und einigen Staaten Südamerikas (Selbstbezeichnung: Abya Yala) soll noch dieses Jahr beschlossen werden. Das Abkommen ist ein Angriff auf die dörflich-agrarische Gesellschaft sowohl in Europa als auch in Abya Yala.

Seit mehr als 20 Jahren wird nun schon über das Freihandelsabkommen diskutiert. Es soll den engeren Handel der EU mit den Mercosur-Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay erleichtern. Kern des Abkommens sind niedrigere Zölle. So wollen die Mercosur-Staaten unter anderem Rindfleisch und Futtersoja billiger nach Europa exportieren. Europa will neben Autos insbesondere Pestizide für die Agroindustrie nach Abya Yala exportieren. Das Abkommen wurde seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht geschlossen, da es große Bedenken gab, dass die Folgen sowohl für europäische als auch für südamerikanische Kleinbäuer:innen katastrophal wären. Erst unter dem faschistischen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro gab es eine Einigung. Nun ist es ausgerechnet das von den Grünen mitregierte Deutschland, das in Europa die Unterzeichnung des Vertrags vorantreibt. Deutschland hat als Industriestandort Europas dabei ein besonderes Interesse, sich einen größeren Absatzmarkt zu sichern. Frankreich hingegen blockiert die Unterzeichnung noch aus Angst um die eigene starke Landwirtschaft. Trotz der momentanen Differenzen innerhalb der EU wird eine stärkere Fokussierung des europäischen Absatzmarktes auf Abya Yala gerade durch den Krieg in Osteuropa immer notwendiger. Schon jetzt besteht die Gefahr, dass die wirtschaftliche Position der EU weltweit immer weiter geschwächt wird. Nun soll das Abkommen noch dieses Jahr unterzeichnet werden. Die Folgen wären nach wie vor katastrophal.

Angriff auf die dörflich-agrarische Gesellschaft

Seit mehr als 500 Jahren werden die Gesellschaften Abya Yalas durch europäische Soldaten angegriffen und unterdrückt. In dieser Kontinuität der Assimilierung und Unterwerfung steht nun auch das Freihandelsabkommen. Denn es führt den Prozess der Enteignung von Land und der Verdrängung der dörflich-agrarischen Gesellschaft fort. Durch das Abkommen wird es profitabler, die Landwirtschaft noch intensiver zu industrialisieren. Chemische Pestizide und Düngemittel werden billiger und ein größerer Absatzmarkt wird geschaffen. Die Abholzung des Regenwaldes, um Platz für Rinderfarmen oder für monokulturellen Sojaanbau zu machen, wird sich dadurch noch mehr als heute schon lohnen. Dieser Prozess des „Wachsen oder Weichens“ wird sich für einige wenige Landwirt:innen lohnen. Sie können Kredite aufnehmen und sich mehr Land aneignen. Für den größten Teil der Bäuer:innen wird es den Ruin bedeuten, denn sie werden mit den Erzeugerpreisen der Großen nicht mithalten können. So wird auf die Enteignung und die Aufgabe ihrer Landwirtschaft die Proletarisierung folgen - große Teile der Landbevölkerung werden in prekäre Arbeitsplätze gedrängt werden.

Aber auch hier in Europa würde der Import von billigen Lebensmitteln zu einer Verschärfung des Hofsterbens führen. Schon heute geben allein in Deutschland jeden Tag zehn Höfe ihre Arbeit auf. Sie werden verdrängt von denen, die Gelder von Großinvestoren erhalten oder schon jetzt zu den größten Betrieben gehören. Das Freihandelsabkommen wird also gerade die kleinen Höfe treffen, die nicht bereit sind, zu expandieren und ihre Produktion zu industrialisieren.

Angriff auf die Natur

Große Teile der indigenen Bevölkerung Abya Yalas fordern schon seit Jahren einen Stopp der Rodung des Regenwaldes. Doch der Ökozid im Amazonas, der maßgeblich von der Agrarindustrie vorangetrieben wird, hat schon jetzt so bedrohliche Maße angenommen, dass nicht klar ist, wie lange es noch braucht, um das ganze Ökosystem kollabieren zu lassen. Das Freihandelsabkommen wird auch diesen Prozess beschleunigen. Denn mit immer größeren Monokulturen, wie sie im Sojaanbau üblich sind, wird auch die Artenvielfalt und Bodenfruchtbarkeit zerstört. Die Folge wird eine Expansion der Agrarflächen in die noch nicht erschlossenen Regenwälder sein. So wird die grüne Lunge der Welt noch stärker von dem Krebs des Kapitalismus zersetzt werden.

Europa kann durch dieses Abkommen außerdem noch stärker die Umweltkosten der Landwirtschaft ins Ausland auslagern. So werden nach Brasilien über 28 in Europa verbotene Stoffe von Bayer und BASF verkauft, um dort als Pestizide auf die Felder gebracht zu werden. Ihre Rückstände töten nicht nur die dortige Artenvielfalt, auch die anliegenden Dörfer sind von einer überdurchschnittlich hohen Zahl an Fehlgeburten und chronischen Krankheiten betroffen. Die Rückstände dieser Gifte kommen durch die an Europa verkauften Produkte auch hier wiederum auf unsere Teller. Die „klimafreundliche“ Politik Europas, die das tote Gesicht des Kapitalismus grün anzumalen versucht, führt nicht zu weniger CO²-Verbrauch oder geringeren Schäden an der Umwelt. Sie führt nur dazu, dass in neokolonialer Manier die Zerstörung der Natur in den Süden ausgelagert wird.

Internationaler Widerstand

Doch das Abkommen ist noch nicht in trockenen Tüchern. Schon lange protestieren sowohl in Europa als auch in Abya Yala Bäuer:innen gemeinsam gegen das Abkommen. Denn die Landwirtschaft in Europa hat den gleichen Prozess durchlaufen, der nun in Abya Yala auf die Spitze getrieben wird. Auch hier wurde die Landwirtschaft industrialisiert, die Felder zu großen Schlägen zusammengefasst und viele Höfe wegrationalisiert. So konnten auch hier immer mehr Monopole entstehen. Es ist also logisch, den Schulterschluss mit den Bäuer:innen auf der anderen Seite des Atlantiks zu suchen - nicht nur aus taktischen Gründen. Sie verbindet gemeinsamer Kampf und eine lange Geschichte des Widerstands. Schon im 17. Jahrhundert schlossen sich in Europa enteignete und in die Kolonien geschickte Zwangsarbeiter massenhaft den indigenen Gemeinschaften an. Sie zettelten gemeinsam mit Sklav:innen aus Afrika Aufstände an und gründeten eigene Gemeinschaften. Die dörflich-agrarische Gesellschaft erkannte schon damals das geteilte Leid: Die Zerstörung und Enteignung der Lebensgrundlage - hier und auf der anderen Seite des Atlantiks. Erst durch die Institutionalisierung von Rassismus und die dadurch bezweckte Spaltung der dörflich-agrarischen Gesellschaft konnte dieses revolutionäre Bündnis gestoppt werden. Es gilt nun aus der gemeinsamen Geschichte zu lernen und wieder eine gemeinsame Kraft zu entwickeln.

Aber auch die Ökologiebewegungen schließen sich den Protesten an. Gerade in der letzten Woche haben Fridays for Future, Parents for Future, die Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) und „Land schafft Verbindung“ (bäuerliches Protestbündnis) eine gemeinsame Protestaktion durchgeführt. Eine Lösung der ökologischen Frage ist dabei nämlich keine Frage des Labels, ob konventionelle Landwirtschaft oder ob ökologisch gewirtschaftet wird. Es ist eine Frage der Industrialisierung und der Abhängigkeit von Großkonzernen wie Bayer oder BASF. Die Kleinbäuer:innen geben hier gemeinsam mit der Ökologiebewegung eine Antwort auf die Frage nach einem guten Leben. Es sind die Kleinbäuer:innen, welche die Versorgung der Menschen garantieren, nicht die industrielle Landwirtschaft. Die dörflich-agrarische Gesellschaft kann nur in einem international geführten Kampf verteidigt werden, denn die Krise der kapitalistischen Moderne, die sowohl die Menschen als auch ihr Land bedroht, ist global. Damit hat das sich formende internationale Bündnis - bäuerliche Verbände Hand in Hand mit der Ökologiebewegung - ein großes revolutionäres Potenzial.

Die Autorin Lisa Schelm ist Mitglied der Initiative Demokratischer Konföderalismus (IDK)